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Das Werk des dänischen Künstlers Joachim Koester (*1962 in Kopenhagen) basiert auf der Frage, wie sich Geschichte zeigt und festschreibt, ob und welche Alternativen möglich waren und sind. In der Einzelausstellung Ich bin selbst nur ein Aufnahmeapparat präsentiert die kestnergesellschaft eine Reihe von Filmen und Fotografien der letzten sieben Jahre, die sowohl den menschlichen Körper als auch geografische Orte als Archive verschwundener oder verdrängter Geschichte behandeln. Nach dieser Geschichte oder besser nach diesen Geschichten sucht Koester mit einer Methode, die er selbst als »ghost hunting« bezeichnet.

Das Aufspüren und Festhalten von in Vergessenheit geratenen Personen, Dingen und Orten ist ein wesentlicher Antrieb in Koesters Werk. The Barker Ranch (2008), eine Serie von vier Schwarzweiß-fotografien, zeigt in kompositorischer wie bildlicher Schönheit jenen Ort im kalifornischen Death Valley, an dem sich in den 1960er Jahren die legendäre Manson Family versteckt hielt, nachdem sie grausam gemordet hatte – ein Zusammenhang, der sich nicht allein über die Bildebene erschließt. Oft begleiten von Koester verfasste Texte seine Fotografien und Filme. Sie stehen für die wissenschaftliche Recherche als künstlerische Methode. Historische Informationen, die verloren gegangen sind, lange als marginal erachtet oder unterdrückt worden sind, werden in Koesters Arbeiten nicht nur zugänglich gemacht, sondern textlich wie bildlich konstruiert. Narrative Knoten entstehen, wenn Koester mehrere zeitliche Erzählstränge zusammen führt. In The Kant Walks (2005) rekonstruiert er mit Hilfe eines Wissenschaftlers die täglichen Spaziergänge des Philosophen Immanuel Kant anhand zweier Stadtpläne: des vergangenen Königsberg und des heutigen Kaliningrad. Während Koester die Wege abschreitet, begegnen ihm blinde Flecken der Vergangenheit: deplaziert und vergessen wirkende Plätze und Architekturen, die Geschichte nicht linear, sondern als Chaos darstellen.

Immer geht es neben dem Dokumentarischen um vorgestellte, fiktive Welten und Begebenheiten und darum, diesen künstlerisch überzeugenden Ausdruck zu verleihen. Besonders der menschliche Körper als Ort historischer Festschreibungen interessiert Joachim Koester in seinen jüngsten Filmarbeiten verstärkt. In Tarantism (2007) sind es die Bewegungen eines Tanzes, der im Italien des 17. Jahrhunderts Abhilfe verschaffen soll von den Auswirkungen eines giftigen Tarantelbisses, die Koester imaginiert und mit Tänzern inszeniert. Für seinen Film I Myself am Only a Receiving Apparatus (2010) zitiert er einen Brief Kurt Schwitters von 1939 – an den sich auch der Titel dieser Ausstellung anlehnt – und lässt einen Mimen in der Rekonstruktion des Merzbaus im Sprengel Museum Hannover minimale zitternde Bewegungen ausführen. Hier befinden wir uns bereits an einem Ort vorgestellter Realität, dessen eigene Geschichte, die Zerstörung des Merzbaus im 2. Weltkrieg, in der menschlichen Geste Ausdruck findet.

Joachim Koester hat 1997 an der Documenta X und 2005 an der Biennale in Venedig teilgenommen. Ihm wurden Einzelausstellungen unter anderem im Capacete Projects in Rio de Janeiro, im Palais de Tokyo, Paris und im Museo Tamayo in Mexico City ausgerichtet. Seine Werke finden sich in den Sammlungen des Metropolitan Museum for Art sowie dem Museum of Modern Art in New York, des Statens Museum for Kunst in Kopenhagen sowie des Moderna Museet in Stockholm.

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Joachim Koester
Ich bin selbst nur ein Aufnahmeapparat
Kurator: Kristin Schrader