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Die französische Ausstellung „Une provocation constructive - architecture et développement durable au Vorarlberg“ wurde auf Initiative des Institut francais d‘architecture (Ifa) Paris, jetzt la Cité de l‘architecture et du patrimoine, gemeinsam mit dem Vorarlberger Architekturinstitut (via) erarbeitet und als Wanderausstellung für Frankreich konzipiert.

Die seit der Eröffnungsausstellung im Sommer 2003 erfolgreich in Frankreich tourende Schau feiert nun als deutschsprachige Version im Kunsthaus Bregenz im Rahmen der KUB-Arena ihre Premiere.

Die KUB-Arena des Kunsthaus Bregenz, 2003 erstmals eingeführt, stellt eine Kunst- und Vermittlungsplattform dar. Sie wird gemeinsam mit den Partnern Montfort Werbung und DMG realisiert. Ort der KUB-Arena ist die Eingangshalle des Kunsthauses. Sie definiert sich als Raum für den Dialog, als Basis für die Auseinandersetzung, an der die Vermittlungsarbeit stattfindet und formal wie inhaltlich sichtbar wird.

Sieben Holz-Kuben bilden das Kernstück für die Präsentation der Ausstellung „Konstruktive Provokation“. Um das bestehende Ausstellungssystem mit Kuben tatsächlich im Sinne einer Arena wirksam werden zu lassen, wurden drei Vorarlberger Architekturbüros zu einem Ideenwettbewerb eingeladen: cukrowicz.nachbaur, Philip Lutz und Marte.Marte Architekten. Letztere sind als Gewinner aus dem Wettbewerb hervorgegangen. Gefordert war die Auseinandersetzung mit den Inhalten der Ausstellung, der Realität des Kunsthauses sowie ein Nachdenken über die inhaltliche Art des Diskurses. Die architektonische Lösung des Siegerprojekts von Marte.Marte Architekten erweitert die Ausstellungskonzeption um zwei markante Aspekte: Ein originaler Sattelschlepper steht als Symbol des Aufbruchs und schafft zugleich Platz für Neues; eine Lichtdecke definiert einen variablen Ort für das umfangreiche Vermittlungsangebot.

Das Rahmenprogramm zur Ausstellung wurde vom Kunsthaus Bregenz in Kooperation mit dem Vorarlberger Architekturinstitut und Robert Fabach (Architekt und Architekturjournalist) entwickelt. Während der Ausstellung werden jeweils am Dienstag Abend in einer Gesprächsreihe Fragestellungen zur Vorarlberger Baukultur in einen breiteren kulturellen Kontext diskutiert. Ergänzend zu den Vermittlungsveranstaltungen in der KUB-Arena werden zwei Exkursionen angeboten, bei denen jeweils aus unterschiedlicher Perspektive die ausgewählten Architekturen im Original erläutert werden.

Die Ausstellung Vorarlberg gilt als eine der profiliertesten Regionen zeitgenössischer Architektur in Europa. Zwar sind die Herausforderungen hier nicht anders als in den Nachbarländern (Zersiedelung der Landschaft, Umbrüche in Wirtschaft und Gesellschaft, zunehmende Desintegration sozialer und kultureller Strukturen), doch ist es in Vorarlberg in den vergangenen Jahrzehnten gelungen, dass die Architekturpolitik nicht durch kurzfristige Interessen der Ökonomie entmündigt und entwertet wurde. Als Folge davon bestimmt heute das Leitbild einer nachhaltigen, technologisch, ökologisch und gestalterisch innovativen Architektur zwischen Bodensee und Arlberg die bauliche Praxis.

In den 60er-Jahren des 20. Jahrhunderts begann die Entwicklung in einem überschaubaren Netzwerk von Intellektuellen, die Alternativen zur regionalen Lebensweise formulierten und vorlebten. Ihre konzeptionell radikalen Holzbauten verfolgten das Prinzip der intensiven Partizipation der Auftraggeber im Prozess von Planung und Ausführung. Gemeinsam mit mutigen Bauherren und begabten Handwerkern bemühten sich die Vorarlberger Baukünstler um die Erneuerung einer Baukultur des Alltags. Dieser Ansatz erreichte trotz vieler lokaler Widerstände bald größere Akzeptanz in der Region. Die nächste Generation der aus dieser Bewegung stammenden regionalen Architekten wurde als „Vorarlberger Baukünstler“ international bekannt. Ende der 80er-Jahre wurden einige Architekturwettbewerbe - meist größere Bauaufgaben der öffentlichen Hand - von diesen jungen Architekten gewonnen. Durch den Wendepunkt von einer Alternativ-Bau-Szene zu einer modernen Leitkultur gelang den Baukünstlern der Schritt aus dem Haus- und Siedlungsgenre hinaus. Zugleich war dies der Beginn einer wachsenden und sich dynamisch entwickelnden Architekturszene, die qualitätsvolle Gebäude mit zunehmender lokaler Dichte hervorbringt.

Die Ausstellung „Konstruktive Provokation“ macht die vor Ort erlebbare Dichte zeitgenössischer Architektur in Vorarlberg sichtbar. Gleichzeitig geht sie der häufig gestellten Frage nach den Ursachen der Entwicklung auf den Grund. Sie zeigt Architektur als Bestandteil einer lebendigen Baukultur in ihren technischen, gestalterischen, gesellschaftlichen, ökologischen und handwerklichen Aspekten. Statt Arbeiten einzelner Architekten hervorzuheben und mit Modellen und Plänen bestimmte Gebäude zu erläutern, erzählt die Ausstellung von den Wurzeln und dem Wachsen einer breiten Bewegung, die eine Architektur mit Mehrwert an Lebensqualität für den Einzelnen und die Gesellschaft ermöglicht. Die entscheidenden Potenziale dieser Architektur liegen im Zusammenspiel der Lebensräume von Natur, Arbeit, Wohnen und Öffentlichkeit.

Themenportale der Konstruktiven Provokation Die Ausstellung besteht aus einer Serie thematischer Einstiegsportale. Die Präsentationsmodule aus 300 x 220 x 60 cm großen Kuben - grafisch von dem Atelier Reinhard Gassner gestaltet - sind vordergründig einfach, doch entfaltet sich bei genauerer Auseinandersetzung eine hohe Komplexität von Inhalt, Funktionalität und Ausführung. Verschiedene Leseebenen erlauben es dem Besucher, von einer allgemeinen Erfassung des Themas zum aufmerksamen Studium überzugehen. Die erste Leseebene bilden großformatige Fotografien von Ignacio Martínez auf den Fronten der Kuben; kurze Texte ergänzen und erläutern die spezifische Thematik. Eine zweite Ebene bilden ausziehbare Schau-Laden und Wandelemente, die weitere Details und Architekturen zur jeweiligen Thematik zeigen.

Dreizehn Themenportale führen durch die Topografie der Vorarlberger Gesellschaft, durch ein Netzwerk von Akteuren und Ereignissen: „Radikalität der Grundsteine“, „Intelligenz der Kargheit“, „Gemeinsam Planen - Gemeinsam Bauen“, „Spielorte, Lernräume“, „Erlebniswelt Natur“, „Modernität der Ökologie“, „Kultur der Kooperation“, „Neues Handwerk, Neue Industrie“, „Textur der Peripherie“, „Qualität des Lebensraumes“, „Revitalisierung der Ressourcen“, „Primäre Urbanität“, „Baukultur als Bürgerstolz“. Kurze Texte ergänzen und erläutern die Thematik, der das Portal gewidmet ist. Anhand von Gebäude-Gruppen und Ensembles wird die Umsetzung in architektonische Themen gezeigt: den Dialog von Alt und Neu, die Balance und Spannung unterschiedlicher Nutzungen, die Dialektik von Innen und Außen, von Stadt und Dorf. Exemplarisch werden Bauwerke nicht isoliert, sondern in ihrem räumlichen, landschaftlichen und gesellschaftlichen Kontext dargestellt.

Die „Radikalität der Grundsteine“ beschreibt die in den 60er-Jahren entstehenden Pionierprojekte. Abseits der Hochschulen beschäftigte sich hier eine kleine Personengruppe aus engagierten Bauherren, Architekten und Künstlern mit Innovation. Die erste und zweite Generation der Vorarlberger Bauschule stand in Opposition zum Traditionalismus und formalistischen Regionalismus der Nachkriegszeit. Die Konzepte der Maximierung minimaler Ressourcen reagierten auf die wirtschaftliche Situation. Die einfache, konstruktive Modernität schuf mit ihrer „Intelligenz der Kargheit“ Räume der funktionellen und geistigen Fülle. Gegen 1980 folgt eine Generation von Architekten, deren Zielvorstellungen in der Sozialentwicklung liegen. Unter dem Motto „Gemeinsam Planen - Gemeinsam Bauen“ verdeutlicht sich dieser sehr wirtschaftliche Ansatz einer ökologisch funktionalen Baukultur, die ein hoher Anteil an kostensparendem Selbstbau und die Selbstverwaltung gemeinsamer Räume kennzeichnet.

Nach dem Schulbauboom der 50er-Jahre begann Ende der 80er-Jahre eine nächste Welle von Neu- und Erweiterungsplanungen in Kindergärten und Schulen. Für diese primären Erlebnisbereiche - die in der Ausstellung thematisch als „Spielorte, Lernräume“ zusammengefasst sind - entstanden in Vorarlberg seither vier Dutzend einschlägige Neubauten. Das Bild der „Erlebniswelt Natur“ und der historischen Orte ist ein Grundkapital des Tourismus. Fern von Alpin-Kitsch oder Designer-Koketterie zeigen Beispiele vom Bregenzerwald und Arlberg ein neues Naturbewusstsein und Alternativen zum stereotypen Massentourismus. Für die „Modernität der Ökologie“ schufen die Initiativen der Baukünstler die Vorbilder. Ab 1990 machte das Energieinstitut Vorarlberg das umweltschonende Bauen zur landespolitischen Chefsache.

Im Zeitalter der Globalisierung zeigte sich in Vorarlberg von Seiten der Gemeinden und Unternehmer eine „Kultur der Kooperation“. Die längst geschlossenen Textilwerke inmitten ländlich geprägter Dorfstrukturen wurden zu Zentren mit neuen kulturellen, sozialen und gewerblichen Nutzungen. Innerstädtische Brachen verwandelten sich zu postindustriellen Ensembles. Das Thema „Neues Handwerk, Neue Industrie“ trägt der Entwicklung Rechnung, dass zahlreiche holzverarbeitende Betriebe zuletzt in Vorarlberg neue Werkstätten errichteten: lichte Produktionshallen mit großzügigen Büros und Sozialräumen, mit experimentellen Konstruktionen in hervorragenden Energie- und Ökologiewerten. Lustenaus Millenniumspark ist ein Beispiel für die „Textur der Peripherie“. Dieser Hightech-Campus am Ortsrand ist eine Schnittstelle von Siedlungs-Agglomeration und Naturraum. Er ist eingebettet in attraktive Grünzonen, hat Anschluss an das länderverbindende Verkehrsnetz und wurde von Gemeinde und Unternehmen als Ganzheit konzipiert. Von entscheidender Bedeutung für die „Qualität des Lebensraumes“ ist die Ausarbeitung eines ausgeklügelten öffentlichen Verkehrsnetzes. Dem Ende der 80er-Jahre initiierten Dornbirner Stadtbus folgten andere Städte und zuletzt mit dem Landbus ein kompletter Linienverbund.

Noch vor drei Jahrzehnten wurden alte Holzbauten - etwa Überbleibsel traditioneller Viehwirtschaft - bedenkenlos abgerissen. Mehr denn je bietet heute die „Revitalisierung der Ressourcen“ jungen Architekten eine Herausforderung. Zudem trägt sie dazu bei, traditionelles handwerkliches Können mit neuen Technologien zu ergänzen und weiterzubilden. Aufgrund der Entwicklung, in alten Ortszentren neue öffentliche, kulturelle und soziale Nutzungen zu integrieren, entstand eine „primäre Urbanität“. Pfarrheime und Gemeindesäle in Orten wie Klaus, Mäder oder Schlins machten Ende der 80er-Jahre den Anfang und in den 90er-Jahren wurde die funktionelle und bauliche Akzentuierung der Stärkung der Siedlungskerne zum landesweiten Trend. Am Bregenzer Pfänderhang sind seit den frühen 90er-Jahren die neuen Symbole einer „Baukultur als Bürgerstolz“ zu finden. Inmitten von noch intakten Bauernhöfen entsteht eine Perlenkette von Traumhäusern mit Seeblick.

Konzept und wissenschaftliche Leitung Die Ausstellung „Konstruktive Provokation“ wurde auf Initiative von Marie-Hélène Contal, Architektin, Kuratorin und stellvertretende Direktorin des La Cité de l’architecture et du patrimoine, entwickelt und gemeinsam mit dem Vorarlberger Architekturinstitut vorbereitet und produziert. Für die wissenschaftliche Leitung und Konzeption zeichnen der Wiener Architekturtheoretiker Otto Kapfinger und die Kuratorin Marie-Hélène Contal verantwortlich. Seit dem Start im Sommer 2003 tourt die französische Version der Ausstellung in Frankreich, fixiert sind dort bis heute achtzehn Stationen.

„Konstruktive Provokation“ ist eine Ausstellung des Vorarlberger Architekturinstitutes (vai) in Kooperation mit La Cité de l’architecture et du patrimoine – Département IFA (Institut français d’architecture). Kuratiert durch Marie-Hélène Contal, Konzeption und wissenschaftliche Leitung durch Otto Kapfinger. Ausstellungsgrafik durch Atelier Reinhard Gassner. Szenografie und Produktionsmanagement der französischen Ausführung durch Adolph Stiller, Produktionsmanagement der deutschen und englischen Ausführung durch Atelier Reinhard Gassner. Projektleitung der deutschen und englischen Ausführung durch Florian Semmler (vai).

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Konstruktive Provokation
Ausstellung zur Vorarlberger Baukultur seit 1960
Kuratoren: Marie-Helene Contal, Otto Kapfinger, Rudolf Sagmeister