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Eröffnung am Freitag, den 3. April um 19 Uhr Abschlussparty am Samstag, den 18. April ab 21 Uhr

Während zwei Wochen im April wird es ein letztes Mal die Gelegenheit geben, sich vom Ausstellungsraum des Westfälischen Kunstvereins im LWL-Landesmuseum zu verabschieden. Ab Ende des Monats wird das Museum schließlich abgerissen. Bis Ende 2012 wird ein neuer Museumsbau entstehen, in dem auch der Kunstverein einen neuen Ausstellungsraum beziehen wird. Dieser Raum wird von der Rothenburg aus zugänglich sein und über eine große Glasfassade neue Möglichkeiten einer Öffentlichkeit für das Programm des Westfälischen Kunstvereins ermöglichen. Vor dem Abriss wird der Raum, der über so viele Jahre prägend für das Programm des Westfälischen Kunstvereins war, durch das Veranstaltungsprogramm sowie eine exemplarische Ausstellung ein letztes Mal belebt. Die Architektur wird dabei im nahezu leeren Raum als solche noch einmal erlebbar und dient als Ort sozialer Erlebnisse und kritischer Auseinandersetzung. Die eingeladenen Künstler widmen sich in unterschiedlicher Form dem besonderen Aspekt der Abrisssituation und geben gleichzeitig einen Ausblick auf die Thematik der „Flüchtigen Zeiten“ die das folgende Jahresprogramm des Kunstvereins bestimmen wird. Das Programm wurde von Katja Schroeder, stellvertretende Direktorin des Westfälischen Kunstvereins, zusammengestellt.

Informationen zu den einzelnen Künstlern und Gästen

Michele Di Menna (*1980) agiert als universelle Amateurin. Neben der Performance als Hauptbestandteil ihrer künstlerischen Arbeit sind Tanz, Musik, Schauspielerei, Dichtung, Collage, Striptease und Kostümbildnerei wichtige Ausdruckselemente ihrer Inszenierungen. Auch wenn sie in keiner dieser Disziplinen ausgebildet ist, bringt ihr Amateurismus eine selbst konstruierte Professionalität ins Spiel und beschränkt sich dabei nicht auf Grenzen – seien es jene der Kunst oder der Wissenschaft – sondern beruft sich auf deren Materialien als Anker möglicher Re-Initiationen. Die Künstlerin selbst agiert in ihren Arbeiten als Medium, das den Blickwinkel von Tieren, Gebäuden oder Objekten hörbar und erlebbar werden lässt. Ihre Performances initiieren Kommunikationsakte, in denen die Künstlerin Charaktere, ikonenhafte Bilder, elektronische Popmusik und Sounds als Transmitter für eine Produktion von Feedbackschleifen einsetzt. Im Westfälischen Kunstverein wird Di Menna eine eigens für den Raum entwickelte Live-Performance sowie Collagen zeigen.

Die Arbeit von Sandra Kranich hat einen zeichnerischen Ausgangspunkt, der durch einen Übersetzungsprozess in ‚Feuerwerksskulpturen’ eine eigenständige Form findet. Meist existieren ihre Installationen nur für wenige Momente und haben performativen Charakter. Kranichs temporäre Feuerwerksinszenierungen folgen formalistischen Choreographien, die einen Bezug zum jeweiligen Kontext und Ort darstellen oder einer bestimmten Logik unterschiedlicher Formen, Geschwindigkeiten und Kompositionen folgen. Sandra Kranich, hat an der HfG in Offenbach sowie an der Städelschule Frankfurt am Main bei Thomas Bayrle studiert und ist seit 2003 Pyrotechnikerin.

Astrid Wege schreibt seit 1990 Artikel und Katalogbeiträge zu zeitgenössischer Kunst und ist neben ihrer Schreibtätigkeit Kuratorin und Lehrende an den Universitäten Lüneburg und Köln. An der European Kunsthalle, einer Institution ohne feste Räumlichkeiten in Köln, ist sie Teil des Programmteams. Mit innovativen Formaten findet dort eine konzeptuelle Erweiterung des Modells Kunsthalle statt, bei der sie einerseits als Handlungsraum fungiert – also Öffentlichkeitsräume entstehen lässt - andererseits Kooperationsstrukturen aufbaut und nutzt. Einen besonderen Schwerpunkt legt das Programmteam auf das Zusammenspiel von Produktion (künstlerischer Wahrnehmung), Präsentation (kuratorischem Handeln) und Rezeption (theoretischer Auseinandersetzung). Im Rahmen der Vortragsreihe „Flüchtige Zeiten“, die den Verlust bzw. Erhalt von Werten in der Gesellschaft behandelt, wird Astrid Wege einen Vortrag über die Rolle der Kunst in Zeiten der Wirtschaftskrise halten.

In vielerlei Hinsicht hat Lili Reynaud Dewar (*1975 in La Rochelle) in den vergangenen Jahren ein komplexes, verstörendes und hintergründiges Werk entwickelt. Indem sie völlig heterogene Elemente zusammenführt, die gleichwohl durch eine geheimnisvolle und magische Logik zueinander in Beziehung stehen, und sich einer allegorischen und mythischen Formensprache bedient, verwehrt sie dem Betrachter jeden unmittelbaren Zugang zu ihrer Arbeit. Durch formale Anleihen bei Theater, Design, Revue und Popmusik wirft die Künstlerin die Frage nach Identität und ihrem Korrelat, dem Stereotyp, auf. Diskret und doch drohend schwingt die Reflexion von Machtstrukturen und ihren Perversionen dabei immer mit. Identität begegnet in Reynaud Dewars Arbeiten immer als eine brüchige, wechselhafte, paradoxe und fragmentarische Form, die den Rahmen, in den sie sich einzuschreiben schien, schließlich immer sprengt, um sich neu auszurichten. So erscheint die Suche nach Identität als Aufbegehren, als Ablehnung von Normen, Vereinbarungen, Gesetzen und nicht zuletzt des guten Geschmacks. So verwundert es nicht, dass die Performance eine so zentrale Rolle in Reynaud Dewars Arbeiten spielt, leistet sie doch ein formales Äquivalent archaischer und zeitgenössischer Rituale, die eine spektakuläre, exzentrische Inszenierung mit der authentischen und aufrichtigen Suche nach Identität verbinden.

Messieurs Delmotte 12 X Red Wine (un/performance – Act of Services lautet der Titel der Arbeit des belgischen Künstlers Messieurs Delmotte. In einer zehnminütigen Live-Performance bildet er selbst auf einem Podest das Zentrum der Aufmerksamkeit. Der Titel ist Programm: in dem er 12 Rotweinflaschen elegant und brachial zugleich leert. Die Multimedialität, die sich durch Delmottes Arbeiten zieht, wurde bereits in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen vorgestellt. Video, Fotografie, Installationen und Performances bilden ein weites Spektrum an Werken, das von seiner Liebe zur Gefahr und seiner frechen und gleichzeitig charmanten Art profitiert.

Kerstin Brätsch (*1976) arbeitet als bildende Künstlerin sowohl im Bereich der Malerei und Installation und inszeniert in Gruppenzusammenhängen Performances. Unter dem Pseudonym It’s Our Pleasure to Serve You wird die Künstlerin in einer Videopräsentation im Westfälischen Kunstverein zu sehen sein. Ihre Gruppenperformance mit Allison Katz (Kanada), Adele Roeder (Deutschland) und Georgia Sagri (Griechenland) war zuletzt im Museum moderner Kunst in Wien zu sehen. Kerstin Brätsch studierte in Berlin und New York, wo sie auch heute noch lebt und arbeitet.

Ellen Hutzenlaub „Die Arbeit von Ellen Hutzenlaub konfrontiert uns als Betrachter mit einem überaus heftigen, allerdings wohlüberlegten Raumeingriff.“ (Thomas Riga) Im Ausstellungsraum des Westfälischen Kunstvereins wird die in Münster lebende Künstlerin einen ‚archäologischen’ Eingriff vornehmen, indem sie dünne Schichten der Wand abträgt und somit gespeichertes Material und abgelagerte Zeit freilegt. So vollzieht Ellen Hutzenlaub kontinuierlich einen verlangsamten Abriss, der nicht zerstört, sondern Vergangenes offen legt, neu ordnet und neu strukturiert. Es entsteht ein neues Bild aus Schichten der Geschichte.

Gerd Kroske, geboren 1958 in Dessau, absolvierte eine Lehre als Betonwerker und arbeitete als Telegrammbote und in der Jugendkultur, bevor er ein Regiestudium in Potsdam-Babelsberg aufnahm. 1990 entstand seine Dokumentation Kehraus über Straßenfeger in Leipzig, zu denen er 1996 in Kehrein/Kehraus und 2006 mit Kehraus, wieder zurückkehrte. Die drei Filme stellen eine eindringliche Dokumentation einer Lebensrealität dar, die soviel Geschichte wie Gegenwart in sich trägt. Kehraus - 1990, nachts auf den Straßen von Leipzig: Straßenfeger räumen weg, was keiner mehr braucht. Neben vielem anderen Müll, auch abgenutzte Wahlplakate. Endzeitstimmung macht sich breit. Das was kommen soll, klingt zwar viel versprechend, ist aber noch nicht fassbar. Gerd Kroske rückt in seinen Filmen Menschen ins nächtliche Licht, die mit ihren Lebensläufen schon immer zwischen den Polen schwankten. Kehrein, Kehraus - Sätze wie „Ich wollt’ ne Frau, die so gut kocht wie meine Mutter. Bekommen habe ich eine, die so viel säuft wie mein Vater“ lassen Träume erahnen und illustrieren die Realitäten. 1997 fegt niemand mehr. Gabi, Stefan und Henry, die Protagonisten von damals, pendeln zerbrechlich zwischen Sozialamt, Kneipe und Wohnung. Immer bleibt ein Rest, etwas, was nicht aufgeht... Kehraus, wieder - „Kehraus, wieder“ entstand 2006 als dritter Film über Straßenkehrer in Leipzig. Sechzehn Jahre sind seit „Kehraus“, 1990 vergangen und die Straßenkehrer Stefan und Marlen sind schon nicht mehr am Leben. Gabi schlägt sich durch und ihre nun erwachsenen Kinder stehen vor den Realitäten ihrer eigenen Kindheit. Henry und Marion haben sich eingerichtet. Die Enkelgeneration ist bereits in Pflegefamilien untergekommen. „Man lebt so dahin...“

Mit verblüffender Überzeugungskraft schlüpft Tamy Ben-Tor (*1975) in ihren Filmen und Performances in immer neue Rollen, die, wie die Künstlerin selbst sagt, nie der Realität entnommen sind. Vielmehr sind die Figuren der gebürtigen Israelin Verkörperungen ihrer ‚geistigen Dämonen’ und manifestieren ihre Identitäten nicht nur in der äußeren Gestalt, sondern durch ihre eindringliche und dezidiert charakterisierte Sprache. Die häufig einfachen, aber auf den Punkt gebrachten Kostüme sowie die überdrehten Charaktere konfrontieren den Betrachter von Normal (2006) und The End of Art (2006), mit einer ganz bestimmten Art der kulturellen „Überforderung“. Ben-Tor führt ihre Figuren bis zur Ekstase und wechselt kompromisslos zwischen Komik und Tragik. Dieses psychotische Repertoire zieht sich als roter Faden durch ihre Videos und Performances.

Der Hamburger Autor, Künstler und Kurator Hans-Christian Dany (*1966) liest aus seinem 2008 erschienenen Buch SPEED - Eine Gesellschaft auf Droge. In seiner kulturgeschichtlichen Darstellung hebt er das pharmazeutische Amphetamin als kulturellen Faktor in einer leistungsorientierten und geschwindigkeitsverliebten Gesellschaft hervor. Das Buch stellt die schillernde Wirkung der Droge, deren Verwendung vom Militär bis zur Clubszene reicht, in ihrem Zwiespalt dar. Der Einfluss von Speed auf das Werk von Künstlern wie Judy Garland, Philip K. Dick, Jean Paul Sartre, Andy Warhol, Elvis Presley oder Johnny Rotten wird ebenso beleuchtet wie die Schattenseiten von Beschleunigung und Produktivitätssteigerung der Arbeitskraft und Grenzüberschreitung in der Kreativität. Zudem werden Zeichnungen von Hans Christian Dany ausgestellt, die zwischen 1997 und 2008 entstanden sind.

Freihaus ms im Kunstverein zu Gast: Hammerhaus (audio-visuelles Konzert) Hanfreich (beats & loops) & Laurenz Theinert (visual piano) Verloren: Im Rauschen zwischen Licht und Sound Am Grenzbereich zwischen Geräusch und Musik, eingetaucht in ein Labyrinth der Installation des Lichts: Hammerhaus aus Stuttgart machen Klangkunst, pulsierend wie berauschend. Minimalistisch und experimentell pocht es durch den Raum. Loops, die sich entwirren. Hanfreich, der musikalische Kopf von Hammerhaus, mischt elektronische Sounds zu Club-Beats, die sich urplötzlich im Nichts verlieren; man könnte meinen, Ambient ist Hanfreich nicht abstrakt genug. Und doch ist da Struktur, Form, Ordnung – durch eine visuelle Ästhetik, mit der Lichtkünstler Laurenz Theinert den Raum ausfüllt. Mit seinem Visual Piano – eine Art Bildinstrument, gesteuert über Tastatur und Pedalen – erzeugt Theinert grafische Elemente in Echtzeit, einen Kosmos aus dynamischen Linien, Flächen und Farben. Bilder, die den Beat konterkarieren wie kompensieren. Improvisation, in der das Licht die Zeit bestimmt, und doch viel Freiraum lässt: Hammerhaus am Rande der audiovisuellen Eskalation. mehr Informationen unter

Aki Takase & Silke Eberhard Ornette Coleman Anthology Silke Eberhard - Altsaxophon, Klarinette, Bassklarinette Aki Takase - Klavier Zum Abschluss noch einmal ein Höhepunkt. Mit der seit 1987 in Berlin lebenden japanischen Pianistin Aki Takase präsentiert der Jazzclub im Westfälischen Kunstverein eine Klassikerin des modernen Jazz. Einerseits steht die 1948 in Osaka geborene Takase mit ihren Projekten und Eigenkompositionen an vorderster Front der aktuellen Jazzentwicklung, andererseits verbindet sie ihre intensive Beschäftigung mit musikalischen Vorläufern (u.a. CD-Aufnahmen der Musik W.C. Handys, Fats Wallers, Eric Dolphys) in das Zentrum der Jazztradition. Vor drei Jahren hat sie sich nun mit der jungen Saxophonistin und Klarinettistin Silke Eberhard zusammengefunden, um die frühen Werke des Jazz-Innovators Ornette Coleman neu zu interpretieren. Silke Eberhard gilt ihrerseits als eine der vielversprechendsten Musikerinnen ihrer Generation. Seit 2000 ist sie auf internationalen Bühnen unterwegs und überzeugt mit großartigen Veröffentlichungen unter eigenem Namen (z.B. Silke Eberhard Trio „Being“, JWO 27). In ihrer Zusammenarbeit gelingt es den beiden Musikerinnen sowohl die geheimnisvolle Schönheit der Musik Colemans als auch ihre eigene Kreativität in den Vordergrund zu stellen. Eine faszinierende Reise in den Kosmos einer Jazzlegende und zugleich die Entdeckung eines traumwandlerischen Duos im Hier und Jetzt.

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KEHRAUS
Abschied von stabilen Wänden

Künstler: Tamy Ben-Tor, Hans-Christian Dany, Messieurs Delmotte , Michele Di Menna, Ellen Hutzenlaub, It´s Our Pleasure To Serve You , Sandra Kranich, Lili Reynaud Dewar