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„Ich hatte als Kind ein eigenes Fotoalbum voller Fotos, die mein Abbild zeigten. Dass anhand von Fotos in meinem Fotoalbum etwas entstand, was ich für meine Erinnerung hielt, war extrem merkwürdig. An ganze Geschichten konnte ich mich nur durch diese Fotos und die Erzählungen dazu erinnern – so als hätte ich selbst nie daran teilgenommen“ (Jörg Sasse). Das Verhältnis zwischen Fotografie und Realität, die Konstruktion von Erinnerung und die Manipulierbarkeit der Wirklichkeit durch die Fotografie bestimmt von allem Anfang an das Werk Jörg Sasses, der seit vielen Jahren zu den wichtigsten und einflussreichsten Fotografen aus der Düsseldorfer Becher-Klasse gehört. Im Dickicht möglicher Bild-Fallen und -Interpretationen geht es dem Künstler in erster Linie darum, die visuelle Eigenlogik des fotografischen Bildes im Blick zu behalten. Die Schönheit und Rätselhaftigkeit seiner Aufnahmen speist sich vor allem aus einer stupenden Fähigkeit, aus dem unendlichen Potential der möglichen Bilder die Konstellationen zu destillieren, die einerseits offen und lesbar scheinen und andererseits doch auch immer vom anhaltenden Staunen über die Eigenmächtigkeit des Visuellen handeln. Dabei verzichtet Jörg Sasse, anders als viele seiner Kollegen aus der Becher-Schule wie beispielsweise Thomas Ruff, Candida Höfer oder Thomas Struth, völlig auf das Prinzip der Serie und realisiert seine Arbeiten ausnahmslos als Einzelwerke. Zehntausende von Amateur- und eigenen Aufnahmen dienen dem Fotografen als Archiv, als eine Sammelstelle von bildnerischen Möglichkeiten, die noch in jede Richtung hin entwickelbar sind. Auf der Suche nach einer „völlig unverstellten Gegenwart“ (Sasse), dem Moment, der die ganze Banalität und Einzigartigkeit des Augenblicks enthält, verwandelt der Künstler sein Ausgangsmaterial durch erste, meist geringfügige Eingriffe in „Skizzen“, von denen pro Jahr etwa zehn bis fünfzehn tatsächliche Bildreife erlangen. Seit den frühen 80er Jahren ist auf diese Weise ein Werk entstanden, dessen suggestive Kraft sich direkt aus dem ihm eingeschriebenen universellen visuellen Begehren speist. Es sind Bilder, die etwas treffen, weil sie alles vordergründig Wichtige bewusst verpassen, Verdichtungen, die von den Momenten erzählen, an denen der konventionelle Zusammenhang aussetzt und sich an die Stelle des vertrauten Kontextes die Lücke des Nicht-Ereignisses schiebt. Und nicht zuletzt sind es atemberaubend schöne Bilder, ohne dass sie je auch nur in die Nähe eines Kitsch-Verdachtes geraten. Ihre Schönheit besteht vielmehr in der Unmöglichkeit, sie narrativ oder logisch aufzulösen.

Die in Zusammenarbeit mit dem Kunstmuseum Bonn entstandene Ausstellung zeigt neben einem großen Konvolut der für Sasse grundlegend wichtigen „Skizzen“ vorwiegend neue Arbeiten aus den letzten Jahren. Im Verlag Schirmer & Mosel erscheint dazu eine umfassende Publikation.

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