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Eine Sammlung von Tabakpfeifen und ein Beet aus abgeschossenen Feuerwerkskörpern, die Bestandteile einer aufgelösten Autowerkstatt und die Stickbildervorlagen einer pleitegegangenen Fabrik – sie alle können zu künstlerischen Arbeiten werden. Die Teilnehmer der Ausstellung „Heb mich auf" bewahren das auf, was andere wegwerfen. Sie verwandeln diese Alltagsgegenstände in Kunst. Da darf auch Hans-Peter Feldmann als Pionier dieser ästhetischen Strategie nicht fehlen. Seine, in der Ausstellung vertretene, Arbeit „Alle Kleider einer Frau" gilt als Inkunabel dieser Richtung.

Wenn bildende Künstler Dinge sammeln erfolgt das Zusammentragen von Gegenständen und Bildern unter den Konditionen einer spezifischen künstlerischen Intention. In ihrer Kollektion gewinnen die Gegenstände kulturelle Relevanz. Auf den Akt des Sammelns und der künstlerischen Transformation folgt in der Regel ein Präsentationsakt, eine Ausstellung in einer Kunstinstitution. Wenn Künstler etwas sammeln, dann nehmen sie zunächst etwas wahr, schenken Dingen besondere Beachtung und bewahren sie vor dem Verschwinden. Andererseits verschwindet eben dieses Objekt, dieses Lebewesen oder diese Information in der Sammlung und wird zum Sammlungsstück. Es wird in eine Ordnung eingefügt. Aus den einzelnen Exemplaren entwickelt sich ein spezielles Gefüge mit bestimmten Relationen und Bedeutungen. Sammeln ist per se schon ein Produzieren nach ästhetischen Gesichtspunkten: ein Konzept wird realisiert.

Nach Max Weber können alle Tätigkeiten und Erzeugnisse des Menschen für die Individuen einer Gesellschaft Kulturbedeutung erlangen. Der Philosoph und Soziologe Helmuth Plessner geht noch einen Schritt weiter und postuliert, dass alles Wahrgenommene in einem sinnlichen Erlebnis- und Wahrnehmungsakt in ästhetische Gegenstände verwandelt werden kann. In diesem Sinn kann eine Ware nach künstlerischen Kriterien betrachtet und rezipiert und somit zum Kunstwerk werden. Bei den Objekten, die Künstler zusammentragen handelt es sich gleichsam um eine Vielzahl sogenannter Readymades, die gerade in ihrer Menge und ihren Beziehungen zueinander, einen künstlerischen Wert erhalten.

Die Interpretation von Dingen als Sammlungsgegenstand im Sinne der Kunst, setzt eine ästhetische Sensibilität voraus. Der ästhetische Blick wandert vom tradierten Kunstobjekt weg und geht darüber hinaus. Er interpretiert die Alltagswelt nach künstlerischen Überlegungen. Die Transformation in Kunst wird dabei zum Identifizierungsprozess. Nach Jacques Rancière, dem französischen Philosophen, sucht die Menschheit die Emanzipation von der Materialität, indem die Form die Materie bezwingt und die Menschen die Welt zu ihrem eigenen Sensorium machen. In der Ästhetisierung wird das Gewöhnliche zum Außergewöhnlichen, die Ware zur Kunst. Der (sammelnde) Künstler wird zum Archäologen, der anhand von ausgewählten Dingen das Unterbewusste der Gesellschaft ausgräbt, seine dunklen Seiten zeigt und seine Geheimnisse entziffert.

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Heb mich auf!
Sammeln als künstlerische Handlung
Kurator: Justin Hoffmann

Künstler: Hans-Peter Feldmann, Sofia Hulten, Francisco Montoya Cazarez, Stephanie Senge, Nives Widauer