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Kerstin Fischer PULVER

Nach der Beteiligung an einer Gruppenausstellung im vergangenen Jahr richtet Kerstin Fischer (*1981) unter dem Titel 'PULVER' nun ihre erste Einzelpräsentation in den Räumen der Galerie ein. Dominierte 2009 eine großformatige und technisch sehr komplexe farbige Wandarbeit den Hauptraum, so zeigt die Künstlerin diesmal vornehmlich kleinteilige, plastische Tonobjekte auf einem eigens mit diversen Stoffen drapierten Tischgestell. Bei den Tonobjekten handelt es sich um abstrakte, undefinierte Formungen, die nur entfernt an Organisches erinnern, jedoch nie den Bearbeitungsprozess der Hände verleugnen. Teilweise liegend, meist jedoch um ein aufgerichtetes Dasein bemüht, mit Durchblicken oder Löchern versehen und stellenweise bemalt, vermitteln die Arbeiten einen Sinn oder die Erfahrung von wirklicher Freiheit, da ihr Vorhandensein von keiner übergeordneten Idee abgeleitet erscheint. Erlaubt die Präsentation auf der bekleideten Tischlandschaft eine Übersicht über dieses modellhafte Arrangement einer skulpturalen Testreihe, eröffnet der Blick auf die einzelne Form eine Ahnung von der Passion, die ihrer Herstellung zu Grunde liegt.

Nur bedingt wird durch den Ausstellungstitel 'PULVER' eine Fährte gelegt, bezeichnet er doch eine zwar feine und kleinteilige, aber nicht weiter spezifizierte mysteriöse Substanz oder Ingredienz, über deren mögliche Wirkmacht erst eine weiterführende Verarbeitung Aufschluss zu geben vermag. Somit wird eher ein Vorstadium oder eine Möglichkeitsform mit diesem Begriff evoziert. Ebenso gut könnte es jedoch auch einen Endpunkt markieren, wenn alles Irdene zu Staub pulverisiert und dem Verfall anheim gegeben ist. In eben diesem ambivalenten, alchimistischen Zwischenreich scheinen die Arbeiten von Kerstin Fischer angesiedelt zu sein, geht es ihr in ihrem bildnerischen Schaffen doch darum, etwas fühlbar, er-fassbar zu machen, einer Vision vielleicht Gestalt zu verleihen. Die Idee des Anfassens, die beschmutzt, unrein und in erster Linie an die Erde und die Symbolik der Materie und der sie hervorbringenden und wandelnden Kräfte gebunden ist, nimmt in der raschen und fließenden Gestaltung einen wesentlichen und gleichsam persönlichen Raum ein. Die Kraft der künstlerischen Vorstellung sucht dabei Halt im Bild, um über eben dieses Bild hinauszuweisen.

In ihrer distanzierten Kargheit operieren die Skulpturen mit einer poetischen Verdichtung und weisen die Künstlerin als Seismographin für jenen zeitgemäßen Bewusstseinszustand aus, der sich dem Rätsel verschrieben hat, um über die Magie der Niederschrift das Verborgene und Vergessene wie ein Orakel zum Sprechen zu bringen. Die Erregung vor dem Unfassbaren wie die Anspannung selbst scheinen in den fragilen Gebilden gespeichert. Ein Wille zur Gestaltung jenseits medialer Logik durch das Abenteuer des immer neuen formalen Handelns schreibt sich in die Bildwerke und ihrem Arrangement ein. In dieser direkt energieschaffenden Grundhaltung des Modellierens ist bei Kerstin Fischer ein instinktiver Drang zur Anhäufung, zu einer Überfülle von in den Raum ausstrahlenden Zeichen zu erkennen, der dem Ort der konkreten Erfahrung den vitalistischen Ansatz ihrer Gestik aufprägt und ihre den Wandel der Dinge beschreibenden Objekte mit starker Emotionalität befrachtet. Aufgerufen wird ein Urgrund emotionaler Beziehungen, der unseren Zugang zur Welt, zum Raum, zu den realen und geistigen Orten wahrscheinlich macht.

Ergänzt wird die bühnenartige plastische Formenvielfalt von einer Serie Buntstiftzeichnungen, die in dunklen Kartonrahmungen ein suggestiv, spielerisch kreisendes Zeichenvokabular als poröses Territorium voller geheimnisumwobener Lebensspuren darbieten. So farblich düster sie bisweilen auch erscheinen mögen, so lebendig sind sie in sich aufgrund der radikalen und zügigen künstlerischen Formulierung. Scheinbar mühelos gelingt es der Künstlerin, die ihr Studium an der Düsseldorfer Kunstakademie als Meisterschülerin von Jan Dibbets im Jahre 2006 abschloss, in ihren Bildern und Objekten Ambivalenzen und Widersprüche von Verstand und Gefühl, Kalkül und Spontanität zu visualisieren. Die dem Zufall unterworfenen prozesshaften Ausformulierungen nehmen dabei unausweichlich Einfluss auf die emotionale Gestimmtheit der Betrachter.

Harald Uhr

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Kerstin Fischer: PULVER