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Wenn die Wirklichkeit sich in einer Zwischenwelt der Ratlosigkeit eingerichtet hat und sich behäbig dortselbst auf längere Sicht häuslich niederzulassen gedenkt, wird es Zeit, die Frage nach den Utopien und Wunschbildern von einst und jetzt erneut und zum wiederholten Male auf die Agenda zu setzen, gilt es doch der Verknappung von Kontakten mit der Welt entgegenzutreten und wenigstens ein wenig Bewegung in die verfahrene Sachlage zu bringen. Auf den ersten Blick scheinen uns die Bilder des 1966 in Bad Langensalza / Thüringen geborenen Jan Stieding ebendies zu bieten, wenngleich sie auch nicht ohne hintersinnige Stolperfallen daherkommen. Noch allzu vertraut mit den verordneten Lebens- und Weltentwürfen der DDR begann Stieding sein Studium an der Hochschule für Bildende Kunst in Dresden unmittelbar nachdem das sozialistische Experiment sein Pseudodasein eingestehen musste und zur abgeschlossenen Episode deklariert wurde. Ab 1995 setzte Stieding sein Studium an der Kunstakademie in Düsseldorf fort und beendete es schließlich 1998 als Meisterschüler in der Malklasse von Jörg Immendorff. Den kritischen Blick auf gesellschaftspolitische Fragestellungen konnte sich der Künstler auch hier bewahren, selbst wenn die Revolution, wie Heiner Müller seinerzeit anmerkte, jetzt keine Heimat mehr habe.

Bei Jan Stieding geht es jedoch nicht darum, mit oder in seinen Bildern zu revolutionieren, sondern eher darum, die Dinge ein wenig zu überlisten, sie aufzulockern und damit beweglicher zu machen, misstraut er doch nach wie vor einem normierten Denken und Sprechen. Bilder haben demgegenüber schließlich den nicht unerheblichen Vorzug, auf einer Deutungsoffenheit beharren zu können. Zudem liefern sie die Projektionsfläche auf einen Raum, in dem Reales und Imaginäres einander begegnen oder sich mischen können. Stiedings Bilder sind durchwebt von einer dialektischen Intensität. Angesiedelt zwischen Zweifel und Verheißung, Schönheit und Skepsis überschneiden sich permanent Traumgebilde und Zeitbilder. Ein psychedelisch imprägnierter Realismus scheint seine Bildfindungen zu bestimmen. An der Grenzlinie zwischen Darstellung und Abstraktion schmuggelt Stieding völlig ungeniert einen Hedonismus ohne spirituelle Obertöne. Dabei verortet er die unterschiedlichen, aus der medialen Bildmaschine ausgesiebten Quellen, vom beiläufig entdeckten Illustriertenfoto zum eigens freigestellten Filmstill, in den Rahmen eines subjektiven Motivpanoramas. Das eigentliche Material sind sowieso die Bilder im Kopf. Die malerische Umsetzung könnte demnach zur Postproduktion rechnen, wenn nicht die ausführende Behandlung mitunter selbst einen bestimmenden Part einfordern würde. Gerade weil der Hintergrund diffus und atmosphärisch, ja, außer dezente Anklänge an Wald und Wiese, nachgerade vorläufig und unspezifisch wirkt, eine dezidierte Festlegung tunlichst verweigert, gerät das Wechselspiel mit der Imagination und dem Bildgedächtnis des Betrachters zum festen Bestandteil des Ganzen, Bild und Gegenbild bedingen einander.

In seiner zweiten Einzelausstellung in den Räumen der Galerie Sebastian Brandl sind vornehmlich Bilder aus der diesjährigen Produktion des Künstlers zu sehen. Neben der Impression einer großformatigen Konzertbühne zeigen die mittleren Formate zumeist somnambule Einzelfiguren, Hippies, Zombies oder Waldgeister in idyllischem Naturambiente, Wesen, die die Schranken des bürokratischen Lebens abgestreift zu haben scheinen und als verblassendes Nachbild einen mit elegischer Nostalgie angereicherten melancholischen Grundmodus verkörpern. Die aufgesetzten traumverlorenen Gestalten auf diesem wässrig-amorphen Fond wirken daher wie eine Halluzination, die als fragende Erscheinungen eingeblendet werden. Möglicherweise werfen sie Fragen nach verschütteten Quellen des Geheimnisvollen auf oder wollen das gewöhnliche Leben vor einer Entzauberung in Schutz nehmen. Den festgehaltenen ekstatischen Augenblicken haftete dabei jedoch etwas zutiefst bühnenhaftes, filigran Verspieltes an. Stieding malt simulierte Erinnerungen, die auftauchen, kurz bevor sie verglühen. Erinnerung ergibt Identität. Wenn aber die Erinnerung ein Flickwerk aus Tatsachen und Fantasien ist, manchmal vielleicht nur aus Fantasien, was, so scheinen diese Bilder zu fragen, bleibt dann von der Identität übrig. Seine Visionen sind mit einem rückwärts gewandten Zeitkolorit behaftet. Diese Körper haben nur so viel Materie, wie es zu einer Verheißung bedarf. Im Bild bleibt, was sonst nicht bleiben kann. Verstörende Einsprengsel, Farbverläufe und irritierende Flecken sowie Zonen der Unschärfe lassen es fragwürdig erscheinen, ob der Künstler den realen Gegenstand wahrnimmt oder ihn nicht vielmehr irrealisiert. Gegenwelten und Orte des Abseits stehen zur Disposition und werfen Fragen nach den in der Vergangenheit entwickelten Utopien, Visionen, Ideologien und ihrer Einlösung in der Gegenwart auf. Vielleicht sind einige davon ja bereits eingelöst, nur haben wir es beizeiten nicht mitbekommen, weil das Bild, welches wir von ihnen hatten, nicht mit der Form in Deckung zu bringen ist, die sie bei ihrer Umsetzung übergestreift haben. Modern sein heißt eben auch wissen, was nicht mehr geht.

Harald Uhr

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Jan Stieding: Der fetzige Indianer