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Die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts ist in Bezug auf die Entwicklung der Kunst das Jahrhundert der fundamentalen Erneuerung der Gestaltungsmöglichkeiten. So ist es kaum verwunderlich, dass sich die Betrachtung vielfach auf diese neuen Möglichkeiten bezieht, auf die Aufhebung des illusionistischen Raumes durch die Kubisten, die Befreiung der Farbe von ihrem Gegenstand in der äußeren Natur durch die Expressionisten oder die Umsetzung von Bewegung, Zeit und Gleichzeitigem auf der Fläche, wie es die Futuristen, den Orphismus oder den Rayonismus beschäftigte. Es ist die Epoche der Ismen, ein brodelndes Forschungslabor.

Die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts ist aber auch von fundamentaler gesellschaftspolitischer Umstrukturierung gezeichnet, Veränderungen, die mit Kriegen, Armut und großer sozialer Not einhergingen. Während uns die Bildwelt eines Kandinsky, Mondrian, Matisse oder Heckel in keinster Weise erahnen lässt, mit welchen Lebensbedingungen die Masse der Menschen zu kämpfen hatte, wendet sich eine zweite Gruppe von Künstlern genau diesen Bedingungen zu, sieht den Sinn künstlerischer Gestaltung im Sichtbarmachen der Wirkung der den Menschen in seiner Existenz bedrohenden mit tiefer Angst und mit Schmerz heimsuchenden Umstände. Zu diesen Propheten und Rufern, zu denen, die die Augen nie verschließen konnten, neben Käthe Kollwitz und Ernst Barlach stehend, gehörten Heinrich Altherr, Direktor an der Stuttgarter Akademie und Vorsitzender der Stuttgarter Sezession und Karl Hofer, Leiter des Vorstandes der Berliner Sezession und Lehrer an den vereinigten Staatsschulen für freie und angewandte Kunst in Berlin.

Die Themen Heinrich Altherrs machen bereits deutlich, dass er die Entwurzelung des modernen Menschen, den Verlust der über Jahrhunderte bestehenden Ordnung spürte: Resignation, 1908, Zweifler, 1925, Die Heimatlosen, 1929. Doch selbst Das Liebespaar von 1931 klammert sich verstört aneinander. Wie ein Stein in der Luft, in tiefer Dunkelheit hängend, müssen sie das Gewahrwerden der Möglichkeit, jeden Moment abstürzen zu können, ertragen. Karl Hofers anmutige, junge Mädchen stehen noch auf der Erde, ihre unschuldige Sinnlichkeit vermag noch Trost zu geben. Seine Paare sitzen am Tisch, auch wenn das Mahl karg ist, die Köpfe gesenkt sind und schwere Erdfarben auf den Figuren lasten.

Altherr lässt die Liebenden nicht abstürzen: Ein helles Wolkenband in der oberen rechten Ecke ist parallel zum hellen Körper der Frau geführt, so dass das Paar in seiner den Gesetzen der Schwerkraft trotzenden Haltung verharren kann, in seinem Bett aus Kälte und Dunkelheit. Der Chronist unserer Tage, 1920, schaut mit Entsetzen über den Rand seiner Schreibtafel. Was er gewahr wird, lässt ihn seine Rechte mit dem Griffel dergestalt erheben, dass Blick und Gedanke des Betrachtenden nach oben geführt werden, in die Welt, die sich der Gestaltung entzieht. Diese Geste ist ein Leitthema in Altherrs Bildwelt, ob beim Zweifler, den Schiffbrüchigen oder den Heimatlosen – da gibt es noch etwas, was dem Menschen Ziel und Halt sein könnte. Doch wie schwer wird es den „sackartigen“ Gestalten unter der Last der Ängste und Schmerzen diese Botschaft noch zu fühlen. Altherr entwickelt seine Figuren aus dem „Erdreich“ heraus. Durch den langen Prozess des Farbauftrags in Nuance über Nuance wachsen die Leiber hervor. Dabei will man kaum unterscheiden zwischen Fleisch und Gewand. Sie sind geschlossene Monumente menschlichen Bedrohtseins. Altherr weist den Ausweg in eine jenseitige Welt. Sein Trost im Hier und Jetzt liegt im Glauben, aus welchem Barmherzigkeit erwächst – und niemand hat, wie er, zum Thema gemacht, wie schwer dies geworden ist.

Karl Hofer geht vom Körper aus, den er bekleidet. Melancholie, Verzweiflung, Alleinsein, Grenzsituationen spiegeln sich im Antitz, in den Augen. Nicht aus der Substanz der Farbe, sondern aus ihrer durch Linien geschaffenen Form baut er seine Figuren auf. Er hat sich mit El Greco und den Kubisten auseinandergesetzt. Heinrich Altherr dagegen mit Rembrandt und Delacroix. Hofers Bekenntnis zu Klarheit und zur Form: „Je heißer die Empfindungen sind, die sichtbar werden sollen, desto unerbittlicher muss die Form sein, in der sie Gestalt annehmen.“ Zu seinen Themen gehören auch Stillleben und Landschaft, was man bei Altherr selten findet. Seine Freude an Komposition und dem Klingen von Farbflächen nebeneinander zeichnen Hofer als den Geist aus, der einer trostlos traurig gewordenen Welt die Schönheit und die Sinnenfreude entgegensetzt, für deren tiefere Bedeutung ihm zwei Reisen nach Indien Seele und Augen öffneten. Aber die Schönheit hat ihre Reinheit, ihre Freiheit verloren. Sie ist durch die Brechung an der Bitterkeit durch die Kriegs- und Nachkriegswelt karg geworden, denn Hofer kennt das Leben in einem Internierungslager und in den 30er Jahren wird sein und Altherrs Werk aus den Museen entfernt und beiden Künstlern Berufsverbot erteilt. Werner Haftmann charakterisiert den Maler der Menschen: „Die Reibung mit der gelebten Wirklichkeit kratzt die Hülle der Idealität, der Idyllik und der ‚peinture’ herunter. Übrig bleibt ein ernüchterter Traum. Jetzt werden die Bilder wirklich hautlos. Eine trockene Farbe mit wenigen hektischen Akzenten mauert den Flächengrund und steht wie eine Untermalung.“ Doch immer wieder wählt Hofer das Thema der Menschenpaare, als Mann und Frau, als Freundinnen und als Schwestern: In der Suche nach Freundschaft, dass der Mensch dem Menschen eine Stütze sei, liegt der Weg. Pressetext

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Heinrich Altherr – Karl Hofer