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Eröffnung: Freitag, 28. April 2017, 18–21 Uhr
Ausstellung: 29. April – 28. Juni 2017

Die Galerie Barbara Wien eröffnet zum Gallery Weekend Berlin 2017 ihre erste Einzelausstellung mit Ian Kiaer. Der britische Künstler zeigt unter dem Titel "Endnote, tooth" neue Arbeiten, die sich auf seine langjährige Beschäftigung mit Architekturprojekten von Friedrich Kiesler (1890–1965) und Moshe Safdie (* 1938) beziehen.

Ausgangspunkt für Ian Kiaer sind meist utopische Ansätze aus Architektur, Literatur, Philosophie und Kunst. Im Ausstellungstitel "Endnote, tooth" wird ein Zusammenhang mit Friedrich Kieslers "Tooth House" angedeutet. Dieser nicht realisierte Architekturentwurf aus den späten 1940er Jahren basiert auf der Idee eines zahnförmigen Gebäudes, das die Lebensbereiche Wohnen, Arbeiten und Freizeit vereint und sich vollkommen in seine natürliche Umgebung einfügt. Kieslers Studien dazu beruhen auf seiner Theorie des Correalismus, wonach er die genaue Überprüfung von Funktion und Wirkung jedes Eingriffs in die Umwelt forderte. Er begriff das Nebeneinander von Mensch und Umwelt als ein ganzheitliches System, das alle Kunstgattungen unter Einbeziehung von ethnografischen und naturwissenschaftlichen Erkenntnissen, aber auch Magie und Mythos einschließen sollte.

Ein weiterer Ansatz der Ausstellung ist die Architektur von Moshe Safdie. Kiaer interessieren vor allem Safdies Projekte zu alternativen Wohnsiedlungen in städtischen Ballungsräumen. Mit dem Wohnkomplex "Habitat ‘67" in Montreal, der zur Weltausstellung 1967 fertiggestellt wurde, entwickelte Safdie eine neue Form des Wohnhochhauses. Der starken städtebaulichen Verdichtung setzte er offene und gleichzeitig effiziente Strukturen entgegen. Jede Wohnung sollte die Qualität eines Einfamilienhauses haben. Safdie verwendete dabei als einer der ersten Architekten vorgefertigte Wohneinheiten, die er auf zwölf Geschosse so verteilte und kombinierte, dass eine Art durchlässige Hülle entstand, die sich in die Topografie der Landschaft einfügt.

Kiaers Installationen und Objekte aus Alltagsgegenständen, gefundenen Materialien, Modellen und Malerei beziehen sich nicht unmittelbar auf spezielle Projekte von Kiesler und Safdie. Sie können als eine offene Versuchsanordnung oder das (vorläufige) Ergebnis einer Reihe von Assoziationen verstanden werden – wie etwa bei der mehrteiligen Installation "Endnote, tooth (grey)". In einem Teil des Raums steht ein gebrauchtes Tischgestell, an der Wand hängt das Aquarell einer Pfennigbaum-Pflanze, auf einem anderen Bild ist die Struktur eines Holzbodens erkennbar. Auf dem Boden liegen drei leuchtende Neonröhren auf einem Stück Luftpolsterfolie. Daneben befinden sich mehrere Abgüsse aus Beton und Pappe, die wie Bruchstücke eines Bauwerks und Erdklumpen aussehen. In direkter Nähe des Tischgestells steht ein Architekturmodell aus Karton und Kunststoff. Die einzelnen Elemente der Installation scheinen beiläufig arrangiert, dennoch ist nichts dem Zufall überlassen und jedes Objekt ist in Abhängigkeit zueinander und zum Raum platziert. Der Aufbau der Installation erinnert an ein traditionell komponiertes Gemälde, in dem jeder Gegenstand präzise gesetzt ist – und doch wirkt hier alles unspektakulär und improvisiert. Boden und Wände nutzt Kiaer als gleichberechtigte Flächen für die Präsentation. Den Betrachter konfrontiert er dabei mit unterschiedlichen Dimensionen und Maßstäben: dem des Raumes und den darin aufgebauten Objekten einerseits, und dem der Modelle andererseits.

Ein Modell impliziert für Kiaer eine bestimmte Idee und zugleich eine experimentelle Offenheit. Er betrachtet es als ein Fragment, das immer auch die Abwesenheit von etwas zeigt. Mit Modellen erweitert er die Möglichkeiten der Malerei – Malerei und Modell setzt Kiaer gleichwertig nebeneinander, ohne einem Medium den Vorzug zu geben.
Realisierte oder unrealisierte Projekte von Architekten und Philosophen werden bei Kiaer nicht illustriert, sondern weitergedacht. Den Begriff "Endnote" kann man deshalb auch wörtlich verstehen: Kiaer gibt in seinen Arbeiten zusätzliche Informationen zu einer utopischen Ideenwelt, die immer wieder neu- und umgeschrieben oder auch überschrieben werden kann.

Ian Kiaer, 1971 in London geboren, lebt und arbeitet zurzeit in London und Oxford. Er hatte zahlreiche internationale Einzelausstellungen, u.a. im Neubauer Collegium, Chicago (2016); im Henry Moore Institute, Leeds und in der Focal Point Gallery, Southend-on-Sea (beide 2014); im Centre International de l‘art et du Paysage, Vassivière (2013); im Aspen Art Museum (2012); im Kunstverein München (2010) und in der Galleria d‘Arte Moderna e Contemporanea, Turin (2008).
Darüber hinaus nahm Kiaer an Gruppenausstellungen teil, u.a. im frac île-de-france, Paris; im Mudam Luxembourg; in der Tate Modern und Tate Britain, London; im Hammer Museum, Los Angeles; in der Hayward Gallery, London; an der Biennale d‘Art contemporain, Rennes (2012); der Biennale de Lyon (2009); der Istanbul Bienniale (2007) und der Berlin Biennale (2006).
Im November 2017 eröffnet im Musée d‘Art moderne de la Ville de Paris eine Einzelausstellung von Ian Kiaer.