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Stefan Zweig hat in seiner Autobiographie das Ende des 19. und beginnende 20. Jahrhundert als eine "Welt der Sicherheit" literarisch nachempfunden. Er gab seiner wehmütigen Erinnerung an das saturierte Leben einer europäischen Bildungselite den sprechenden Titel "Die Welt von gestern". Das Gefühl des Verlustes verband ihn mit den Zeitgenossen, auch wenn sie nicht, wie Zweig, aus dem Wiener Großbürgertum kamen. Der Erste Weltkrieg, das Ende des Kaiserreichs und die Inflation von 1923 kumulierten zu einer existentiellen Krise, die Künstler und Schriftsteller in ihrem Werk in vielerlei Hinsicht als die Vertreibung aus einem Paradies dargestellt und beschrieben haben. Die Ausstellung wird zeigen, wie Intellektuelle, Künstler und Schriftsteller die Erfahrung des Krieges verarbeitet und welche Neuansätze sie unter dem Eindruck des Krieges gesucht haben.

Das Rheinland verdient in diesem Zusammenhang besondere Aufmerksamkeit. Es war nicht nur eine durch das Ende des Weltkrieges politisch besonders stark betroffene Region, sondern symbolisierte als herausragende Geschichts- und Kultur-Landschaft für viele Künstler den erwarteten Beginn eines neuen Zeitalters. Die Fokussierung auf die reiche und lebhafte kulturelle rheinische Szene, zu der sich Künstler wie Otto Dix, Gert Wollheim oder Otto Freundlich gesellten, lässt sich so nicht nur als exemplarischer Blick auf die Kriegsthematik verstehen, sondern erinnert an die Impulse, die in künstlerischer Hinsicht in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg vom Rheinland ausgingen.

Die Ausstellung

Gezeigt werden vor allem die herausragenden bildkünstlerischen Arbeiten aus dem Umfeld der Düsseldorfer und Kölner Malerszene. Die reichen Bestände der Archive und Museen im Rheinland sollten dabei in besonderer Weise berücksichtigt werden. Zu nennen sind z. B. das Folkwang-Museum Essen, die Museen in Wuppertal und Hagen und die Moderne-Sammlungen der Kölner Museen. In überschaubarem Maße wird die Bilderschau ergänzt durch "Flachware", die indessen mit einer modernen Ausstellungskonzeption visualisiert werden wird. Ausgewählte Beispiele aus Literatur, Photographie und weiterer künstlerischer Aktivitäten zeigen die Dominanz des Themas, aber auch die Vielfalt der künstlerischen Lösungen, die in dieser Zeit gesucht wurden. Dabei wird die Präsentation des Themas von der Bildmotivik her entwickelt. Doppelbegabungen und Versuche, die Schrecken des Krieges und den Reiz der Revolution in unterschiedlicher Weise zu verarbeiten, sind typisch für diese emotional aufgeladene Zeit. So lässt sich z. B. der Holzschnitt "Rosa Luxemburg" des Kölner Künstlers Franz W. Seiwert aus der Reihe "Lebendige" in Beziehung setzen zu dem Gedicht "Rosa Luxemburg" des Düsseldorfer Künstlers aus dem Umfeld des "Jungen Rheinland", Otto Pankok. Das Signet dieser Düsseldorfer Künstlergruppe, ein feuerspeiender Berg aus der Feder von Adolf Uzarski, wird vielfältig aufgegriffen, so in der in Mönchengladbach erschienenen Zeitschrift "Das Neue Rheinland". Nicht zuletzt begegnet das Motiv Christus mit der Gasmaske, das damals die Gemüter bewegte, in vergleichbarer Intensität wie bei Otto Dix in Bild und Text weiterer Künstler.

Künstler, Schriftsteller und Intellektuelle haben in dieser Zeit mit der Herausgabe von Zeitschriften und Büchern, der Organisation von Kunstausstellungen in Galerien und Museen und der Suche nach regionen- und nationenübergreifenden Zusammenschlüssen ihr Engagement für die Überwindung der Schrecken des Krieges, aber auch die Suche nach neuer Spiritualität unter Beweis gestellt. Die Gemeinschaften dieser Zeit wurden beflügelt von einem Glauben an die Veränderbarkeit der Menschheit, die heute kaum nachvollziehbar ist. Die Ausstellung soll dieses Spannungsgefüge von entlarvendem Blick zurück in die brutale Realität des Krieges und der oft verzweifelten Suche nach eine Überwindung des apokalyptischen Ereignisses aus dem Geist der Utopie in ausgewählten Beispielen zeigen.

Schwerpunkte:

a) Künstler, Künstlergruppen und Institutionen:

Die existentielle Betroffenheit, die viele Künstler als Soldaten in den Schrecken des Krieges erlebten, führte schon unmittelbar nach Kriegsende zu eine Fülle von Künstlergemeinschaften, mit denen und in denen man die Erfahrungen austauschte und nach neuen Lösungen suchte. Die Kunstakademie Düsseldorf wurde eines der Zentren, um die sich weitere Kulturinstitute wie das Düsseldorfer Schauspielhaus und Galerien wie die von Alfred Flechtheim und Mutter Ey gruppierten. In Köln scharten sich die jungen Schriftsteller und Künstler um den "Kairos"-Verlag und den Galeristen Karl Nierendorf. Die vielfältigen Verbindungen zeigten sich nicht zuletzt in der Überschneidung der Galerietätigkeiten: Nierendorf z. B., der schon bald zum "Nierendix" avancierte, konnte den in dieser Zeit in Düsseldorf lebenden Otto Dix, Mutter Ey den in Köln tätigen Max Ernst zeitweise an sich binden.

Zu den Künstlern, die den Krieg in ihrem Werk thematisiert haben, zählen: Jankel Adler; Gerd Arntz; Theo Champion; Heinrich Maria Davringhausen; Otto Dix; Otto Freundlich; Heinrich Hoerle; Arthur Kaufmann; Walter Ophey; Otto Pankok; Karl Schwesig; Franz W. Seiwert; Gert Wollheim; Adolf Uzarski

b) Messianismus, Utopien und neue regionale Identität:

Gert Wollheim hat nicht nur mit seinen Kriegsbildern schockiert, sondern auch mit Gedichten und Dramen in die Zeit gewirkt. Seine Texte waren beseelt vom Wunsch nach einer "Neuen Gemeinschaft". Man scheute sich nicht, mit dem Ruf nach einem "neuen Orden", "neuen Altären" und einem neuen "Messias" der Hoffnung auf Respiritualisierung der Gesellschaft Ausdruck zu verleihen. Der im Mai 1919 auf einem Gefängnishof in München von Weißgardisten erschlagene Gustav Landauer etwa wurde zu einer Symbolfigur für eine Erneuerung aus dem Geiste des Anarchismus. In Düsseldorf-Eller entstand die Siedlung "Freie Erde". Am Eingang der utopischen Siedlungsgemeinschaft verkündete eine Inschrift, dass man sich hier "im Geiste Landauers" zusammengefunden habe. Gert Wollheim und Gustaf Gründgens spielten hier eigens geschriebene Theaterstücke. In der kleinen Eifelgemeinde Simonskall konnte die "Kalltalgesellschaft" Kölner Künstler von Rang, aber auch Revolutionäre wie den legendären Ret Marut, alias B. Traven, der nach der gescheiterten Münchner Räterepublik geradewegs in die Eifel geflohen war, aufnehmen. Die letzte Ausgabe der pazifistischen Zeitschrift "Der Ziegelbrenner" wurde hier gedruckt, bevor sich Traven aus Europa verabschiedete.

Mit der Benennung "Das junge Rheinland" und der Initiative der "Strom" Reihe gaben sich Düsseldorfer wie Kölner Künstler und Schriftsteller eine betont rheinische Attitüde. Nicht zuletzt suchte man nach dem Scheitern des preußischen Militarismus eine Anbindung an den Rhein als alte und neue Kulturschiene, trachtete vor allem nach Überwindung der Feindschaft mit Frankreich. Die traditionelle Verbindung der Künstler der Moderne zu Paris sollte wieder an Bedeutung gewinnen. Max Ernst und Paul Eluard, René Schickele und Paul Adolf Seehaus und viele andere zeugen von diesen europäischen Hoffnungen.

c) November im Rheinland:

Die Novemberrevolution machte auch vor dem Rheinland keinen Halt, ja, die besondere politische Problematik, die sich schon bald mit dieser Region verband, machte das Rheinland zu einer Ausnahmeregion. Hier agierte der "Aktivistenbund", der Photographen wie Harald Quedenfeld oder Schriftsteller wie Herbert Eulenberg aber auch Künstler der Akademie ansprach. Otto Dix kam aus dem Umfeld der Dresdner Novembergruppen, als er sich Anfang der zwanziger Jahre in Düsseldorf niederließ und dort seinen "Kriegs"-Zyklus bearbeitete. Den Kölner Photographen August Sander zog es auf der Suche nach revolutionären Köpfen für seine Portraitgalerie "Menschen des zwanzigsten Jahrhunderts" nach Berlin zu Erich Mühsam und Raoul Hausmann. Das legendäre Ereignis schlechthin aber wurde die 1922 im Düsseldorfer Kaufhaus Tietz gezeigte "Internationale Kunstausstellung Düsseldorf 1922", die mit dem gleichzeitigen Kongress der "Union fortschrittlicher internationaler Künstler" zur Sammlung der europäischen Elite motivierte. Hier ließe sich die Bedeutung der Kriegsthematik für die versammelten Künstler und Schriftsteller von Romain Rolland, Theodor Däubler und Else Lasker-Schüler bis Wassily Kandinsky und El Lissitzky erstmalig zeigen.

d) Der Krieg als Kulturschock:

Der Krieg provozierte auch so etwas wie einen eigenwilligen Kulturkrieg. Die künstlerische und literarische Dada- Bewegung verzichtete auf die Aufnahme des Themas Krieg. Statt die eigene Betroffenheit zu zeigen, reagierte man viel radikaler mit einer völligen Verneinung von Sinn. Dada - Köln mit ihrem herausragenden Protagonisten Max Ernst interessiert, doch auch die pazifistischen Aktivitäten eines Johannes Theodor Baargeld und die Verbindungen, die von Köln aus zu Dada - Berlin und den Dada - Zentren Zürich und Paris liefen. Sie zeigen die enge Verzahnung von Krieg und Antikrieg in Kunst und Literatur.

Pressetext

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Krieg und Utopie
Kunst, Literatur und Politik im Rheinland nach dem Ersten Weltkrieg
Kooperation: "Moderne im Rheinland“, Heinrich-Heine-Universität; Kunstort Bunkerkirche am Handweiser, Düsseldorf
Kuratoren: Gertrude Cepl-Kaufmann, Gerd Krumeich, Ulla Sommers, Jasmin Grande

Arbeiten von Jankel Adler, Gerd Arntz, Theo Champion, Heinrich Maria Davringhausen, Otto Dix, Otto Freundlich, Heinrich Hoerle, Franz M. Jansen, Arthur Kaufmann, Will Küpper, Walter Ophey, Otto Pankok, Karl Schwesig, Franz W. Seiwert, Gert Wollheim, Adolf Uzarski ...

Stationen:
08.06.06 - 23.07.06 Kunstort Bunkerkirche am Handweiser, Düsseldorf
07.09-06 - 15.10.06 Siebengebirgsmuseum, Königswinter

www.kriegundutopie.de