press release only in german

18.09.2021 - 18.03.2022
Eröffnung: Freitag, 17.9.2021, 19.30 Uhr

HEINZ GAPPMAYR "TEXT UND RAUM"/"TEXT AND SPACE"

Kuratorin: GABY GAPPMAYR, Tochter des Künstlers
Die Ausstellung entsteht in Kooperation und mit Unterstützung der Galerie JOHANN WIDAUER, Innsbruck

GABY GAPPMAYR

Heinz Gappmayr – Sprache als Kunstgegenstand

Das künstlerische Konzept meines Vaters beruht auf einer jahrzehntelangen Beschäftigung mit dem Medium Sprache. Wir sind es gewohnt, im alltäglichen Leben scheinbar ganz selbstverständlich mit Sprache umzugehen. Wir kommunizieren, lesen und schreiben, ohne jedoch normalerweise über die Sprache selbst zu reflektieren. Wenn wir etwa mittels der Schrift einen bestimmten Inhalt vermitteln wollen, dann geht es im Allgemeinen um den Inhalt und nicht um das zugrunde liegende Sprachsystem als solches, das im Laufe der Zeit viele Veränderungen erfuhr, von der Handschrift über den Buchdruck hin zur Schreibmaschine und dem Computer. Wir sind im Alltag von Schrift umgeben. Sie begegnet uns in der Werbung, in Aufschriften, Inschriften, Notizen, Informationen, Lehr- und Lerninhalten in Schulen und Universitäten, den Printmedien und ihren digitalen Entsprechungen, in der Arbeitswelt und in unserer Freizeit.

Und doch scheint das Medium selbst nicht präsent zu sein. Es wird der Schrift eine Mittlerrolle zuteil, eine Art Transfermedium zwischen jenen, die etwas vermitteln wollen und denen, die diese Mitteilungen rezipieren. Dies bedingt eine Doppelfunktion. Zum einen scheint die Sprache – hier in Form der Schrift – hinter dem Inhalt zu verschwinden und zugleich ist sie aber, ähnlich fast wie Zeit und Raum, unabdingbarer Teil des Menschen. Die Sprache ist ein existentielles Element des Menschen, sie hat im Alltag jedoch zumeist eine dienende Funktion im Sinne einer Vermittlung außersprachlicher Inhalte.

Seit den 1950er Jahren beschäftigte sich mein Vater mit den Möglichkeiten einer künstlerischen Relevanz von Sprache. Dieser Ansatz führte zu einem von Beginn an interdisziplinären Konzept zwischen Dichtung und bildender Kunst. In Veröffentlichungen und Ausstellungen jener Zeit setzt er sich mit einzelnen Wörtern auseinander. Es sind Begriffe wie sind, ist, sichtbar, weiß, oder etwas, die er auf die Fläche bringt. In den frühen 1960er Jahren entstehen seine Inkunabeln, bei denen er die Wörter auf einer Fläche von 35 x 29cm in unterschiedlichen Konstellationen und Intensitäten verdichtet, expandiert, seriell, isoliert, linear, vertikal oder auseinanderstiebend positioniert. Schon in diesen frühen Texten wird klar, dass es dem Künstler hier um raumgreifende Konstruktionen geht. Das Wort erfasst den Raum und so wird im wörtlichen Sinne ein Sprachraum sichtbar. Das Schreibmaschinenblatt wird zum Bildgrund, die Wörter sind zugleich visuell konstruktive Bildelemente und sprachliche Bedeutungsträger.

Die Begriffe selbst sind Kern des künstlerischen Konzepts. In dem Text zeit (Inkunabel/1966) ist das Wort zeit horizontal über die Bildfläche gedehnt. Es folgt der Leserichtung. Doch wird es mehrmals durch Klammerzeichen in beide Richtungen unterbrochen. Das Wort scheint sich durch die Klammern zu bewegen. Hier vereint Heinz Gappmayr zwei Bedeutungsebenen, einerseits das Wort zeit und zum anderen die Klammern, ein Interpunktionszeichen. Das Wort zeit bezieht sich auf keinen Gegenstand der Wahrnehmung. Es ist ein sinnlich wahrnehmbares Zeichen, das sich auf einen nicht anschaulichen Begriff bezieht. Die Klammern, die sich vom altgriechischen Wort parénthesis ableiten, das soviel wie Einschub oder inhaltliche Abgrenzung bedeutet, verändern die Funktionsweise des Wortes auf der Fläche. Durch die räumliche Durchdringung der einzelnen Buchstaben des Wortes entsteht ein weiterer, nicht-sprachlicher Bedeutungsraum. Durch die Dehnung werden gleichsam Schichtungen zeitlicher Abläufe, Zeiträume sichtbar. Wir erkennen, dass das Wort jenen umfassenden Begriff der Zeit impliziert, der sich analog zu den Bewegungen der Klammern als Zeitraum mit allem Vergangenen, Gegenwärtigen und Zukünftigen darstellt. Thema dieses Werkes ist die Komplexität und Vielschichtigkeit von Zeit, präsent hier mit minimalen Mitteln durch die Interferenz von Schrift und Zeichen.

Im Werk Heinz Gappmayrs ist die Sprache nicht nur Kompositionselement. Es sind nicht nur Bilder aus Sprache. Vielmehr ist die Sprache zugleich künstlerisches „Werkzeug“ und Kunstgegenstand. Die Buchstaben, Wörter und Zeichen sind visuelle Formen der Sprache, Schrifttype (Schreibmaschinenschrift/Helvetica), Größe und Dickte sind wichtige formale Elemente, doch entscheidende inhaltliche Aspekte spiegeln sich in der Wahl der Begriffe und den Möglichkeiten von Sprache als künstlerischem Medium.

in diesem augenblick (WVZ. 1935/1997) – ein Wandtext, dem man begegnet, wenn man durch den Ausstellungsraum spaziert. Diese Zeitbestimmung veranschaulicht auf direkte, ja fast existenziell aufwühlende Weise die Bedeutung des Augenblicklichen. Grammatikalisch ist das Demonstrativpronomen ein wesentliches Element dieses Werkes. „Dieser“ Augenblick ist ein Jetzt, es ist der Zeitpunkt der Wahrnehmung des Begrifflichen. Das Denken und die Erfahrung des Gegenwärtigen, des Unmittelbaren sind hier ident. Das Demonstrativpronomen wird zum Auslöser jener Vorstellung einer Zeiterfahrung, die kaum möglich ist. Die Formulierung „in diesem augenblick“ ist eine Interaktion mit dem Gegenüber, ein Postulat, sich dem Begriff des Augenblicklichen zu stellen. Das Paradoxon besteht in der Differenz zwischen der permanenten visuellen Präsenz der Schrift und der transitorischen Qualität des Begrifflichen.

Eine andere Funktion hat das Wort schwebend (WVZ. 481/1982), das in der Mitte einer großen Wand steht. Der poetische Moment wird in der Verwendung des Partizip Präsens sichtbar. Es ist eine Form, die adjektivisch gebraucht einen Zustand beschreibt und zugleich aber als Verb einen aktiven Vorgang im Augenblick der Wahrnehmung impliziert. Das Wort hat hier indikatorischen Charakter, es bestimmt den Blick derer, die es wahrnehmen und rezipieren. Durch die Isolierung auf der Fläche, durch seine Vereinzelung im Raum, verändert es seine Umgebung. Normalerweise beziehen sich Verben oder Adjektive auf Subjekte, auf Nomen. Jemand macht etwas, jemand hat diese oder jene Eigenschaft. Thema dieses Werkes ist alleine die Schönheit des Zuständlichen. Durch die Sprache ist es möglich, das Begriffliche hinter den Wörtern zu veranschaulichen. schwebend bedeutet („schweben“ auf duden online. URL-https://www.duden.de/rechtschreibung/schweben /aufg.am 5.9,2021) sich in der Luft, im Wasser o.ä. im Gleichgewicht halten, ohne zu Boden zu sinken / sich schwebend irgendwohin bewegen / noch nicht abgeschlossen, im Gange sein. All diese Eigenschaften sind natürliche Eigenschaften des Begriffes. Sie treten in einen Dialog mit dem Umgebungsraum und transformieren ihn durch das rein Begriffliche.

Ein weiterer Text im Raum ist ein Zahlentext, ein Genre, dem mein Vater auch ein eigenes Buch widmete und das ihn sehr begeisterte. Wesentlich ist für ihn die philosophisch erkenntnistheoretische Relevanz der Zahlen. Dies zeigt sich gerade auch in dem Werk modifikationen von 0. Die Null als Zahlwort leitet sich aus dem Lateinischen figura nihili bzw. nulla figura ab, was die die Idee der Abwesenheit von etwas impliziert. Die Null ist Schnittstelle zwischen nichts und etwas. Dies wird in einem anderen Werk meines Vaters besonders deutlich: von 0 bis 1. Die scheinbare Linearität des Zahlensystems suggeriert einen fließenden Übergang von nichts zu etwas und dennoch bleibt jener Schritt unerklärlich. In dem Werk modifikationen von 0 geht es zunächst um die Genealogie mathematischer Resultate. 7 – 7 ist ebenso 0 wie 3 – 3. Und doch unterscheiden sich die Ergebnisse durch ihre Vorgeschichte, denn die Zahl sieben ist anders als die Zahl drei. Jenseits dieser mathematischen Überlegungen thematisiert Gappmayr auf philosophischer Ebene die Unterschiedlichkeit des Nichts. Bei der Abwesenheit von etwas ist nicht nur das Fehlen entscheidend, sondern auch das Etwas. Die Präsenz von etwas bestimmt auch ihre Absenz. Anders gesagt, die Abwesenheit beispielsweise eines Objekts, einer Zahlengröße, einer Eigenschaft etc. bezieht sich immer auch auf ihr ursprünglich präsente Entsprechung.

7 – 7 mag 0 sein, aber es ist dem Wesen nach eine andere 0 als das Resultat von 3 – 3. Auf zwingende Weise verstehen wir das Poetische und zugleich Geheimnisvolle des Nichts, der Abwesenheit von Etwas.

Das künstlerische Konzept meines Vaters ist geprägt von der Beschäftigung mit Sprache als einem Medium, welches jenseits der Vermittlung außersprachlicher, alltäglicher Inhalte, eine vielschichtige Konstruktion des Denkens impliziert und in seinen Werken zu einem autonomen, komplexen Kunstgegenstand wird. Auf präzise und subtile Weise gibt der Künstler der Sprache ihre Unabhängigkeit zurück. Eine Kontextualität bezieht sich bei ihm ausschließlich auf konnotative Bezüge sprachlicher Zeichen. Die Bildfläche wird zum Denkraum, seine Interventionen im Raum, die Vereinzelung der Wörter und Zeichen spiegeln die evokative Kraft der Sprache wider. Wir erkennen, dass die Beziehungen zwischen Gegenständen der Wirklichkeit, den Wörtern und den Begriffen fragil und nicht immer deckungsgleich sind. Wir sehen uns als Rezipierende inmitten einer Welterschaffung durch Sprache, denn wir konstituieren eine Wirklichkeit jenseits der unmittelbaren Anschauung, allein durch unser Denken und die Umsetzung der vom Künstler intendierten Prozesse. Und so lösen sprachliche Indikatoren Überlegungen und Reflexionen in uns aus, die auf so präzise, vermeintlich oft einfache Weise vor Augen führen, welch künstlerische Relevanz die Sprache hat und wie unerschöpflich die Mäander unseres Denkens und die vom Künstler geschaffenen Denkwirklichkeiten sind.

Gaby Gappmayr 2021 "**

Kuratorin: GABY GAPPMAYR, Tochter des Künstlers
Die Ausstellung entsteht in Kooperation und mit Unterstützung der Galerie JOHANN WIDAUER, Innsbruck

GABY GAPPMAYR

Heinz Gappmayr – Sprache als Kunstgegenstand

Das künstlerische Konzept meines Vaters beruht auf einer jahrzehntelangen Beschäftigung mit dem Medium Sprache. Wir sind es gewohnt, im alltäglichen Leben scheinbar ganz selbstverständlich mit Sprache umzugehen. Wir kommunizieren, lesen und schreiben, ohne jedoch normalerweise über die Sprache selbst zu reflektieren. Wenn wir etwa mittels der Schrift einen bestimmten Inhalt vermitteln wollen, dann geht es im Allgemeinen um den Inhalt und nicht um das zugrunde liegende Sprachsystem als solches, das im Laufe der Zeit viele Veränderungen erfuhr, von der Handschrift über den Buchdruck hin zur Schreibmaschine und dem Computer. Wir sind im Alltag von Schrift umgeben. Sie begegnet uns in der Werbung, in Aufschriften, Inschriften, Notizen, Informationen, Lehr- und Lerninhalten in Schulen und Universitäten, den Printmedien und ihren digitalen Entsprechungen, in der Arbeitswelt und in unserer Freizeit.

Und doch scheint das Medium selbst nicht präsent zu sein. Es wird der Schrift eine Mittlerrolle zuteil, eine Art Transfermedium zwischen jenen, die etwas vermitteln wollen und denen, die diese Mitteilungen rezipieren. Dies bedingt eine Doppelfunktion. Zum einen scheint die Sprache – hier in Form der Schrift – hinter dem Inhalt zu verschwinden und zugleich ist sie aber, ähnlich fast wie Zeit und Raum, unabdingbarer Teil des Menschen. Die Sprache ist ein existentielles Element des Menschen, sie hat im Alltag jedoch zumeist eine dienende Funktion im Sinne einer Vermittlung außersprachlicher Inhalte.

Seit den 1950er Jahren beschäftigte sich mein Vater mit den Möglichkeiten einer künstlerischen Relevanz von Sprache. Dieser Ansatz führte zu einem von Beginn an interdisziplinären Konzept zwischen Dichtung und bildender Kunst. In Veröffentlichungen und Ausstellungen jener Zeit setzt er sich mit einzelnen Wörtern auseinander. Es sind Begriffe wie sind, ist, sichtbar, weiß, oder etwas, die er auf die Fläche bringt. In den frühen 1960er Jahren entstehen seine Inkunabeln, bei denen er die Wörter auf einer Fläche von 35 x 29cm in unterschiedlichen Konstellationen und Intensitäten verdichtet, expandiert, seriell, isoliert, linear, vertikal oder auseinanderstiebend positioniert. Schon in diesen frühen Texten wird klar, dass es dem Künstler hier um raumgreifende Konstruktionen geht. Das Wort erfasst den Raum und so wird im wörtlichen Sinne ein Sprachraum sichtbar. Das Schreibmaschinenblatt wird zum Bildgrund, die Wörter sind zugleich visuell konstruktive Bildelemente und sprachliche Bedeutungsträger.

Die Begriffe selbst sind Kern des künstlerischen Konzepts. In dem Text zeit (Inkunabel/1966) ist das Wort zeit horizontal über die Bildfläche gedehnt. Es folgt der Leserichtung. Doch wird es mehrmals durch Klammerzeichen in beide Richtungen unterbrochen. Das Wort scheint sich durch die Klammern zu bewegen. Hier vereint Heinz Gappmayr zwei Bedeutungsebenen, einerseits das Wort zeit und zum anderen die Klammern, ein Interpunktionszeichen. Das Wort zeit bezieht sich auf keinen Gegenstand der Wahrnehmung. Es ist ein sinnlich wahrnehmbares Zeichen, das sich auf einen nicht anschaulichen Begriff bezieht. Die Klammern, die sich vom altgriechischen Wort parénthesis ableiten, das soviel wie Einschub oder inhaltliche Abgrenzung bedeutet, verändern die Funktionsweise des Wortes auf der Fläche. Durch die räumliche Durchdringung der einzelnen Buchstaben des Wortes entsteht ein weiterer, nicht-sprachlicher Bedeutungsraum. Durch die Dehnung werden gleichsam Schichtungen zeitlicher Abläufe, Zeiträume sichtbar. Wir erkennen, dass das Wort jenen umfassenden Begriff der Zeit impliziert, der sich analog zu den Bewegungen der Klammern als Zeitraum mit allem Vergangenen, Gegenwärtigen und Zukünftigen darstellt. Thema dieses Werkes ist die Komplexität und Vielschichtigkeit von Zeit, präsent hier mit minimalen Mitteln durch die Interferenz von Schrift und Zeichen.

Im Werk Heinz Gappmayrs ist die Sprache nicht nur Kompositionselement. Es sind nicht nur Bilder aus Sprache. Vielmehr ist die Sprache zugleich künstlerisches „Werkzeug“ und Kunstgegenstand. Die Buchstaben, Wörter und Zeichen sind visuelle Formen der Sprache, Schrifttype (Schreibmaschinenschrift/Helvetica), Größe und Dickte sind wichtige formale Elemente, doch entscheidende inhaltliche Aspekte spiegeln sich in der Wahl der Begriffe und den Möglichkeiten von Sprache als künstlerischem Medium.

in diesem augenblick (WVZ. 1935/1997) – ein Wandtext, dem man begegnet, wenn man durch den Ausstellungsraum spaziert. Diese Zeitbestimmung veranschaulicht auf direkte, ja fast existenziell aufwühlende Weise die Bedeutung des Augenblicklichen. Grammatikalisch ist das Demonstrativpronomen ein wesentliches Element dieses Werkes. „Dieser“ Augenblick ist ein Jetzt, es ist der Zeitpunkt der Wahrnehmung des Begrifflichen. Das Denken und die Erfahrung des Gegenwärtigen, des Unmittelbaren sind hier ident. Das Demonstrativpronomen wird zum Auslöser jener Vorstellung einer Zeiterfahrung, die kaum möglich ist. Die Formulierung „in diesem augenblick“ ist eine Interaktion mit dem Gegenüber, ein Postulat, sich dem Begriff des Augenblicklichen zu stellen. Das Paradoxon besteht in der Differenz zwischen der permanenten visuellen Präsenz der Schrift und der transitorischen Qualität des Begrifflichen.

Eine andere Funktion hat das Wort schwebend (WVZ. 481/1982), das in der Mitte einer großen Wand steht. Der poetische Moment wird in der Verwendung des Partizip Präsens sichtbar. Es ist eine Form, die adjektivisch gebraucht einen Zustand beschreibt und zugleich aber als Verb einen aktiven Vorgang im Augenblick der Wahrnehmung impliziert. Das Wort hat hier indikatorischen Charakter, es bestimmt den Blick derer, die es wahrnehmen und rezipieren. Durch die Isolierung auf der Fläche, durch seine Vereinzelung im Raum, verändert es seine Umgebung. Normalerweise beziehen sich Verben oder Adjektive auf Subjekte, auf Nomen. Jemand macht etwas, jemand hat diese oder jene Eigenschaft. Thema dieses Werkes ist alleine die Schönheit des Zuständlichen. Durch die Sprache ist es möglich, das Begriffliche hinter den Wörtern zu veranschaulichen. schwebend bedeutet („schweben“ auf duden online. URL-https://www.duden.de/rechtschreibung/schweben /aufg.am 5.9,2021) sich in der Luft, im Wasser o.ä. im Gleichgewicht halten, ohne zu Boden zu sinken / sich schwebend irgendwohin bewegen / noch nicht abgeschlossen, im Gange sein. All diese Eigenschaften sind natürliche Eigenschaften des Begriffes. Sie treten in einen Dialog mit dem Umgebungsraum und transformieren ihn durch das rein Begriffliche.

Ein weiterer Text im Raum ist ein Zahlentext, ein Genre, dem mein Vater auch ein eigenes Buch widmete und das ihn sehr begeisterte. Wesentlich ist für ihn die philosophisch erkenntnistheoretische Relevanz der Zahlen. Dies zeigt sich gerade auch in dem Werk modifikationen von 0. Die Null als Zahlwort leitet sich aus dem Lateinischen figura nihili bzw. nulla figura ab, was die die Idee der Abwesenheit von etwas impliziert. Die Null ist Schnittstelle zwischen nichts und etwas. Dies wird in einem anderen Werk meines Vaters besonders deutlich: von 0 bis 1. Die scheinbare Linearität des Zahlensystems suggeriert einen fließenden Übergang von nichts zu etwas und dennoch bleibt jener Schritt unerklärlich. In dem Werk modifikationen von 0 geht es zunächst um die Genealogie mathematischer Resultate. 7 – 7 ist ebenso 0 wie 3 – 3. Und doch unterscheiden sich die Ergebnisse durch ihre Vorgeschichte, denn die Zahl sieben ist anders als die Zahl drei. Jenseits dieser mathematischen Überlegungen thematisiert Gappmayr auf philosophischer Ebene die Unterschiedlichkeit des Nichts. Bei der Abwesenheit von etwas ist nicht nur das Fehlen entscheidend, sondern auch das Etwas. Die Präsenz von etwas bestimmt auch ihre Absenz. Anders gesagt, die Abwesenheit beispielsweise eines Objekts, einer Zahlengröße, einer Eigenschaft etc. bezieht sich immer auch auf ihr ursprünglich präsente Entsprechung.

7 – 7 mag 0 sein, aber es ist dem Wesen nach eine andere 0 als das Resultat von 3 – 3. Auf zwingende Weise verstehen wir das Poetische und zugleich Geheimnisvolle des Nichts, der Abwesenheit von Etwas.

Das künstlerische Konzept meines Vaters ist geprägt von der Beschäftigung mit Sprache als einem Medium, welches jenseits der Vermittlung außersprachlicher, alltäglicher Inhalte, eine vielschichtige Konstruktion des Denkens impliziert und in seinen Werken zu einem autonomen, komplexen Kunstgegenstand wird. Auf präzise und subtile Weise gibt der Künstler der Sprache ihre Unabhängigkeit zurück. Eine Kontextualität bezieht sich bei ihm ausschließlich auf konnotative Bezüge sprachlicher Zeichen. Die Bildfläche wird zum Denkraum, seine Interventionen im Raum, die Vereinzelung der Wörter und Zeichen spiegeln die evokative Kraft der Sprache wider. Wir erkennen, dass die Beziehungen zwischen Gegenständen der Wirklichkeit, den Wörtern und den Begriffen fragil und nicht immer deckungsgleich sind. Wir sehen uns als Rezipierende inmitten einer Welterschaffung durch Sprache, denn wir konstituieren eine Wirklichkeit jenseits der unmittelbaren Anschauung, allein durch unser Denken und die Umsetzung der vom Künstler intendierten Prozesse. Und so lösen sprachliche Indikatoren Überlegungen und Reflexionen in uns aus, die auf so präzise, vermeintlich oft einfache Weise vor Augen führen, welch künstlerische Relevanz die Sprache hat und wie unerschöpflich die Mäander unseres Denkens und die vom Künstler geschaffenen Denkwirklichkeiten sind.

Gaby Gappmayr 2021