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Im öffentlichen Raum können einem Erlebnisse widerfahren, die intim erscheinen. Immer mehr Privates verlässt den geschützten Raum der Wohnung und wird zur Schau gestellt. Man zeigt sich, in einer Form, die noch vor Kurzem als hochnotpeinlich galt, heute aber für manche die Normalität darzustellen scheint. Die Grenzen zwischen den Sphären erscheinen fliessender. Die politische Parole das Private ist politisch wird von einer Wirklichkeit überholt, die sich mit solchen zweipoligen Unterscheidungen kaum noch nachzeichnen lässt. Es gibt sie noch, die Bereiche des Privaten und des Öffentlichen, aber sie sind kaum trennbar ineinander verwoben. Das Leben bewegt sich heute durch eine grundsätzliche Umwälzung der Vorstellungen von Individuum und Gesellschaft, die kaum eine Ausweichmöglichkeit zulässt. Sich diesen Veränderungen durch Abwehr und Rückzug zu entziehen erscheint manchmal verlockend, führt aber meist allein in den Ausschluss seiner Selbst vom öffentlichen Leben. Mit den Entwicklungen einfach nur mitzugehen führt zu kaum mehr als einem müden Opportunismus. Die Herausforderung liegt vielmehr darin, ein selbstbestimmtes Verhalten in veränderten Umständen, die erst einmal verstanden werden wollen, zu finden.

Juliette Blightmans künstlerische Auseinandersetzung fusst auf Beobachtungen und Eindrücken aus ihrem Leben, der Wirklichkeit, die sie alltäglich umgibt. Was sich zusammensetzt, ist ein Kaleidoskop aus Bildern ihrer Familie, der Freunde, Reisen, Feiern, der gemeinsam verbrachten Zeit, von Interieurs, Nahaufnahmen leicht zu übersehender Feinheiten – des eigenen Kosmos wie dem der anderen. Seit Jahren entsteht ein Archiv aus Momentaufnahmen, die den Fluss ihrer Tage markieren. Es handelt sich um den Versuch, für die gelebte Zeit eine Bildsprache zu finden und diese über die reine Vergänglichkeit hinauszuheben. Blightman sucht nach Formfindungen, die über das Festhalten flüchtiger Momente hinaus ein Bild des Geistes der eigenen Zeit zusammenfügen. Was sie montiert, ist ein Film, der kein Film ist, dessen Schnittfolge das Erlebte fassbarer werden lässt. Eine Projektion, in deren geworfenem Abbild das Jetzt verstehbarer wird.

Die Situationen, die Blightman in ihren Bilderfolgen einholt, scheinen oft kaum der Rede wert. Sie wirken gewöhnlich und vertraut, sind fernab von einzigartigen Erlebnissen, bemerkenswerten Beobachtungen und großartigen Taten. Es ist genau dieses Interesse an dem, was als irrelevant gilt, als unspezifisch, austauschbar. Die Mutmassung, dass es gerade die kleinen Zeitabschnitte sind, die einen ganzen Lebensabschnitt zusammensetzen können. Bei all dem unterscheiden sich Blightmans Bilder von den privaten Familienalben, wie sie uns von früher vertraut sind. In manchem wirken sie den Bildern, die gegenwärtig entstehen, um im Internet das Leben abzubilden, da schon etwas ähnlicher. Doch auch zu dieser Art von Selbstdarstellung besteht ein klar gezeichneter Unterschied. Bei Blightman kommt eine gebrochenere Theatralität ins Spiel. Die Bilder wirken von einer ungewöhnlichen Stille, Distanziertheit und Melancholie erfüllt. Es ist ein unbekannter Blick auf das Alltägliche, der gerade, weil ihn Momente des Konventionellen, fast Unkünstlerischen kreuzen, das Unspektakuläre in ein poetisches Licht rückt. Diese Beleuchtung wird immer wieder anders komponiert. Neu entstandene Aufnahmen konfrontiert Blightman mit älteren, lässt das Erlebte aus verschiedenen Zeiten nebeneinander laufen. Es kommt zu überraschenden Konstellationen, aber auch zu Varianten und Wiederholungen, die nochmals zeigen, um zu insistieren. Es sind Versuche der Vergegenwärtigung des Geschehenen, ohne dieses in der Behauptung einer Ordnung zu fixieren. Dabei wird das Archiv der eigenen Geschichte nie als Ganzes sichtbar. Ein gewisser Voyeurismus, der uns allen vertraut sein dürfte, wird gereizt, aber nicht bedient. Werden Intimitäten sichtbar, tauchen sie abstrahiert oder in formalen Übersetzungen auf. Ein Motiv einer Fotografie wird in eine Malerei oder Zeichnung übertragen, die wiederum in einem Film auftauchen können.

Juliette Blightman wechselt in ihrer Arbeit zwischen Fotografie, Malerei, Zeichnung, Installation, Text und Film. Arbeiten von anderen Künstlern/innen und Familienmitgliedern werden Teil eines Ganzen. Das Aussen und sein Wirken auf ihr eigenes Tun werden auf diese Weise einbezogen. Was sich dabei zusammensetzt, ist geprägt von kinematografischen Einflüssen, die Blightmans künstlerische Ursprünge im Film erkennbar werden lassen. Jedem Raum, oder sollte ich sagen, jeder Einstellung verleiht sie eine eigene Atmosphäre, die einen trägt, wenn man wie durch Szenen hindurchwandelt und selbst ins Bild gerät.

Arbeiten von Juliette Bligthman (geb. 1980 in Farnham, UK, lebt in Berlin) wurden u.a. präsentiert in der South London Gallery, London (2016), Galerie Azzedine Alaïa, Paris (2016), Badischer Kunstverein, Karlsruhe (2015), Eden Eden, Berlin (2015), Karma International, Los Angeles (2015), Pied-à-terre, San Francisco (2015), Forde, Genf (2015), Cubitt, London (2015), Kunsthaus Bregenz (2014), Artists Space, New York (2014), Essex St, New York (2013), Drawing Room, London (2013), Museion, Museo di arte moderna e contemporanea, Bolzano (2012), Galerie Isabella Bortolozzi, Berlin (2012), British Art Show 7, diverse Orte UK (2011), International Project Space Bournville, Birmingham (2011), Künstlerhaus Stuttgart (2010), Irish Museum of Modern Art, Dublin (2010).