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1966 geboren und aufgewachsen in der ehemaligen DDR, studiert Jan Stieding zunächst von 1991–94 an der Hochschule für Bildende Kunst in Dresden und setzt seine künstlerische Ausbildung ab 1995 an der Düsseldorfer Akademie in der Malereiklasse von Jörg Immendorff fort, dessen Meisterschüler er seit 1998 ist.

Die Galerie Sebastian Brandl zeigt vom 14. Juni bis 1. August 2008 neue Arbeiten des Künstlers, darunter zwei großformatige und einige kleinformatige Ölbilder sowie ca. 10 Aquarelle.

Jan Stieding bearbeitet seine Leinwände in drei Phasen: Zunächst – in unaufgezogenem Zustand – auf dem Boden liegend, dann an die Wand getackert und schließlich auf Keilrahmen aufgespannt. Die horizontale Position des Bildgrundes zu Beginn ermöglicht den Auftrag der stark verdünnten, sehr flüssigen Ölfarben, die so ihren typischen Charakter verlieren und eher wie Acrylfarben oder sogar fast wie Kreiden wirken. So verwandeln die Farblachen das Leinen in eine reliefartige Hügel-Tal-Landschaft, die nach dem Auftrocknen Verdichtungen und Schleier aufweist und auf bleibende Weise den Bildgrund haptisch durchformt. Stieding steuert zwar die prozessualen Abläufe, doch er gesteht ihrer Eigendynamik und Unvorhersehbarkeit gleichzeitig einen Raum zu, in dem sie überhaupt erst geschehen können. Zusätzlich modifiziert der Künstler die Malfläche durch Lackspray, Kohle und das Aufkleben von Alutape, welches teilweise wieder übermalt wird und sehr plane und reflektierende Partien erzeugt.

Seine Motive wählt der Künstler unter anderem aus Filmen und Zeitungen, beispielsweise hat er wiederholt Stills aus Michelangelo Antonionis 'Blow up' verwendet. Die Tatsache, dass er Zeitungen als Quelle benutzt, offenbart eine gewisse Orientierung am gesellschaftlichen Zeitgeschehen, an einer historischen Dimension seiner Arbeiten, die immer wieder aufscheint, ohne dass damit eine konkrete politische Stellungnahme angesprochen werden soll. Während Jan Stieding bis etwa 2005 auf seine frühere ostdeutsche Umwelt reflektierte in Arbeiten, die fast nostalgisch wirken, untersucht er gegenwärtig 'das Leben der anderen', also jener Individuen, deren Lebensmodelle sich vom streng geordneten Alltag des Durchschnittsbürgers unterscheiden.

In den grundsätzlich figurativen Arbeiten, die neben Einzelpersonen bzw. -porträts immer wieder Gruppenkonstellationen und deren formale Reize in den Mittelpunkt stellen, halten

sich atmosphärischer Ausdruck und gegenständlicher Realitätsbezug die Waage: durch die unscharfen Konturen, die diffusen Gegenstandsoberflächen und die resultierende Vagheit der Stofflichkeiten werden Personen und Dinge angedeutet, aber nicht ausformuliert. Stieding produziert ein optisches statt taktiles Tableau, und daher erinnern seine Werke, nicht zuletzt wegen der verwendeten bunten, aber nie in grellen Konfrontationen auftretenden 'Farbcharaktere' mitunter auch an impressionistische Kompositionen. Auf 'A Raining Day' (2008, 200 x 160 cm), das Gordon Matta-Clark auf einem Container sitzend zeigt, widmet der Künstler mehr als die Hälfte des Bildes einer autonomen Fläche, die weder Raum noch Gegenstand ablesen lässt. Sie besteht aus einzelnen, zarten Farbimpulsen in Blau, Violett und Orange mit einer ausgesprochen heiteren und harmonischen Wirkung. Immer wieder trifft der Betrachter bei Stieding auf Areale, die von Farbsprenkeln, -schlieren und -geäder gekennzeichnet sind und an Sedimentablagerungen oder Maueroberflächen erinnern, Orte, an denen sich der Fokus vom inhaltlichen Thema zum malerischen Sujet und seinen Grundparametern verlagert. So auch bei dem Hauptwerk der Ausstellung (o.T., 2007/2008, 200 x 280 cm), das zunächst einen höchst dramatischen Moment wiederzugeben scheint: Eine junge Frau hat sich inmitten eines Gräberfeldes auf den Boden geworfen – man fragt sich unwillkürlich nach dem Hintergrund der Szene, wer oder was hier betrauert wird, ob es sich um ein individuelles Schicksal handelt oder eher um die politisch-historische Dimension von Kriegsszenarien. Spätestens beim Erkennen der schablonierten abstrakten Symbole auf den Grabsteinen – und nach Wahrnehmen des flirrenden, fast von innen leuchtenden, farblichen Fluidums nimmt man die sukzessive Auflösung der thematischen Schwere wahr und erkennt, dass die gewählten Motive bei Stieding den Anlass des Bildes, sein 'Korsett' liefern, aber nicht seine Tiefenschicht ausmachen.

Die im Ausstellungstitel angesprochenen Protagonisten der Alternativkultur sind vor allem auf den kleinformatigen Ölbildern und den Papierarbeiten in aquarellartig verwendeten Gouachefarben präsent. Porträts – oder besser männliche und weibliche Gesichter, die nicht identifizierbar sind, schemenhaft bleiben. Durch die monochrome Anlage kann sich der Blick hier völlig auf die strukturellen Feinheiten und die Schichtung der dünnen Farbhäute konzentrieren. Wie in den großformatigen Arbeiten, geht der Künstler auch hier seiner Lust am Prozesshaften nach. Die vertikale Bewegung der Rinnsale nutzt er für bewusst angelegte Strukturen aus, welche bisweilen wie vegetabile Wucherungen, Fortschreibungen des durch das Ausgangsmotiv 'vorgeschriebenen' Rahmens, wirken.

Gabriele Wurzel

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Jan Stieding: Das Leben der anderen