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Jake und Dinos Chapman (1966 in Cheltenham, 1962 in London; leben und arbeiten in London) gehören zu den Hauptvertretern der zeitgenössischen britischen Kunst. Sie hatten unter anderem 1996 eine Einzelausstellung im Institute of Modern Art in London und waren 1997 an der legendären Ausstellung »Sensation« beteiligt. 2003 wurden sie für den renommierten Turner-Preis vorgeschlagen. Ihre Absicht, zusammen-arbeiten zu wollen, hatten sie im November 1992 mit ihrem antiästhetischen Manifest »We are Artists« angekündigt, das sie auf eine Wand des Institute of Contemporary Arts in London schrieben.

Die Chapman-Brüder bewegen sich mit ihrem Werk immer an der Grenze zum Tabubruch. Auf höchst offensive Weise, mit schwarzem Humor und subversivem Witz werfen sie einen Blick auf Themen wie Gewalt, Krieg, Holocaust, Gentechnik und Tod in all ihrer Grausamkeit. Auch wenn ihre Arbeiten auf den ersten Blick aggressiv, skandalös und provokativ wirken, steckt ein Konzept mit philosophischem Anspruch dahinter. »Wir arbeiten analytisch, aber nicht kritisch. Wenn wir das Klonen thematisieren, in zusammengewachsenen Kinderschaufensterpuppen, übersät mit primären Geschlechtsorganen, dann wollen wir nicht die Probleme der Gentechnik lösen.« (Jake Chapman in einem Interview mit Holger Liebs, Süddeutsche Zeitung, 5./6. April 2003, S. 15) Ihren eigenen Worten gemäß geht es ihnen vielmehr darum, »moralische Panik« zu erzeugen.

Wie viele Künstler ihrer Generation beziehen sich Jake und Dinos Chapman in ihrer Arbeit auf historische Kunst. Vom Beginn ihres künstlerischen Schaffens an haben sie sich mit dem Werk des spanischen Malers Francisco de Goya (1746–1828) beschäftigt. Die Auseinandersetzung mit Goyas »Los Desastres de la Guerra« (Die Schrecken des Krieges,1810–1820) bildet dabei seit über zehn Jahren eine Konstante. In seiner 80 Radierungen umfassenden Serie reflektierte Goya die Besetzung Spaniens der Jahre 1808–1814 durch Napoleon und schuf eine der drastischsten Beschreibungen barbarischer Grausamkeit in der grafischen Kunst. Dem Krieg in Spanien sind die Blätter 2–47 der »Desastres de la Guerra« gewidmet. Eine zweite Gruppe von Radierungen (48–64) hat die Hungersnot in Madrid der Jahre 1811–1812 zum Thema. Die Blätter 65–80 befassen sich mit der Repression unter König Ferdinand VII.

Die Chapman-Brüder erwarben von der Goya-Stiftung einen kompletten, 1937 von den Originalplatten gedruckten Zyklus. Sie überarbeiteten diesen in ihrem Sinn, indem sie die Brutalität des Dargestellten durch teils karikierende Fratzen noch steigerten. »Uns ging es um die Frage, wie und ob moralische Standpunkte in der Kunst sichtbar gemacht werden dürfen oder können.« (Dinos Chapman in einem Interview mit Holger Liebs, Süddeutsche Zeitung, 5./6. April 2003, S. 15) »Insult to Injury« (Beleidigung bis zur Verletzung) nannten sie ihre 2003 entstandenen Übermalungen. Tierköpfe und Clownmasken sind an die Stelle der Gesichter der Gemarterten getreten. Die Interventionen der Künstler zielen darauf ab, die Aussage von Goyas Blättern zuzuspitzen (»Goya reworked and improved«) und provozierend die Frage nach dem ästhetischen Verhältnis von Schönheit und Tod zu stellen. Die schockierende Wirkung der Arbeiten löste bei ihrer Präsentation in Oxford im Frühjahr 2003 heftige Reaktionen aus. »Die veränderten Drucke machen einen glauben, ein Serienmörder mit einem Hang zum Zeichnen psychotischer Clowngesichter hätte das Kupferstichkabinett des Britischen Museums geschändet«, so beschrieb der britische Kunstkritiker Jonathan Jones seinen ersten Eindruck beim Betrachten der Serie. Indem die Chapmans die Grafiken übermalten, brachen sie das Tabu des unverletzlichen Originals. Das Werk richtet sich aber nicht gegen Goya, sondern transformiert »Die Schrecken des Krieges« in die Gegenwart und entwickelt eine neue ästhetische Auffassung.

International bekannt geworden sind die Chapman-Brüder durch ihre Arbeit mit lebensgroßen Schaufensterpuppen, die das Blatt »Grande hazaña! Con muertos!« (Große Heldentat gegen die Toten) aus Goyas Radierungszyklus »Los Desastres de la Guerra« zitieren. Entgegen Goyas ernster Verbildlichung des Massakers hängen in Jake und Dinos Chapmans Skulptur »Great Deeds Against the Dead« (1994) die drei kastrierten Soldaten eher in ironischer Beschwörung von Schönheit und Perversion am Baum. Ebenso sind die Schaufensterkinderpuppen der Skulptur »Zygotic acceleration, Biogenetic, de-sublimated libidinal model (enlarged x 1000)« von 1995 biologischer Tatsächlichkeit enthoben, doch vermittelt der Körper mit seinen vielen Mädchenköpfen, Beinen und Armen den Eindruck einer lebenden Kreatur. Es sind mutierte Geschöpfe – an den Torsi zusammengewachsen, Anus, Vulva oder Penis ersetzen Nase, Ohren oder Mund –, die sich dem Betrachter sexuell anzubieten scheinen. Das Thema der Arbeit ist, folgt man dem Titel, Zellreproduktion und Sexualität. Ein Werk, das selbstreproduktive Manifestationen exzessiver, fehlgeleiteter Libido festhält und gentechnische Obsessionen offen legt.

Schon 1993 setzten die Künstler in ihrer Arbeit »Disasters of War« alle 80 Blätter Goyas als Miniaturplastiken um. Jede Darstellung wurde mit von Hand bemalten Figürchen minuziös nachgebaut und ergab ein Panorama menschlichen Erfindungsgeistes im Quälen, Foltern und Morden. Mit dieser Arbeit kündigte sich bereits das Hauptwerk »Hell« (1999–2000) an. »Hell« inszeniert in apokalyptischer Vision die irdische Hölle von Krieg, NS-Verbrechen, Konzentrationslagern und Massenhinrichtungen mit Tausenden auseinander genommenen und neu zusammengesetzten Miniaturfiguren.

Ein Symbol unserer globalisierten Zeit ist der amerikanische Fastfoodkonzern McDonald’s, der die entlegensten Winkel der Welt erobert hat. Unter dem Titel »The Chapman Family Collection« (2002) haben die Chapmans von afrikanischen Masken und Fetischen inspirierte Holzskulpturen geschaffen, die sie jedoch durch Applikationen von McDonald’s-Symbolen und -Emblemen ironisieren bzw. konterkarieren. So dokumentieren Jake und Dinos Chapman, dass man alles nachahmen kann. In einer reproduzierbaren Welt gibt es keine Grenze zwischen Reproduktion und Original.

Mit ihren Bronzeskulpturen unter dem Titel »Sex« (2003) vollziehen die Chapman-Brüder einen Zeitsprung. Sie zeigen die Leichen der Männer aus »Great Deeds Against the Dead« (1994) nach dem Verwesungsprozess. Die Körper sind von Fliegen, Maden, Würmern und allerlei Getier übersät und bis auf die Skelette aufgefressen. Auf den ersten Blick wirkt alles sehr naturalistisch. Erst bei näherer Betrachtung und auf Nachfrage bei den Künstlern wird klar, dass die Fliegen und Würmer etc. ursprünglich billige Plastikreproduktionen aus Spielzeug- und Halloweenläden waren. Diese wurden von den Künstlern in Bronze nachgegossen und anschließend farbig bemalt. So wird der Naturalismus ironisch gebrochen, das Grauen aber bleibt und wird durch Elemente aus dem Horrorgenre und schwarzen Humor relativiert: Der aufgespießte Totenkopf erhält Teufelshörner, spitze Vampirohren und eine rote Clownnase, ein anderer Schädel einen Reißverschluss oder ein Scherzvampirgebiss.

Die Skulpturen der Serie »Death« (2003) bestehen auf den ersten Blick aus männlichen und weiblichen aufblasbaren Sexpuppen. Die Gruppen wurden jedoch in Bronze reproduziert und mit glänzenden Lackfarben bemalt. Während die Vorlagen Leichtigkeit suggerieren, wandelt sich dieser Eindruck durch die Materialumsetzung grundsätzlich. Der »flüchtige« Moment ist für die Ewigkeit in Bronze gegossen, Privates wird öffentlich, das Spielerische schwer und unveränderbar. Billige Gebrauchs- und Wegwerfartikel avancieren durch einen aufwändigen handwerklichen Abformungsprozess zu Kultobjekten.

Die Ausstellung im Kunsthaus Bregenz ist die erste große Einzelschau von Jake und Dinos Chapman in Österreich. Neben der 34-teiligen Skulpturengruppe »The Chapman Family Collection« (2002), den Skulpturen »Sex I« (2003), »Sex II« (2003) und »Sex« (2003), den Skulpturen »Death I« (2003) und »Death II« (2003) sowie dem gesamten, 80 Blätter umfassenden Zyklus »Insult to Injury« (2003) wird die jüngste Arbeit »Hell Sixty-Five Million Years BC« (2004–2005) zu sehen sein, die Jake und Dinos Chapman exklusiv für Bregenz realisieren.