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„Ich habe mich oft in diesen Zustand unmöglicher Absurditäten versetzt, um zu versuchen, Gedanken in mir entstehen zu lassen.“ (Antonin Artaud, Nervenwaage; aus: Pour Vos Beaux Yeux, Librairie Gallimard, Paris 1925)

Die Galerie Jette Rudolph freut sich, die neue Solo-Ausstellung BLUT, SCHWARZ & TRÄNEN der Baselitz- Meisterschülerin Lea Asja Pagenkemper (*1976, lebt und arbeitet in Berlin) ankündigen zu dürfen. Vom Sehen in der erkenntnistheoretischen Erläuterung des Begriffs der Emanation durch Demokrit handeln die Bilder der aktuellen Ausstellung, als Ausfluss der Abbilder aus den Dingen. Das Subjekt ist im Sehen erfasst, scheint gleichzeitig darin gefangen und gesteuert. Ja, manches Mal muss man die Augen schließen, um zu verstehen.

Der Doppelsinn der neuen groß- und kleinformatigen Leinwände von Lea A. Pagenkemper liegt in ihrem suggestiven symbolistisch-metaphysischen Ansatz verborgen und verleiht ihrer Malerei eine rätselhafte Ambiguität. Diese Bilder liefern keine Eitelkeiten, kommen vielmehr aus dem Innersten und beschreiben das Suchen nach einem Wort, einem Augenblick. Sie entstehen Schicht für Schicht in zarten farbigen Lasuren, gewinnen prozessual an Form und Gestalt, um sich zuletzt gleich einem Bühnenvorhang in ein samtig- tiefes Schwarz zu hüllen. Doch durch ein Kratzen und Schaben wird auch dieser blickdichte Schutzmantel wieder verletzt, um Einblicke in seine Seele zu gewinnen oder um sich selbst in diese einzuschreiben. Leinwandsadist! Die grafischen Schraffuren fügen sich zu Tropfen, sammeln sich hie zu einem rieselnden Meer, da zu einer scheinbar regelmäßigen Textur, um sich wenig später wieder in lose Geflechte aufzulösen. Untere Farbschichten blinzeln durch die Kratzspuren hindurch, begleitet von einem unbestimmten silbern- goldenen Glanz, der sich über die Leinwände ausbreitet wie schimmernde Pailletten auf einem Kleid.

Es sind weder Häuserwände noch Graffititexturen auf den neuen Arbeiten der Künstlerin auszumachen, wie sie ihre Malerei der Jahre 2004- 2008 prägten. Auch sind die Sprüche verschwunden, die einst weder die soziale noch sexuelle Provokation scheuten. Mehrdimensional werden Pagenkempers aktuelle Bilder erst im Kopf des Betrachters. Doch trotz ihres Verzichts auf Motiv, Wort und Erzählung ist ihre Malerei der Literatur so nahe wie nie zuvor. Es liegt eine leise Unberechenbarkeit in den Bildern: „… sie sind wie Rauch einer Zigarette, der sich leicht und schwebend zwischen Boden und Himmel seinen Platz sucht und verschwindet, eben noch an den Lippen des Lebens hängend, (…) und im selben Augenblick verloren, (…), Gegenwart des Flüchtigen und Schönen. (…)“ (Gregor Jansen, ZKM/ Museum für Neue Kunst, Karlsruhe).

Pagenkempers Malerei schöpft aus dem Poetischem als der Qualität eines Ausdrucks, der sich der Sprache entzieht, aus einer Stille, die gleichzeitig eine leise Auflehnung impliziert, wenn sie nach dem Sinn- und Wahrheitsgehalt der Malerei fragt. Der Ansatz der Künstlerin ist ein Begehren, das suchend an der Oberfläche der Bilder nagt und rätselhafte Gestalten freilegt: einen goldenen Tropfen, einen türkisblauen Haufen, einen Engel, eine fabelhafte Figur mit Sternenumhang. Ihre Poesie macht lichte Schatten sichtbar. Man kann ihre Malerei sogar hören: Villons, Lautréamonts, Baudelaires, Artauds stille Schreie ins Nichts, ins menschliche Nichts, ein Echo aus dem Abgrund der Geschichten. Das Wort, das Bilder schafft, sich selbst nicht genügen kann. Das Bild, das Worte schafft, die sich selber nicht genügen werden.

„Alles ist weggemalt, (…) das ganze Drumherum weg(..) gelassen, den Zirkus und die Erklärungen. (…) keine Illusionen schaffen, sondern die Wirklichkeit des Unsichtbaren (...). Nervenwaage.“ (L.A.P.)

english version

„I have often transported my inner self to that state of impossible/ dreadful absurdities, in order to try to let my thoughts arise from there. “ (Free translation: les Pèse-nerfs by Antonin Artaud, ex: Pour Vos Beaux Yeux, Librairie Gallimard, Paris 1925)

About seeing, an emanation: through the act of seeing, the subject of our interest is captured, captivated and steered; closely linked to the epistemological demonstration by Democritus about the outflow of the reflection through reification. Indeed, many times you have to close your eyes to truly see. The gallery Jette Rudolph is pleased to announce the upcoming solo-show entitled BLUT, SCHWARZ & TRÄNEN* of Georg Baselitz´ master student Lea Asja Pagenkemper (born1976, lives & works in Berlin).

The double meaning of Lea´s new small and large-sized images is veiled in her suggestive, symbolic-metaphysical approach, thus a kind of mysterious ambiguity is given to her paintings. These images do not come up with vanities, rather the inward search for a word, a moment. They grow gently layer by layer, but nevertheless spreading out like a jet-black curtain to take shape. However, the non-transparent surface, the protective veil is divided and hurt by scraped-out pigments and scratched forms, an insight into the soul or self. Canvas sadist! Drops- a drizzling more concentrated in a graphic sea like a seemingly regular texture are disappearing in a loose mesh. The fabric of colours is shimmering like sequins on a dress in a vague silver-gold glance of lights.

In her new works none of the graffiti-textured walls with their phrases of sexual and social provocation –so distinctive of her works between 2004 and 2008– are to be found. Her canvases become multidimensional and tangible in one´s mind: the eye starts to give shape, the mind continues, and despite of the renouncement of words and quotes Lea´s images are closely related to writings and poetry. There is a light unpredictability in them:” … like the smoke from a cigarette, floating, disappearing, they look for a place between heaven and earth, hanging on to life´s words, to get lost in that moment, (…), the present of the volatile and beautiful. (…)” (Gregor Jansen about Lea Asja Pagenkemper´s paintings; director of the ZKM/ Museum für Neue Kunst, Karlsruhe)

By drawing on poetry as a source of expression, silently escaping from words, Pagenkemper´s images question softly, but in a revolt for the basic idea, sense and truth of painting. Her approach is like a craving, gnawing mysteriously on the surface of the images, revealing enigmatic forms: the golden drop, the turquoise heap, an angel “l´ange Lautréamont”, a fabled figure with a cloak of stars. Her poetry makes these soft grey blue shadows visible. In fact you can hear her paintings: Villon´s, Lautréamont´s, Baudelaire´s, Artaud´s silent screams into the void, the human void, an echo from the abyss of their stories. “You will never see me, from where I see you” (Jacques Lacan) The word that creates the image is not sufficient on its own. The image creates words, which themselves fail to fully describe the picture.

“Everything is painted away, (…) the fuss and the explanations, all the little unnecessary, needless things are left aside, (…) no created illusions, just the reality of the invisible. Balance for nerves.” (L. A. P.)

* BLOOD, BLACK & TEARS

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Lea Asja Pagenkemper
Blut, Schwarz & Tränen