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ort: Caprii, Orangeriestraße 6, Düsseldorf

Justin de Verteuil Nexus
12.05. - 17.06.2023
Eröffnung am 12. Mai, von 18 bis 21 Uhr

nexus m <nexūs> || nectere || Verknüpfung, Umschlingung, Verbindung, Zusammenhang Somewhere over the rainbow way up high

Malerei als ein Medium, um mit der Welt zu interagieren und in die Intimität des Ateliers zu übertragen: Justin de Verteuil lässt zwischenmenschliche Beziehungen als gestalterisches Element einfließen, um Stimmungen zu transportieren und in seine figurativen Bildwelten zu übersetzen und weiterzuentwickeln. Fotografisch festgehaltene Momente von Reisen und Alltagsleben dienen als Vorlage, innere Konflikte und Sehnsüchte strukturieren den Raum. Neben Selbstporträts (Tit for Tat, 2023) finden sich Personen aus dem familiären und persönlichen Umfeld des Künstlers in Gruppensituationen (7th Heaven; Tölke Eck, beide 2023) oder als Einzelgänger*innen (Thibaut, 2023) dargestellt. Sie erzählen vom Jetzt, einer Zeit, die durch Pandemie, Entfremdung, Isolation und eine kollektive Unruhe gekennzeichnet ist. Die Leinwand wird zur Projektionsfläche dieser Eindrücke, die durch das Spannungsverhältnis zwischen Nähe und Distanz, zwischen An- und Abwesenheit gekennzeichnet sind und sich in den Komponenten der Figur und des Raums verdichten.

„Wir alle auf Terra leben in unruhigen Zeiten, in aufgewirbelten Zeiten, in trüben und verstörenden Zeiten. Die Aufgabe besteht nun darin, reagieren zu können, und zwar gemeinsam und in unserer je unbescheidenen Art. [...] Die Aufgabe besteht darin, sich entlang erfinderischer Verbindungslinien verwandt zu machen und eine Praxis des Lernens zu entwickeln, die es uns ermöglicht, in einer dichten Gegenwart und miteinander gut zu leben und zu sterben.“
– Donna Haraway, Unruhig bleiben, 2018, Frankfurt/M., S. 9.

Der Eindruck von Nähe und Verbundenheit in de Verteuils Kompositionen täuscht: Die Berührungen und Interaktionen wirken distanziert, deplatziert und nicht stimmig mit der Körperhaltung und Mimik der Protagonist*innen. In kaum einem Moment kommt es zu Blickkontakt zwischen den Figuren. Jede Person ist mit sich und auf sich fokussiert. Intimität ist eine imaginierte, suggerierte Komponente der sozialen Gefüge. Schauplätze der Handlungen sind Innenräume, Architekturen, Stadträume, die durch präzise Details ihrerseits Hinweise auf eine reale Entsprechung und Verortung geben und doch vieldeutig bleiben. Fast immer zu sehen ist der blaue Himmel, der sich wie eine Ausflucht, ein Hoffnungsschimmer, öffnet.

Ganz besonders stechen die Handgesten heraus, die die Beziehungen zwischen den Figuren maßgeblich definieren: ein provokativ ausgetreckter kleiner Finger, der demonstrative Mittelfinger, eine schützende und eine neckende Hand, unterm Kinn kitzelnd, eine grobe Umarmung, ein Festhalten.

Wie unsichtbare Fäden spinnen sich – im Versuch, Verwandtschaften im Sinne Haraways herzustellen – Verbindungslinien durchs Bild und formen die Erzählung. You are Someone like You (2023) zeigt zwei Personen vor einem öffentlichen Platz mit Brunnen. Ein Sonnenschirm spendet ihnen Schatten. Sie sind einander zugewandt, schauen sich aber auch hier nicht an. Eine der beiden, in ornamentiertem grünem Hemd, blickt aus der Bildfläche heraus die Betrachter*innen an. Den rechten Arm ungelenk, fast grob um die Schultern der Person in Rot rechts neben sich geschlungen, mit der Hand ihren Kopf haltend, an sich drückend, klammernd. Der linke Arm hängt herab, die linke Hand ist vom Körper abgespreizt und legt sich ganz nebenbei schützend wie dominierend über den Kopf der auf den Treppenstufen im Hintergrund sitzenden Person – subtile Kompositionslinien, die von sozialen, asymmetrischen Beziehungen und Machtverhältnissen erzählen.

„Im Spiel mit Fäden geht es um das Weitergeben und In-Empfang-Nehmen von Mustern, um das Fallenlassen von Fäden und um das Scheitern, aber manchmal auch darum, etwas zu finden, das funktioniert, etwas Konsequentes und vielleicht sogar Schönes; etwas, das noch nicht da war, ein Weitergeben von Verbindungen, die zählen; ein Geschichtenerzählen, das von Hand zu Hand geht, von Finger zu Finger, von Anschlussstelle zu Anschlussstelle – um Bedingungen zu schaffen, die auf der Erde, auf Terra, ein endliches Gedeihen ermöglichen.“ – Haraway, S. 20.

De Verteuils allegorische Ölmalereien verweisen auf das grundlegende Bedürfnis nach Verbundenheit, Liebe und Zuneigung – mit allen Enttäuschungen, Unsicherheiten, destruktiven Potentialen
und Spannungen, die durch die überhöhte Inszenierung hier und da bewusst ins Absurde und Transzendente kippen. Teils verlassen die Portraits und Szenerien irdische Gefilde und werden – in Anlehnung an frühgotische, ikonografische Malerei – zu Heiligendarstellungen überspitzt. In 12 Chelsea (Rainbow) (2023) ist im unteren Bildteil eine Alltagssituation der Familie des Künstlers auf Trinidad im sonnigen Hinterhof zu sehen – zwei spielende Kinder, eines auf den Rücken der Mutter kletternd, das andere über den saftgrünen Rasen rennend, der Vater gedankenversunken die Arme ausbreitend, bereit zum Fliegen. Darüber wacht, von einem Regenbogen umgeben, die Heilige Familie. And the dreams that you dream of once in a lullaby.
Text | Miriam Bettin

Justin de Verteuil
Der 1990 in Port of Spain, Trinidad und Tobago, geborene Justin de Verteuil begann seine Ausbildung mit einem informellen Tutorat bei Edward Bowen im Jahr 2012 in Trinidad, bevor er 2014 als Gaststudent in der Klasse von Peter Doig die Kunstakademie Düsseldorf besuchte. Seine Zeit an der Akademie verbrachte er in der Klasse von Siegfried Anzinger (2015–2020) und Katherina Wulff (2020–2023). Justin wurde 2019 als Meisterschüler von Siegfried Anzinger ausgezeichnet.