Galerie der Stadt Fellbach

Städtische Galerie der Stadt Fellbach | Marktplatz 4
70734 Fellbach

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Die Welt, der Raum, die Dinge
Die Kunst des Bildhauers Jürgen Schön

Einfach macht diese Kunst es dem Betrachter wahrlich nicht. Sie gibt nicht an und plustert sich nicht auf, kokettiert nicht, will nicht verführen und becircen mit leuchtend bunten Farben oder schmeichlerisch bearbeiteten Oberflächen. Ganz im Gegenteil scheinen sich Jürgen Schöns Skulpturen um Besucher seines Ateliers erst einmal nicht zu scheren. Und bleiben auf Distanz, als seien sie sich selbst genug. Behaupten sich derweil ganz selbstverständlich wie auf einer Bühne, stehen auf dem Boden, beinahe klassisch schon auf einem Sockel oder hängen, gleichsam monochromes Bild oder zumindest doch Relief geworden, an der weißen Wand.

Finden sich hier zu kleinen Gruppen, proben dort ein Solo oder ein Duett, liegen, einen Sprung bloß von des Künstlers großem Dresdner Sommeratelier, gelegentlich in Eisen, Aluminium oder in Beton gegossen, still im Schatten seines von dichtem Efeu und Holunder wild umrankten Gartens. Beinahe so, als gehörten sie schon seit Jahrzehnten, seit Jahrhunderten womöglich, Wind und Wetter ausgesetzt, genau an diesen Ort. Dabei kann es keinen Zweifel geben, dass es sich nicht um Natur, sondern um Artefakte handelt. Dass es Schön, der vor gut und gerne 25 Jahren von der figürlichen Steinbildhauerei zur Plastik und zum Papier als seinem bevorzugten Material gefunden hat, in seinem Werk zunächst um klassisch skulpturale Fragen geht.

Um leicht und schwer etwa, Dichte und Material, Stabilität und Fragilität; um Maßstäblichkeit, Struktur und Oberfläche und vielleicht mehr noch als alles andere um Raum. Und was in diesem Raum geschieht, verändert man die Parameter. Indes, vielleicht, mag man, allein mit sich und den Skulpturen denken, die Schön stets bloß lapidar seine „Objekte“ nennt, vielleicht ist es ja tatsächlich so. Und all die schlichten Formen sind im Grunde immer schon da, und der Künstler schiebt sie nun von hier nach dort; hat sie womöglich gar bloß irgendwo gefunden, sie gleichsam mit Stift und Papier und aufmerksamem Blick soeben von der Straße aufgelesen.

Und zeigt sie uns – oder lässt sie ganz im Gegenteil vor unser aller Augen kurzerhand verschwinden. Nicht immer lässt sich derlei mit Gewissheit unterscheiden. Dabei, so zeigen nicht zuletzt Schöns Skizzenbücher, lässt er sich in der Tat vom ganz banalen Alltag und insbesondere von der Wahrnehmung der Dinge inspirieren. Sind es doch meist eher flüchtig wahrgenommene Bilder, architektonische Großformen etwa, Strukturen und Details, aus denen er sein Vokabular herauslöst wie aus einem Steinblock und über einer tragenden Struktur aus Holz und Pappe Schicht um Schicht und mit immer neuen Lagen aus Papier in plastisch abstrahierte Formen übersetzt.

Immer reduzierter, immer spröder auch sind seine Arbeiten über die Jahre geworden, entschieden konzentrierter derweil auch, als gelte es, alles Dekorative, allen Zierrat, kurzum alles, was vom Wesentlichen der verdichteten Form ablenkt, am Ende kompromisslos abzuschlagen. Schlichte, betongraue und meist geometrisch inspirierte Formen kennzeichnen seither sein Werk, flankiert von reduzierten Zeichnungen in stets identischem Format, die - schlammfarben, gewitterwolkig, in gebrochenem Weiß auch oder schiefergrau wie die Skulpturen -, noch stets mehr und im Kern auch etwas gänzlich anderes vorstellen, als man es von einer Bildhauerzeichnung erwartete. Dafür hat Schön schließlich sein Skizzenbuch.

Und die Fotografie, klassisch analog und in Schwarzweiß, die geradeso wie die schnell hingeworfene Bleistiftskizze Aufschluss gibt über die Herkunft seiner Formen, die er angesichts der Stufen einer ausgetretenen Treppe ebenso findet wie beim Anblick eines massiven Stahlträgers, einer in den Wellen tanzenden Boje, eines Heizkörpers vielleicht oder eines sanft auf dem Wasser schaukelnden Lotusblatts. Allein, am Ende wird erst umgekehrt ein Schuh daraus. Und es ist nicht zuletzt das im engeren Sinne grafische Werk, das deutlich macht, dass es ihm um mehr und etwas anderes geht, als darum, sich dergestalt ein Bild zu machen und mithin wie ehedem der erste aller Schöpfer die Welt in altbekannte Form zu gießen.

Schöns Kunst stellt im Gegenteil vor allem Fragen. Und entsprechend ist es ihm auch in seinen Zeichnungen um ungleich mehr zu tun, als bloß um den Entwurf. Vielmehr gilt es ihm, auch in der Fläche jene Fragen Mal um Mal und aus stets anderer Perspektive neu zu formulieren, wie er sie seit jeher im Raum und also in der Plastik untersucht. Mit hier wie dort gleichermaßen überraschenden, immer wieder wahrhaft staunen machenden Ergebnissen. Denn einmal eingetreten in Schöns künstlerisches Universums, findet man so schnell nicht wieder heraus. Möchte man doch beinahe meinen, seine Skulpturen fänden sich tatsächlich überall.

Mag man sie alsbald in architektonischen Formen und Details entdecken, wie sie sich im urbanen Kontext allenthalben finden, auf Baustellen geradeso wie an Gesimsen, anhand von Pollern oder vor gerasterten Fassaden, in Form von Kapitellen, Abluftrohren und blechernen Panelen. Weniger, weil diese Skulpturen die Welt, die Dinge und den Raum abzubilden oder gar zu imitieren trachteten. Schön ist alles andere als ein zu spät gekommener Pop-art-Künstler, sondern steht im Gegenteil auf konstruktiv-konkretem Fundament.

Am Ende ist es denn auch umgekehrt. Und es sind die Dinge, die der Kunst mit einemmal fast zum Verwechseln ähnlich werden. Ein verblüffender und überdies ein nachgerade beglückend zu nennender Effekt. Denn wer hätte das im Ernst gedacht? Dass die Kunst im Zeitalter des Pragmatismus noch immer dazu taugte, die Wirklichkeit mit anderen Augen wahrzunehmen.

Die Dinge, mag man mit Jürgen Schöns Skulpturen hoffen, sind womöglich doch nicht immer, was sie scheinen und was wir folglich augenscheinlich glauben. Mag sein für den Moment, doch nicht für alle Zeit. Das ist es, was die Kunst vermag. Und schon das darf in einer entzauberten Welt nicht eben wenig gelten. Vor den Objekten aber, all den leicht aus der Form gegangenen Quadern und Pyramiden, Kegeln, Polyedern und Zylindern, sieht man es nicht bloß. Man kann es spüren im pulsierend dichten, hier komprimierten, dort unendlich weit gedehnten Raum. Und ist mit sich, der Welt und allem Dasein und sei es bloß für diesen einen Augenblick versöhnt.

Christoph Schütte