press release only in german

Mönchsberg
5. März – 12. Juni 2022

Jasmina Cibic
Most Favoured Nation

Die Künstlerin und Filmemacherin Jasmina Cibic (1979 Ljubljana, SI) erforscht in ihren multimedialen Arbeiten die komplexen Verflechtungen von Staatsmacht, Kultur und Geschlechterkonstruktionen. Cibic betrachtet historische Ereignisse aus einer feministischen Perspektive und untersucht die visuellen Strategien, mit denen der weibliche Körper in Bildprogrammen und an repräsentativen Orten für die Identitäts- und Mythenbildung von Nationen instrumentalisiert wurde. Sie betrachtet die Mechanismen von Soft Power – so bezeichnet man die Instrumentalisierung von Kultur durch politische Kräfte – in historischen, sozialen und ideologischen Krisen- momenten. Cibic macht bei Archivrecherchen Kunstwerke, Architektur und Musik ausfindig, in denen politische Interessen und die Rhetorik nationaler Macht zum Ausdruck kommen. Besonderes Augenmerk legt sie dabei auf die expliziten politischen Ziele, die hinter den Ritualen der Kulturdiplomatie stehen. Ihre Forschung übersetzt sie in immersive theatrale Kompositionen aus Fotografien, Performances, Installationen und Filmen.

Jasmina Cibic gestaltet ortsspezifische Gesamtkunstwerke, in die wir mit allen unseren Sinnen eintauchen können. Dafür konzipiert sie Raum- architekturen, die sich mit Filmen, Fotografien, Skulpturen, Sound- und Duftinstallationen zu wirkungsmächtigen Szenografien verschränken. Wandfüllende Bildtapeten, mit Mustern bedruckte Vorhänge, Sockel und Sitzgelegenheiten sind Beispiele für die räumlichen Übersetzungen historischer Referenzen. Sie knüpfen auf inhaltlicher und formaler Ebene gemeinsam mit den anderen Arbeiten der Künstlerin ein Netzwerk aus Beziehungen, das in Ausstellungskontexte und Museumsarchitekturen eingebettet wird. Die zum Einsatz kommenden Elemente sind vielfältig und basieren auf gefundenen Objekten, Protokollen, Kunstwerken oder Partituren, die Cibic in oft jahrelangen Recherchen in Archiven und Sammlungen aufspürt. Mit analytischem Blick seziert sie die Entstehungs- geschichten und Formensprachen sowie die Verbindungen zu den jeweiligen Aufbewahrungsorten und identifiziert die Fundstücke – die sie „historische Readymades“ nennt – als Beispiele für die Verstrickungen von politischer Macht und Kultur. Das Wissen um die Kraft und den Einfluss von Kunst und Architektur auf Gesellschaft und Politik steht im Zentrum ihrer künstlerischen Arbeit. Hierfür erforscht sie die Krisen des 20. Jahrhunderts, in denen die politischen Machtverhältnisse radikalen Umbrüchen unter- worfen waren und Staaten Kultur zum Zwecke der Propaganda für ihre Ideologien einsetzten.

Most Favoured Nation
Die Ausstellung Jasmina Cibic. Most Favoured Nation am Museum der Moderne Salzburg präsentiert eine junge zeitgenössische Position, die eindrucksvoll vorführt, dass gute Kunst immer politisch ist – indem sie sich auf das Wesentliche konzentriert und Anstöße zum Nachdenken und Neudenken liefert. Den Auftakt der Schau bildet die neue Installation Most Favoured Nation. Der Titel bezieht sich auf das in Handelsverträgen der Welthandelsorganisation WTO zum Tragen kommende Meistbegünstigungsprinzip (auch Most-Favoured-Nations-Prinzip, MFN- Prinzip), das allen Vertragspartner_innen gleiche Handelsbedingungen garantiert. Die WTO befasst sich mit der Regelung des MFN-Prinzips zwischen den Nationen und sorgt dafür, dass der Handel so reibungslos, vorhersehbar und frei wie möglich verläuft. Cibic verwendete dieses aus dem Handelsrecht stammende Prinzip für ihre neue Arbeit als ein Denkmodell, mit dem sie die aktuellen Bedingungen für die im Kulturbereich Tätigen in der Europäischen Union analysierte. Diese neuen Bedingungen sind eine direkte Folgeerscheinung des Aufkommens von rechtspopu- listischen Regierungen, die zu einer Zunahme politisch motivierter Interventionen, insbesondere in Förderprogrammen sowie in der Personal- politik von Institutionen, geführt haben. Mit Most Favoured Nation formuliert Cibic das Leitmotiv der Ausstellung, das auf unterschiedliche Art und Weise in den versammelten Arbeiten und in der eigens dafür gestalteten Raumarchitektur wiederkehrt.

The Gift Economy
Cibic’ jüngster Film The Gift (2021) – für den sie 2021 mit dem Film London Jarman Award ausgezeichnet wurde – zählt zu einer Werkgruppe mit dem Titel The Gift Economy. Der übergeordnete Titel bezieht sich auf das System der Schenkökonomie und beschreibt ein soziales, auf Solidarität gründendes Prinzip, in dem Gaben ohne monetäre Gegenleistung offeriert werden. Stattdessen wird eine immaterielle Gegenleistung erwartet, wie beispielsweise Dank oder Loyalität.

Die Schenkökonomie bildet einen langjährigen Forschungsschwerpunkt von Cibic. Dabei widmet sie sich im Besonderen politischen Geschenken als Formen von Kulturdiplomatie, was sie in der Ausstellung mit der Fotografie Lipizzaner 508 Neapolitano Thais XL (b. 11.04.2005) thematisiert. Zu sehen ist ein Lipizzaner, der ein Halfter mit einem Dentalspekulum trägt. Das Instrument wird für gewöhnlich in der Veterinärmedizin verwendet, um den geöffneten Kiefer des Tieres zu fixieren, sodass anhand der Zähne das Alter und die Gesundheit – und somit auch der Wert des Pferdes – überprüft werden können. Die Lipizzaner wurden durch die Spanische Hofreitschule in Wien weltberühmt. Zur Zeit der Habsburgermonarchie wurden sie auf dem Gestüt Lipica im heutigen Slowenien gezüchtet und nach Wien exportiert. Lange gab es bilaterale Unstimmigkeiten zwischen Österreich und Slowenien über die Genealogie der Pferde als territoriales Kulturgut. Im Jahr 2020 wurde der Streit beigelegt, und beide Staaten reichten einen gemeinsamen Antrag bei der UNESCO ein, um die Lipizzanerzucht als immaterielles Weltkulturerbe eintragen zu lassen. Bis heute werden die Pferde als lebende Staatsgeschenke verwendet. Das auf Cibic’ Foto porträtierte Tier wurde dem libyschen Staatschef Muammar al-Gaddafi 2009 vom slowenischen Staat geschenkt. Das Pferd hat jedoch einen genetischen Defekt und ist daher nicht in der Lage, lizenzierte Nachkommen zu zeugen. Cibic’ Aufnahme des Lipizzaners mit dem Spekulum ist somit eine Verkörperung des Trojanischen Pferdes und kann auch als Metapher dafür gelesen werden, wie die Kultur den Blick auf ihre eigene politische Instrumentalisierung richten kann.

Kuratorin: Marijana Schneider