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Mit der Eröffnung der Ausstellung „Hermann Nitsch. Orgien-Mysterien-Theater“ im Martin- Gropius-Bau, Berlin wird erstmals in Deutschland ein angemessener Gesamtüberblick über das jahrzehntelange Schaffen eines der bedeutendsten, aber auch umstrittensten Künstler der Gegenwart ermöglicht. Zusammen mit Günther Brus, Otto Mühl und Rudolf Schwarzkogler (gest. 1969) hatte Hermann Nitsch (geb. 1938 in Wien) die Künstlerbewegung Wiener Aktionismus in den frühen sechziger Jahren begründet. Hermann Nitsch war wichtigster Initiator dieser Bewegung und verfolgte als einziger Künstler der Gruppe kontinuierlich sein aktionistisches Werk weiter. Ein Werk, das – schon vor über 50 Jahren angelegt – zahlreiche Variationen und Interpretationen, Drohungen, Schmährufe und Huldigungen erlebt hat und noch immer eine große Faszination auf das Publikum ausübt. Dennoch fand in Deutschland bis heute keine umfassende Rezeption dieses Künstlers statt. Durch die Initiative des Vereins der Freunde der Nationalgalerie wurde nun eine große deutsche Retrospektive zu Hermann Nitsch realisiert, mit der die Nationalgalerie vom 30. November 2006 bis zum 22. Januar 2007 zu Gast im Martin-Gropius-Bau sein wird.

Die Kuratorin Britta Schmitz entwickelte eigens für die Räumlichkeiten dieses Museumsbaus eine weitläufige, 18 Räume bespielende Ausstellungskonzeption, die den großformatigen, mehrteiligen Arbeiten gerecht wird. Leihgaben zahlreicher internationaler Museen und Privatsammler können jetzt in Berlin erstmals seit Jahrzehnten wieder öffentlich gezeigt werden und vermitteln einen umfassenden Eindruck über das Gesamtwerk des Künstlers. „Eine Bühne für das Orgien-Mysterien-Theater, wie der Titel vermuten lassen könnte, ist nicht nötig“, so Britta Schmitz. „Schließlich handelt es sich hier um kein Darstellungstheater, sondern einen Erlebnisraum.“ Das Auferstehungsspiel, in dem die Auferstehung das Tragische überwindet, wurde 1957 bereits von Hermann Nitsch als Idee eines Sechs-Tage- Festes konzipiert. Die komplexen Ideen, die dem Orgien-Mysterien-Theater zugrunde liegen, zielen auf eine Verbindung, Vertauschung und Verschmelzung verschiedenster Realitätsund Bedeutungsebenen.

Auf der Idee des Orgien-Mysterien-Theaters basiert das Gesamtwerk des Künstlers, das nun in der Berliner Ausstellung gezeigt wird. So wie die Aktionen, muss auch die Ausstellung in bewusster Teilnahme verstanden werden. Das Werk von Hermann Nitsch lässt sich nicht in die Gattungen Malerei, Installation, Environment, Video oder Foto, noch in Früh-, Mittel- oder Spätwerk unterteilen. Dem entsprechend wird das Gesamtwerk ineinander verschränkt gezeigt, unabhängig von Gattungs- und Zeitaspekten.

Am Anfang des Ausstellungsparcours steht der Existenzaltar von 1960, Museum für Moderne Kunst, Wien. Ihm folgen neun jeweils sechs bis neun Meter lange Bilder. Ein Höhepunkt ist die Geiselwand aus dem Museum Ludwig. Auch der Asolo-Raum von 1973 und der Schömer-Raum von 1998 aus der Sammlung Essl werden für die Ausstellung rekonstruiert und aufgebaut. Die Ausstellung präsentiert außerdem die beiden Arbeiten Ölberg und Brot und Wein (alle 1960) sowie die acht Kreuzwegstationen aus den Jahren 1960/61.

Die sechs großen, neun Meter langen Bilder, die 1962 durch Schüttungen entstanden sind, wurden in dieser Ausstellung erstmals aus verschiedenen deutschen Museen zusammengetragen und führen leitmotivisch durch die gesamte Ausstellung (Blutorgelbild, Passionsfries, Kreuzwegstation, Schütt- und Wälzbild, Kreuzbluttriptychon, Geißelwand). In den anschließenden Räumen vervollständigt sich der Einblick in Nitschs Gesamtwerk und dessen Vielseitigkeit anhand von Foto-Dokumentationen, Partituren und Zeichnungen. Auf einer 18 Meter großen Leinwand wird der vierstündige Mitschnitt beinahe der gesamten 122. Aktion des Orgien-Mysterien-Theaters im Wiener Burgtheater vom 19. November 2005 gezeigt und macht den Besucher zum Zeugen des Ereignisses. Die Installation ganzer Räume wie das „Geruchslabor“ und den „Musikraum“ komponierte Hermann Nitsch während des Aufbaus. Er stellte sie eigens für die Ausstellung in Berlin neu zusammen.

Große „Bodenschüttbilder“, Aktionsrelikte, Schreine, liturgische Geräte, Kasel (liturgische Gewänder) und Blumen prägen die einzelnen Räume. Für den Besucher eröffnet sich so ein einzigartiges Ausstellungserlebnis, in dem er vermeintlich selbst Teil einer weiteren großen Aktion von Hermann Nitsch zu werden scheint.

Hermann Nitsch polarisiert seit den frühen Anfängen seiner Aktionskunst die Kunstwelt. Die Berechtigung seines Werkes sieht der Künstler selbst rückblickend eher in dessen festiver Sinnlichkeit als in seiner kunstgeschichtlichen Einordnung: „Was will ich wirklich mit meiner Arbeit? Ich will, dass das Drama zum Fest erweitert wird. Ich will das schönste Fest der Menschheit entwerfen, das keinen anderen Vorwand als das Leben selbst hat, ich will, dass wir wissen, dass wir sind, und dass der Umstand, dass wir sind, verherrlicht wird, zum heiter herzlichen Fest, denn dieses unser Sein haben wir, sonst vorerst nichts.“ (Hermann Nitsch, Pfingsten1973, anlässlich einer Eröffnungsrede in Prinzendorf).

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