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John Pule, auf Niue geborener Neuseeländer, Poet, Schriftsteller, Romanschreiber und Maler, hat im Verlaufe seines ereignisreichen Lebens einige persönliche Metamorphosen erfahren. Vom eingewanderten, marginalisierten, unintegrierten und stereotypisierten Insulaner in einem fremden urbanen Umfeld ist er zu einem global denkenden Visionär geworden. Er kann zu den wenigen Künstlern aus dem pazifischen Raum gezählt werden, die mehr als die Summe sozialer Konventionen sind, die mehr als nur narrative, ästhetische oder symbolisierte Zusammenhänge aufzeigen, die auch mehr als nur reflexive Mitteilungen zu machen haben.

Pules phänomenaler Entwicklung haftet etwas Nietzscheanisches und Eigenwilliges an, das besonders fasziniert. Seine antagonistische Geisteshaltung, geschärft durch das Funkensprühen der Institutionen – Ghetto, Schule, Besserungsanstalt, Fabrik, Strasse – gehört zu einem Charakter, der sich argumentierend durch mehrere Krisen quälte und als Überlebender nicht nur ein eindringliches Zeugnis der Vergangenheit ablegt, sondern auch fähig ist, vorauszuschauen.

Der 1962 geborene Autodidakt begann seine Malerlaufbahn Mitte der 1980er Jahre mit farbenprächtigen Allegorien. Bei seinen Versuchen mit Ölfarbe tänzelte der Pinsel über die Leinwand, wie es einst die Expressionisten vorgemacht hatten. In den Bildern, die während seines Volontariats bei Greenpeace entstanden, ging es um drei verwandte Themen: romantische Liebe, das Vermächtnis des Christentums und den nuklearen Neokolonialismus im Südpazifik. Er imitierte hemmungslos europäische Künstler, die sich von der polynesischen Kultur sowie deren Ideen und Bildwelt inspirieren liessen, etwa Gauguin, Picasso, Matisse und auch den nordisch kühlen Expressionismus von Edvard Munch. Diesen figurativen Arbeiten folgte eine Übergangsphase, in der Pule begann, seine eigene Poesie in niueanischer Sprache auf die Leinwand zu übertragen und mit einfachen Farbblöcken zu umgeben. Die Gemälde wirkten minimalistisch und erfüllten in erster Linie einen didaktischen Zweck. Schliesslich fand Pule 1991 einen Ausweg aus dieser Sackgasse, als er nach fast dreissig Jahren erstmals wieder in seinem Heimatdorf Liku weilte und dabei die Möglichkeiten des traditionellen Designs entdeckte: das Weben und die Hiapo-Muster auf Tapatüchern. Pules innovative Leistung bestand darin, ein Handwerk in eine Kunstform zu verwandeln, indem er das Wurzelgewebe durch Leinwand ersetzte, um anschliessend dem Blickfeld einen radikalen Symbolismus zu verleihen. Was zuvor schön, aber sprachlos wirkte, war nun plötzlich in hohem Masse artikuliert und konnte an jeder Kunstbiennale bestehen. Pules Werk, das nach 1991 entstand, sprüht geradezu vor optischer Dynamik. Er hatte eine öffentliche Sprache gefunden, um persönliche Gefühle auszudrücken und ein kohärentes Weltbild zu entwickeln. Seine Piktogramme sind eine Art Kommunikationsprotokoll, die einem etwas auf den Weg mitgeben, ohne dass man sie restlos verstehen muss. Die animistischen und schamanistischen Ölbilder auf ungespannter Leinwand weisen jene hybride Authentizität von wandelnden Bedeutungsträgern auf, die sie mit Totemsystemen wie buddhistischen Mandalas, geometrischen Sandmustern der Hopi-Indianer, ockerfarbenen Erdzeichnungen australischer Ureinwohner und prähistorischen Petroglyphen aus Venezuela verbinden: Seine dämonischen Kräfte sind universell. Wie schon Freud wusste, sind sie niemals verschwunden, sondern haben nur ihre Namen geändert.

Wenn auch die Strichfiguren auf den ersten Blick plakativ wirken mögen, sollte man sich die manisch repetitive Graphologie eines Keith Haring oder die zwanghafte Stilisierung eines Jean-Michel Basquiat in Erinnerung rufen, um Pules Werk als ausgeklügeltes System zu begreifen, das sich auf dem schmalen Grat zwischen mechanischer Wiederholung und visueller Kakophonie und Anarchie bewegt. Pule setzt ständig variierende grafische Mittel ein. Wie ein Anthropologe sammelt er Objekte aller Art, seine Bilder kommen ethnologischen Miniaturmuseen gleich. Hier und da spürt man die reine Improvisationsfreude des Künstlers. Mitunter sind Brüche und Ausradierungen sichtbar, ebenso gescheuerte, verschmierte und gelöschte Stellen, aber alles geschieht auf delikate und subtile Weise – und mit ironischer Kontrolle.

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John Pule