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JEAN ARP AND JOZEF JAREMA
The X-Value
5. Mai – 18. Juni 2022

Wir freuen uns sehr, die Ausstellung „The X-Value“ in unserer Wiener Galerie präsentieren zu dürfen, in der Werke des polnischen Malers Jozef Jarema und des deutsch-französischen Künstlers Jean Arp zueinander in Bezug gesetzt werden.

Mit dem „X-Value“ werden in der Mathematik Tangenten berechnet. Er dient dazu, ihre Neigungswinkel, Annäherungskurven und Berührungspunkte festzulegen. Um das Ausloten von Annäherung, Berührung und Gemeinsamkeiten geht es auch in der Ausstellung „The X-Value“ bei Crone Wien, die sich dem Schaffen von zwei außergewöhnlichen Künstlern in den 1940er und 1950er Jahren widmet: Der Kosmopolit Józef Jarema, 1900 in Stary Sambor (damals Galizien/Österreich, heute Ukraine) geboren und 1974 in München gestorben, und der Elsässer Jean Arp, 1886 in Straßburg geboren und 1966 in Basel gestorben, trafen zu Lebzeiten immer wieder aufeinander: Beide stellten zusammen aus, beide organisierten länderübergreifende Künstlerkollaborationen, beide verfassten neben ihrer künstlerischen Tätigkeit literarische Werke, und beide fühlten sich der Suche nach einer universell-abstrahierenden Bildsprache in Abwendung von selbst erlittenen, konkreten Gräueln zweier Weltkriege verpflichtet.

Józef Jarema kannte keine Grenzen, keine Schranken, keine Limits. Er war das, was man ein Multitalent nennen würde, ein umtriebiger, vielseitiger Kreativer, der sich nie mit einer einzigen Sache zufriedengeben konnte, ein Netzwerker und Macher, lange bevor das Wort „Networking“ existierte und „Machen“ in der Kunst eine Tugend war.

1918 zog er nach Krakau, wo er Malerei studierte, 1924 nach Paris, wo er in Künstlerkreisen um Louis Aragon verkehrte. 1931 ging er zurück nach Krakau, gründete erst die Zeitschrift „Glos Plastyków“ („Die Stimme der Plastiker“), dann das legendäre Avantgarde-Theater „Cricot“. Er schrieb experimentelle Theaterstücke, inszenierte absurde Literatur-Performances, trat als Schauspieler auf. Im Zweiten Weltkrieg schlug er sich über Rumänien zu den Truppen des polnischen Generals Wladyslaw Anders durch. Der war 1939 - unmittelbar nach Deutschlands Einmarsch in Polen - zunächst von den mit Hitler verbündeten Sowjets in Gefangenschaft genommen worden. Als die Sowjetunion 1941 schließlich selbst von der deutschen Wehrmacht überfallen wurde, beauftragte Stalin den inhaftierten Anders tausende polnische Kriegsgefangene in der Sowjetunion zu einer Rumpf-Armee zu formen, um gegen die deutschen Truppen zu kämpfen. Diese sogenannte Anders-Armee gewann schließlich 1944 die Schlacht um Monte Cassino, wo die West-Alliierten zuvor große Verluste erlitten hatten und an der Einnahme der Nazi-Bastion gescheitert waren. Jarema war bei dieser Schlacht als Soldat im Einsatz. Trotz seiner Kriegsbeteiligung als Anders-Kombattant gelang es ihm von 1941 bis 1945 an Kunstausstellungen in Bagdad, Tel Aviv und Rom teilzunehmen, wo seine Einheit zwischenzeitlich stationiert war.

Nach dem Zweiten Weltkrieg ging Jarema nicht nach Polen zurück, sondern zog nach Rom. Bereits im Oktober 1945 gründete er dort zusammen mit dem Futuristen Enrico Prampolini den „Art Club“, eine Vereinigung von Intellektuellen, die Avantgarde-Künstler aus aller Welt vernetzen und eine in jeder Hinsicht grenzüberschreitende, multinationale Kunstplattform schaffen wollten. Nach den finsteren, grausamen Kriegsjahren sollte der „Art Club“ laut Jarema „eine gemeinsame, luzide Heimat für diejenigen sein, deren einzige Heimat die Freiheit in Gedanken, Worten, Bildern, Hoffnungen und Sinnen ist“. Nicht zufällig siedelte man sich in der Via Margutta an, in der damals Federico Fellini, Luchino Visconti, Anna Magnani, Giorgio de Chirico, Max Roeder und zeitweise Pablo Picasso lebten.

Dank Jaremas und Prampolinis Umtriebigkeit nahm die Idee der weltweiten Vernetzung rasch Fahrt auf. Schon nach wenigen Jahren unterhielt der „Art Club“ in über 30 Ländern Niederlassungen, die aktivsten davon in Österreich, Belgien, Brasilien, Israel, Japan, Ägypten und der Türkei. Über 200 Ausstellungen organisierte die Vereinigung in den 1940er und 1950er Jahren, mehr als 150 Publikationen brachte sie heraus. Gezeigt wurden Werke von nahezu 60 Künstlern, die vor allem der abstrakten, konstruktivistischen, amorphen, gegenstandslosen Malerei und Bildhauerei zuzurechnen sind, allen voran Jean Arp, Sonia Delaunay, Willi Baumeister, Max Bill, Giorgio de Chirico, Roberto Maguelli, Constantin Brancusi und Lucio Fontana, aber auch Pablo Picasso und Marc Chagall. Nebenbei organsierte Jarema 1948 die Werke für den polnischen Pavillon bei der 24. Biennale di Venezia und 1953 den „Kongress der visuellen Künste“ in Palermo.

Nach eigenem Bekunden gehörte Jaremas größte Bewunderung in dieser Zeit seinem Kollegen Jean Arp. In ihm sah er eine „unvergleichliche Meisterschaft im Umgang mit dem dadaistischen Prinzip des Zufalls und eine unerreichte Souveränität bei der Entwicklung einer neuen Objektsprache des Alltäglichen“. In seinen eigenen Malereien greift Jarema damals Arps naturalistisch geprägte, aber in die Abstraktion strebend Formsprache auf. In mehreren Gruppenausstellungen des „Art Clubs“ präsentieren sie zusammen ihre Werke, die jeweils auf ihre eigene Art um „die Authentizität des gewollten Zufalls“ ringen. Während Arp den Kern und das Wesen vorgefundener Formen zu ergründen versucht, indem er sie mit größtmöglicher Perfektion auf ihre Hülle reduziert und ihre Seele darin schützend einschließt, geht Jarema genau den umgekehrten Weg: Zwar übersetzt auch er natürliche, organische Formen ins Abstrakte, belässt ihnen ihre Authentizität und Seele aber, indem er ihr Innerstes durch einen intuitiven, gestischen Malstil offenlegt – vor dem Hintergrund der späteren Entwicklung zeitgenössischer Malerei, Anlass genug, Jaremas Werk neu zu entdecken und zu bewerten.

Wie Arp, der zur damaligen Zeit bereits Weltruhm genießt, das Werk Jaremas einschätzte, ist nicht überliefert. Es gibt keine schriftlichen Quellen, nur Erzählungen von Jarema-Freunden, wonach ihr Verhältnis von gegenseitigem Respekt und Anerkennung geprägt war. In den späten 1950er und frühen 1960er Jahren verlieren sich Arp und Jarema aus den Augen. Jarema zieht mit seiner Frau Maria zuerst nach Nizza, wo sie gemeinsam eine Weberei betreiben und Teppiche mit abstrakten Mustern herstellen, später nach München, wo der Künstler 1974 stirbt – acht Jahre nach Arp.

In der Ausstellung „The X-Value“ finden die Werke von Jean Arp und Józef Jarema erstmals seit fast 70 Jahren wieder zusammen. Bewusst wird das Hauptgewicht auf Jarema gelegt, dessen Schaffen eine Wiederentdeckung verdient. Die Arbeiten seines Vorbilds Arp sollen dabei zur Einordnung sowie als Referenz- und Kontrapunkte dienen.