press release only in german

KATHARINA GROSSE
AT 30 PACES SHE COULD SPLIT A PLAYING CARD

30. OKTOBER – 18. DEZEMBER 2020
KÖNIG GALERIE NAVE

Die KÖNIG GALERIE freut sich, mit AT 30 PACES SHE COULD SPLIT A PLAYING CARD eine Ausstellung mit neuen Werken von Katharina Grosse in der NAVE von St. Agnes zu präsentieren. Es ist die dritte Einzelausstellung der Künstlerin in der Galerie. Gezeigt werden großformatige Arbeiten auf Leinwand und Sperrholz, die in Berlin und Neuseeland entstanden.

Die Malerei von Katharina Grosse hält sich außerhalb der Kategorien von Repräsentation und Abstraktion: Sie operiert in der Wirklichkeit und mit der Wirklichkeit. Dabei bedient sie sich eines dirigierten Nebels aus winzigen Farbtropfen, um auch über die Distanz farbige Spuren zu hinterlassen und widerstandslos die Grenzen der Dinge zu queren. Dazu hat Grosse gesagt, dass Malerei sich überall (in der Wirklichkeit) niederschlagen kann – auf jeder Fläche, auf allen Gegenständen, die mit gesprühter Farbe erreicht werden. So fungieren Stellen, an denen Malerei zu sehen ist, als Flächen für farbige Ablagerungen, die sich auch anderswo zeigen können – jede realisierte Arbeit ist ein Fragment. Als Fragmente stellen die einzelnen Malereien einen Anschluss her zu weiter ausgreifender, alle konventionellen Unterteilungen der Wirklichkeit auflösender Malerei. Diese Malerei ist selbst nicht zu sehen, zu kennen oder zu beschreiben, aus ihr aber speist sich der farbige Niederschlag.

In der Ausstellung werden große und weniger große rechteckige Leinwandformate neben Malereien auf unregelmäßig begrenzten Bildträgern gezeigt, die aus mehreren einander teilweise überlagernden Sperrholzplatten zusammengesetzt sind. Grosse hat die Leinwände in ihrem Atelier in Berlin gemalt, die Arbeiten auf Sperrholz in ihrem Atelier in Neuseeland. Den verschiedenen Orten entsprechen verschiedene Malweisen und unterschiedliche ästhetische Familienähnlichkeiten: Die Bilder aus Berlin sind bestimmt durch breite, transparente, ineinander geblendete Farbbahnen und eine bestimmte vorherrschende Farbigkeit, während in den Bildern aus Neuseeland die kühle Buntheit der scharf voneinander abgesetzten Farbschlitze einem überwiegenden Schwarzanteil gegenübersteht. Jeweils wird die Farbe mit mehr oder weniger gleichförmig schwingenden Bewegungen aufgesprüht. Aus der nachvollziehbaren Dynamik des repetitiven Malprozesses aber ergeben sich farb-räumliche Effekte, die irreal bleiben, da der zeitliche Aufbau von übereinander liegenden Farbspuren aus der Anschauung nicht rekonstruierbar ist. So verbinden diese Arbeiten Momente der unmittelbaren und alltäglichen Plausibilität mit Momenten von Irrationalität und Irritation und stellen die Verbindung von Ursache und Wirkung in Frage.
Alles Sichtbare ist durchzogen von der Anwesenheit überdeckter und unsichtbar gewordener Farbe: Was zu sehen ist, ist die oberste Schicht eines Sediments, das in einem zeitlichen Verlauf andere Farbschichten unter sich begraben hat. Spezielles Indiz für die koordinierte Ablagerung von Farbe ist eine lineare, erratisch bewegte Störung, erzeugt durch Zweige oder Längen geknickten Kunststoffmaterials, die vor Beginn des Sprühprozesses auf der Bildtafel befestigt und zum Schluss (in den meisten Fällen) wieder entfernt werden. Gleichzeitig ist nichts als jener Teil der Malerei zu sehen, der die transportablen Flächen getroffen hat, während der vollständige farbige Niederschlag offensichtlich weit über die Begrenzungen der flachen Bildträger hinausläuft. Ein unbekannter Teil der Malerei, auf den jedoch zu schließen ist, hat sich außerhalb der Sperrholzplatten oder Leinwände auf dem Fußboden oder der Wand des Ateliers in Neuseeland oder Berlin abgesetzt. Nicht wird die Malerei dem vorgegebenen Bildträger angepasst, sondern dessen Form und Platzierung bestimmt das Bild: Eine andere räumliche Disposition des Malgrundes hätte ein anderes Bild registriert.

So lassen sich die einzelnen Arbeiten in der Ausstellung als wiederholt verschobene, veränderte und ausgewechselte Projektionsflächen verstehen, die jeweils zu sehen geben, was andere Projektionsflächen von der Sichtbarkeit ausschließen. Wie auch bei den in situ gesprühten Werken steht in den nun gezeigten, auf transportablen Bildträgern ausgeführten Arbeiten die Frage des Ortes an erster Stelle: Wo ist die Malerei? Jede einzelne Arbeit in der Ausstellung ist geprägt durch die Malerei, die sie nicht zeigt unter Bedingung von eingeschlossener Zeit und ausgeschlossenem Raum. So zielt Grosses Malerei darauf hin, den Mangel des einzelnen Werkes zu dessen eigentlichem Gegenstand zu machen. Wenn es gelingt, mit einer Malerei anzuschließen an das Nicht-zu-Sehende der Malerei, tritt deren Potentialität in den Vordergrund. Damit ergeben sich eigentümliche Widersprüche: Das Bild ist umso stärker, je weniger das Bild als abgeschlossene, vollendete Setzung auftritt. Umgekehrt bedarf es einer solchen Setzung, um dem Bedeutung beizumessen, was dem Bilde fehlt.

At 30 paces she could split a playing card – auf 30 Schritt Entfernung konnte sie eine Spielkarte von der Seite entzweischießen – so heißt es von der amerikanischen Scharfschützin Annie Oakley, die ab 1885 in Buffalo Bill’s Wild West Show aufgetreten ist.

Text: Ulrich Loock

Die Künstlerin Katharina Grosse (*1961, Freiburg im Breisgau) ist seit mehr als 25 Jahren auf dem internationalen Parkett vertreten. Zu ihren jüngsten institutionellen Ausstellungen und ortsbezogenen Malereien gehören unter anderem „psychylustro“ im Rahmen des Philadelphia Mural Arts Programme (2014); „yes no why later“ im Garage Museum of Contemporary Art, Moskau (2015); „Seven Hours, Eight Voices, Three Trees“ im Museum Wiesbaden (2015); „Untitled Trumpet“ im Rahmen der 56. Biennale di Venezia (2015); „Katharina Grosse“ im Museum Frieder Burda, Baden-Baden (2016); „Rockaway“ im Rahmen des MoMA PS1-Programm "Rockaway!" in Fort Tilden, New York (2016); „Asphalt Air and Hair“ im Rahmen der ARoS Triennale, Aarhus (2017); “This Drove My Mother up the Wall“ in der South London Gallery (2017); „The Horse Trotted Another Couple of Metres, Then It Stopped” im Carriageworks, Sydney (2018); „Wunderbild“ in der Nationalgalerie in Prag (2018/2019); „Mumbling Mud“ im chi K11 art museum in Shanghai (2018/2019) sowie im chi K11 art space in Guangzhou (2019); „Mural: Jackson Pollock I Katharina Grosse“ im Museum of Fine Arts, Boston (2019/2020). Aktuell sind ihre Ausstellungen „Is It You?“ im Baltimore Museum of Art und „It Wasn’t Us“ im Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin zu sehen. Sie lebt und arbeitet in Berlin und Neuseeland.