press release only in german

3. Juli 2023 - 27. April 2025

Painting Nature

Seit Juli 2023 zeigt die Sammlung Grässlin im KUNSTRAUM GRÄSSLIN und den RÄUMEN FÜR KUNST in St. Georgen im Schwarzwald unter dem Titel PAINTING NATURE eine neue Ausstellung. Die Präsentation gibt Einblicke in die mannigfaltigen Erscheinungsformen von Natur in den Werken der Künstlerinnen und Künstler der Sammlung.

Der Mensch betrachtete sich lange als Teil der Natur, in der er die göttliche Ordnung verwirklicht sah. Mit der Aufklärung, dem wissenschaftlichen und technischen Fortschritt, dem Zeitalter der Revolutionen sowie der Industrialisierung werden im 18. und 19. Jahrhundert jene Umbrüche vollzogen, die der Moderne den Weg ebnen. Der Mensch wird sich seiner eigenen Gestaltungskraft mehr und mehr bewusst und nimmt seine Umwelt nicht mehr länger als gottgegeben wahr. Indem er sie erforscht und für sich nutzbar macht, erhebt er sich zusehends über sie.

Nachdem die Kunst viele Jahrhunderte im Dienst religiöser und weltlicher Macht stand, folgt auch sie als Reaktion auf diese Entwicklungen ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten und wird autonom. Die Loslösung von der gegenständlichen Welt vollzieht sich schrittweise am Vorbild der Natur. Das Motiv wird in diesem Prozess Mittel zum Zweck, um die grundlegenden Parameter und inhärenten Eigenschaften des Bildes zu ergründen.

Jean Fautriers Gemälde Poires dans une vasque (1938) und Allée d’arbres (1927–1928), welche die Anfänge der Sammlung Grässlin markieren, stehen beispielhaft für diese Entwicklung. Durch sie lässt sich nachvollziehen, wie die Künstlerinnen und Künstler der Moderne ausgehend von traditionellen Sujets wie Stillleben und Landschaftsdarstellungen zu einer immer abstrakteren Bildsprache finden. Somit sind die Formen der Baumallee in Allée d’arbres in einem Maße in reine Farbe aufgelöst, die sich an der Grenze zum Informellen befinden und die Landschaft nur noch andeuten. Und auch in dem Stillleben Poires dans une vasque wurde der Farbwirkung mehr Bedeutung zugemessen als einer realitätsgetreuen Darstellung des Motivs.

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts führt dieser Bruch mit den Konventionen zu einer noch nie dagewesenen Fülle an Stilen, Formen und Praktiken. Genauso vielfältig wie die künstlerischen Ansätze dieser Zeit sind auch die Manifestationen von Natur in der Kunst.

Die sich ab Ende der 1960er Jahre entwickelnde Land Art führt bis dato als „arm“ und „nicht künstlerisch“ geltende, alltägliche Naturmaterialien als Werkstoff ein, wofür die Arbeit Stone Line, 1978, von Richard Long exemplarisch steht. Auf seinen Wanderungen sammelte Richard Long zunächst vorgefundene Materialien wie Fundholz und Steine und ordnete diese nach geometrischen und geologischen Vorgaben, um daraus Bodenskulpturen zu schaffen.

Anhand der Bilder von Georg Baselitz, Herbert Brandl, Günther Förg, Ika Huber, Imi Knoebel und Albert Oehlen, aber auch jenen der jüngsten Künstlergeneration der Sammlung Grässlin – Andreas Breunig, Rachel von Morgenstern und Stefan Müller – wird deutlich, wie die Prämissen der gestischen Abstraktion mit ihrer organischen, der Natur entlehnten Formensprache seit der Moderne bis in die Gegenwart hineinwirken. So werden die Grenzen zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion immer wieder auf den Prüfstand gestellt oder aber Natur als Inspirationsquelle expressiver malerischer Gesten in den Fokus gerückt.

Heimo Zobernig setzt sich in seinen Werken mit den unterschiedlichen Strömungen der Moderne auseinander und stellt ihre Paradigmen infrage. In dem titelgebenden Bild Painting Nature (2022) reduziert er die Vorstellung von Natur auf seine eigene malerische Strategie, indem er den Schriftzug „Painting Nature“ auf den abstrakten Malgrund setzt. Im Gegensatz dazu hat Herbert Brandl keine Scheu, sich mit den kitschbehafteten Sujets der Tier- und Landschaftsmalerei auseinanderzusetzen. Mit einer Bildsprache, die sich zwischen Abstraktion und Einfühlung bewegt, macht er das Genre in der zeitgenössischen Malerei salonfähig.

In den Werken von Cosima von Bonin, Henning Bohl, Mark Dion, Martin Kippenberger, Hans-Jörg Mayer und Tobias Rehberger erhalten Naturerscheinungen eine symbolische oder metaphorische Bedeutung. So verweisen zum Beispiel die Pilze von Cosima von Bonin auf deren ambivalente Bedeutung als Schutzschirm, als Träger halluzinogener Wirkstoffe oder als Symbol von Männlichkeit. Während Hans-Jörg Mayers Tulpenbilder die Frage aufwerfen, ob die in holländischen Gewächshäusern kultivierten und als Massenware in Discountern wie Aldi und Lidl verkauften Tulpen überhaupt noch als Natur betrachtet werden können, befragt Mark Dion mit seiner Library for the Birds of Antwerp (1993)die kulturelle Repräsentation von Natur in einer Welt, in welcher der Mensch sie sich zu eigen macht und sich grenzenlos an ihr bedient.

PAINTING NATURE zeigt eindringlich, dass es das ‚eine‘ Bild von Landschaft und Natur nicht gibt. Die Herausforderung liegt in der Kunst wie im Leben gerade darin, immer wieder von Neuem mit jeder neuen Generation nach dem gegenwärtigen Bezug zwischen Mensch und Welt zu fragen.

KUNSTRAUM GRÄSSLIN – Franz West

Den Auftakt zur HITPARADE macht mit Franz West ein wahrer Star, der mit zahlreichen Werken aus allen Schaffensphasen in der Sammlung Grässlin vertreten ist. Franz West beginnt seine künstlerische Laufbahn im Wien der 1970er-Jahre. Seine bildhauerische Praxis zeigt sich als Konglomerat verschiedenster Einflüsse, in dessen Zentrum jedoch immer die menschliche Existenz sowie die Existenzbedingungen des Kunstwerks stehen. Inspiration schöpft West bereits in jungen Jahren vor allem aus der Philosophie- und der Kunstgeschichte, aber auch aus der Literatur, der Linguistik sowie aus der Psychologie. Für den Rezipienten eröffnen Werke des Künstlers immer wieder Spielräume für individuelle Assoziationen und Empfindungen, die Ambiguitäten von Beginn an mit einkalkulieren, wenn nicht geradezu voraussetzen, und so aufzeigen, dass Interpretationen immer auch vom Kontext und der individuellen Betrachtungsweise abhängig und somit variabel sind.

Indem Franz West den Rezipienten zum integralen Bestandteil seiner Werke erklärt, durch dessen Anwesenheit und Interaktion sich diese erst komplettieren, erweitert er außerdem den Kunstbegriff auf radikale Weise und stellt das Konzept des autonom schaffenden Künstlers in Frage, der passive, in sich geschlossene Werke schafft. Die in der Ausstellung vertretenen Passstücke mit Box und Monitor (1996) legen Zeugnis von dieser Arbeitsweise ab und stehen als Werkgruppe am Anfang der bildhauerischen Tätigkeit des Künstlers. Die Passstücke sind tragbare, abstrakte, zumeist weiß bemalte Plastiken aus Pappmaché, die den Rezipienten zur körperlichen Interaktion auffordern und in einem Video beispielhaft die Möglichkeiten aufzeigen, wie die Passstücke zu benutzen sind.

Die verschiedenen Objekte wie Stühle, Lampen, Tische, Diwane oder auch Garderoben, die seit Mitte der 1980er-Jahre entstehen, sind Erweiterungen der Passstücke und wie diese auch als "Gebrauchsobjekte" konzipiert. Durch die Benutzung dieser Werke sollen die Sinneswahrnehmung der Realität, das Unterbewusstsein und somit auch das psychische Befinden des "Benutzers" stimuliert und neue, individuelle Assoziationen und Erkenntnisse über die realitätskonstituierenden Elemente unseres menschlichen Daseins hervorgerufen werden.

Parallel zu diesen entstehen die sogenannten "legitimen Skulpturen", von denen mit der Studie nach der Natur (1986) ein Beispiel in der Ausstellung vertreten ist. Diese Skulpturen werden klassisch auf Sockeln oder Podesten präsentiert und treten auf rein visueller, assoziativer oder intellektueller Ebene mit dem Rezipienten in einen Dialog. Über die Jahre gewinnen sie an Größe und münden ab 1997 in den Außenskulpturen aus Aluminium, die mit drei Sitzwusten (2000) auf dem Vorplatz des Kunstraums Grässlin ebenfalls Teil der Ausstellung sind. Die Installation Wegener Räume 1-6 (1988–1989), die zu den Schlüsselwerken von Franz West zählt, leitet dessen Praxis ein, architektonische Strukturen zur Präsentation seiner Werke zu gestalteten und innerhalb dieser neue und ältere Arbeiten miteinander zu kombinieren. Ausgangspunkt für die Wegener Räume 1-6 war 1988 eine Wiederbegegnung mit dem Galeristen Jürgen Wegener, dem West Ende der 1970er-Jahre einige Arbeiten überlassen hatte. Diese tauschte er wieder zurück, um sie mit aktuellen Exponaten in seiner Ausstellung im Portikus in Frankfurt am Main zu installieren. Ähnlich verfuhr er auch mit den sich in der Sammlung Grässlin befindlichen Wegener Räumen 2/6-5/6 (1988).

RÄUME FÜR KUNST – Werke aus der Sammlung

Von Beginn an hat sich die Sammlung Grässlin nicht nach dem Mainstream gerichtet, sondern Arbeiten von Künstlern zusammengetragen, die sich gegen die bestehenden künstlerischen und gesellschaftlichen Konventionen gerichtet, sie in Frage gestellt und dadurch erweitert und verändert haben. Es hat sich jedoch gezeigt, dass eben die Werke von Künstlern wie Günther Förg, Georg Herold, Martin Kippenberger, Meuser, Albert Oehlen oder Markus Oehlen, deren Qualität und künstlerischer Gehalt in den 1980er-Jahren oft genug in Frage gestellt wurde, Eingang in die Kunstgeschichte gefunden haben. Die spitzfindigen, banalen und oft auch mit Sarkasmus und (schwarzem) Humor durchtränkten Werke der 1980er-Jahre sind in den RÄUMEN FÜR KUNST zahlreich vertreten.

Darunter befinden sich Schlüsselwerke wie beispielsweise Familie Hunger (1985) von Martin Kippenberger, Bär mit Auszeichnung (1997), eines der mittlerweile zu Ikonen gewordenen grauen Bilder von Albert Oehlen, oder aber der legendäre Fragentopf (1984) von Fischli & Weiss. Diese inhaltlich geprägten Arbeiten treffen auf Exponate von Künstlern, die in den 1980er-Jahren eher einen konzeptuellen Ansatz verfolgten. Dazu zählt Günther Förg, der die Malerei, die Bildhauerei und die Fotografie nutzte, um die Errungenschaften der Moderne und Postmoderne Revue passieren zu lassen oder Christopher Williams, der mit Hilfe der Fotografie die Wirkkraft des Bildes in der spätkapitalistischen Gesellschaft des ausgehenden 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts untersucht und analysiert.

Insbesondere die künstlerische Praxis von Christopher Williams kann als Bindeglied zwischen den konzeptuellen Werken der 1980er-Jahre und den kontextbezogenen Ansätzen der 1990er-Jahre gesehen werden. Denn mit Kai Althoff, Cosima von Bonin, Michael Krebber, Tobias Rehberger oder Heimo Zobernig sind in der Ausstellung Künstlerinnen und Künstler vertreten, die sich in den 1990er-Jahren vordergründig den sozialen, kulturellen, formalen und ideologischen Kontexten widmeten, in denen das System Kunst operiert.

Anhand der Werke von Georg Baselitz und Imi Knoebel lassen sich die beiden Entwicklungslinien, das expressiv Inhaltliche und das Konzeptuelle, bis zu zwei bedeutenden Künstlern der 1960er- und 1970er-Jahre zurückverfolgen.

Im Plenarsaal des Rathauses von St. Georgen und in zahlreichen Schaufenstern der RÄUME FÜR KUNST hat mit Julian Heuser, Rachel von Morgenstern, Julian Turner, Alicia Viebrock und Sebastian Volz zudem die jüngste Künstlergeneration der Sammlung Grässlin ihren großen Auftritt, die sich an der gesamten Palette formaler und medialer Möglichkeiten bedient, um ihre künstlerischen Visionen zu verwirklichen. Hier trifft der Besucher sowohl auf abstrakte Malereien als auch auf figurative Bilder oder die Installation House of Flowers von Julian Turner, ein neuinterpretierter Nachbau des Mausoleums des jugoslawischen Diktators Josip Broz Tito. Somit wagt die Sammlung Grässlin mit der Ausstellung HITPARADE – WERKE AUS DER SAMMLUNG auch einen Ausblick darauf, was die Hits von morgen sein könnten.

Außerdem sind Dauerinstallationen folgender Künstler zu sehen:
Michael Beutler, Asta Gröting, Erich Hauser, Kalin Lindena, Reinhard Mucha, Ulrich Rückriem, Franz West, Joseph Zehrer