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12.3. – 11.9.2022 | Reinhart am Stadtgarten

Italia - Zwischen Sehnsucht und Massentourismus

Die Ausstellung Italia lädt ein zu einer überraschenden Reise an den Sehnsuchtsort Italien. Dabei trifft das Arkadien vergangener Epochen auf die schonungslose Gegenwart: Anhand von über siebzig Werken von namhaften Künstlern wie Claude Lorrain, Arnold Böcklin und Anselm Feuerbach bis zur Kunst der Gegenwart wird ein komplexes Bild eines Landes gezeichnet, das uns bis heute fasziniert als Wiege westlicher Kultur ebenso wie als attraktive Reisedestination.

Italien, «das Land, wo die Zitronen blühn», wie Goethe 1783 in seinem Lied der Mignon den Ort der Sehnsucht fasste, war über Jahrhunderte ein einzigartiger Anziehungspunkt für Kunstschaffende. Hier fand die Italiensehnsucht einen unvergesslich poetischen Ausdruck, in dem auch sein eigener Wunsch mitschwang, das Land zu bereisen.

Schon seit der frühen Neuzeit übte die Wiege der Künste eine ausserordentliche Faszination auf die europäischen Künstlerinnen und Künstler aus. Michelangelo, Raffael und Leonardo galten als unumstrittene Höhepunkte und die Antike war hier wie nirgendwo anders unmittelbar erfahrbar. Italien war obligates Ziel für die klassische Bildungsreise von Adligen oder eines Gentleman aus gutem Hause. Literaten und Wissenschaftler folgten denselben Kulturpfaden. Vor allem aber waren es bildende Künstler, die in den Süden pilgerten, um die Vorbilder der Antike und Renaissance zu studieren und die lichtdurchflutete Campagna zu malen, oder sich gleich in der Ewigen Stadt niederzulassen.

In Italien suchten sie nach Freiheit und Unabhängigkeit in einem umfassenden – künstlerischen und politischen – Sinn. Fernab von der gesellschaftlichen Enge der Heimat entwickelte sich ein lebhaftes Experimentierfeld, das besonders bei der Landschaftsdarstellung mit unterschiedlichsten Praktiken und Ausformulierungen von idealisierender Überhöhung bis zur naturalistischen Studie und reinen Pleinairmalerei seinen Ausdruck fand. Diese Bilder prägten während Jahrhunderten die Vorstellungen von Italien. Von den Bentvueghels des niederländischen Barock über die Klassizisten bis hin zu den Deutsch-Römern zog es Kunstschaffende mit immer wieder neuem Blick ins Bel Paese.

Im 20. Jahrhundert änderte sich diese Sicht: Die einstmals noble Grand Tour wich dem Massentourismus, die Weltkriege führten zu einer kritischen Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte. Der idealisierte Sehnsuchtsort war einer nüchternen, unverstellten Betrachtung gewichen. Die Arte Povera unterlief in den 1960er Jahren mit einer radikalen Offenheit gegenüber Materialien und künstlerischen Praktiken die Vorstellungen klassischer Kunst und Kultur. Zwischen den Polen Natur und Kultur, Anarchie und Ordnung bewegend, stellten sie das über die Jahrhunderte idealisierte Bild ihrer Heimat auf den Kopf und befragten das Italien von damals mit einem neuen Blick und mit revolutionärem Geist. Das von aussen verklärt gesehene Land wurde nun von innen reflektiert betrachtet. Heute beleuchten Künstlerinnen und Künstler wie Monica Bonvicini und Luigi Ghirri ihre eigene Heimat in schonungsloser Direktheit.

Aus Anlass der Ausstellung Italia wird im Obergeschoss des Reinhart am Stadtgarten unter dem Titel Nord – Süd erstmals eine umfangreiche Ausstellung zur Kunst seit den 1950er Jahren gezeigt. Hier trifft die Kunst des Südens, die unmittelbare Nachkriegsavantgarde mit der umfangreichen Arte Povera-Sammlung, auf Werke von Kunstschaffenden aus dem Norden, insbesondere aus Deutschland. Dort wurde Düsseldorf dank seiner Kunstakademie zu einem bedeutenden Gravitationszentrum der Kunst. Zu sehen sind in dieser Sammlungsausstellung Werke der bedeutendsten Vertreter der italienischen Nachkriegsavantgarde wie Lucio Fontana, Mario Merz, Marisa Merz und Luciano Fabro neben herausragenden Künstlerpersönlichkeiten aus dem deutschsprachigen Raum wie Gerhard Richter, Imi Knoebel und Isa Genzken. Die Präsentation ermöglicht einen vertieften Einblick in zwei Schwerpunkte der Winterthurer Sammlung.