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Ausgangspunkt der Serie Ratio 1/5/15 (2007-2009) war das 40 Zentimeter hohe Holzobjekt Ratio 1, ein Fundstück vom Flohmarkt. Der Berliner Künstler Jaro Straub baute dieses gefundene Objekt, das ihn an ein Ausführungsmodell einer konstruktivistischen Skulptur erinnerte, im Maßstab 1:5 als zwei Meter hohe Holzskulptur Ratio 1/5 (2007) nach. Erst bei der Ausstellung seiner Arbeit in einer Galerie erfuhr er, dass seine Vorlage die Cuxhavener Kugelbake abbildet und er die realen Größenverhältnisse damit umgekehrt hatte. Dagegen stand die Thematik des Seezeichens bewusst Pate für Ratio 1/15 (2009), Jaro Straubs Beitrag zu einem Kunstprojekt in der Hamburger Hafencity. Diese sechs Meter hohe Außenskulptur übersetzt Ratio 1 im Maßstab 1:15 bzw. Ratio 1/5 im Maßstab 1:3. Bezogen auf die im Original etwa 30 Meter hohe Kugelbake ist auch Ratio 1/15 (2009) ein Modell.

Im Dialog mit den unterschiedlichen Maßstäben der Ratio 1/5/15-Serie müssen ihre Betrachter sich permanent ihrer selbst vergewissern und ihre eigene Position im Raum in Bezug zu Maßstab und Standort der Skulptur bringen. Wie bei einer Koppelnavigation ist eine Aussage erst als Ergebnis einer komplexen Situationsanalyse unter Berücksichtigung des eigenen Standorts und seiner Veränderbarkeit möglich. Als Koppelnavigation (engl. dead reckoning) bezeichnet man die Ermittlung des Schiffskurses und der Position aus dem bisher gefahrenen Kurs sowie dem letzten genau bestimmten Standort. Ausgehend von einem festgelegten Startpunkt ergibt sich durch Aneinanderhängen der ermittelten, „gekoppelten“ Wegstücke die zurückgelegte Route. Seezeichen helfen bei dieser Form der Positionsbestimmung und können als Startpunkte herangezogen werden. In der englischen Übersetzung des Begriffs hat sich im Laufe der Jahrhunderte ein Fehler eingebürgert. Aus „deduced“ für „abgeleitet“ entwickelte sich die umgangssprachliche Verkürzung „dead“. Dieser Übersetzungsfehler lässt sich in Beziehung setzen zur Herangehensweise von Jaro Straub, da es in seinen Arbeiten immer wieder zu Transformationen kommt, die vergleichbare Momente der Veränderbarkeit zulassen. Transformationen spielen nicht nur im Hinblick auf Größenverhältnisse eine wichtige Rolle, sondern sie hinterlassen auch ihre Spuren im Wechsel zwischen den Medien. Für die Fotoserie Reverse Side 1963-2003 (2006) zeichnete der Künstler Fotografien in Tusche ab, die sein Vater 1963 in Los Angeles aufgenommen hatte. Er unterzog seine Vorlage damit einer medialen Entwicklung, indem er dem chemischen Vorgang im Fotolabor einen künstlerischen Prozess entgegensetzte. Im Anschluss fotografierte er die Zeichnungen erneut und führte sie in ihr Ausgangsmedium zurück. Allerdings ist ein Teil der Tuschezeichnungen derart stark geschwärzt, dass die Motive darunter nur noch zu erahnen sind. So rufen sie neue Bilder in ihren Betrachtern hervor. Straub macht deutlich, dass bei solchen Umwandlungen Bedeutungsebenen hinzugefügt werden können, aber auch Informationen verloren gehen. Ein Moment der Unschärfe stellt sich ein. Das Foto-Objekt Die Bücher des Chinesischen Architekten (2001) thematisiert das Spannungsfeld zwischen Zwei- und Dreidimensionalem und stellt dabei das Vermögen der Fotografie, einen Sachverhalt umfassend abzubilden, grundlegend in Frage. Jaro Straub hat das Bücherregal des Architekten Chen Kuen Lee (1915-2003), eines in Berlin tätigen Schülers von Hans Scharoun, fotografiert und im Maßstab 1:1 auf eine frei im Raum stehende Holzfläche aufgebracht. Die Betrachter können anhand des Inhalts der Bibliothek Rückschlüsse auf die Persönlichkeit ihres Besitzers ziehen und in der räumlichen Wahrnehmung des Objekts eine weitere Bedeutungsebene finden, die eine fotografische Abbildung allein nicht zu fassen vermag. In einem anderen Medium wird dieser Aspekt auch in Double Broken (2007) vorgetragen, einer Videoaufnahme des stillgelegten Berliner Rathenaubrunnens während eines Sommergewitters. Die auf das Objektiv einströmenden Regentropfen trüben das Bild immer mehr ein, bis die Kamera nach dreizehn Minuten ihren Dienst einstellt und Bild und Ton abbrechen. Der Titel bezieht sich auf den Defekt der Kamera beim Versuch, einen dysfunktionalen Brunnen zu filmen. Jaro Straub unterzieht visuelle Darstellungsformen und insbesondere ihre medialen Übersetzungen einer Reihe von komplexen Transformationsprozessen. Dabei spürt er jener Lücke zwischen den Bildern nach, die belegt, dass mimetische Verfahren an eine Grenze stoßen, sofern sie im Abbildhaften verharren.

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Jaro Straub
Koppelnavigation. Mehrdimensionales in Skulptur, Zeichnung und Fotografie