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Freitag, 7. Dezember 2007, 18 Uhr, ab 22 Uhr DJing

Die Gruppenausstellung „Hans im Glück“ zeigt elf Positionen von Frankfurter Künstlerinnen und Künstlern, deren Videos, Zeichnungen und Bilder die hierzulande geführte Debatte um deutsche Identität erweitern. Welche Vorstellungen knüpfen sich an Zuschreibungen wie „typisch deutsch“? Lassen sich die normativen Nationalklischees und fest gefügten Bilder tatsächlich auf die junge Generation übertragen; oder existieren in einer Stadt wie Frankfurt, in der rund 26 Prozent ausländische Einwohner leben, nicht vielmehr unterschiedliche Kulturgemeinschaften?

In seiner Abhandlung über die „Philosophie des Glücks“ verweist Ludwig Marcuse auf das gleichnamige Märchen „Hans im Glück“ aus der Sammlung der „Brüder Grimm“. Nach Marcuse ist der junge Held, „dieser Märchenhans“, der Erste, der das Glück in die Reichweite des Einzelnen brachte. Motiviert von dem Gedanken „jeder ist seines Glückes Schmied“, verließen Anfang der 60er Jahre türkische Familien ihre Heimat, um in Deutschland eine zweite zu finden. Welche Heimat, die erste oder die zweite, ist nun für die in Frankfurt lebenden Künstler mit türkischen Wurzeln das zu Hause? Was bedeutet der Begriff „Heimat“ in einer von Migranten der 1. und 2. Generation mitgestalteten Gesellschaft? Die Künstler der Ausstellung verhandeln die Frage nach deutscher Identität aus einer sehr persönlichen Sicht, die eingebettet ist in einen globalen Kontext. So versucht die Ausstellung über nationale Klischees hinweg kollektive Erfahrungen sichtbar zu machen, basierend auf dem kulturellen Austausch zwischen der Türkei und Deutschland:

Anny und Sibel Öztürk haben an der Frankfurter Städelschule studiert. Anny Öztürk (1970, Istanbul) beendete ihr Studium als Meisterschülerin von Christa Näher, Sibel Öztürk (1975, Erlenbach) als Meisterschülerin von Ayse Erkmen. Die Erfahrung der Schwestern zwischen zwei Ländern verortet zu sein, fließt in ihre mehrteilige Installation „Behind the Wheel“ mit ein. Das Familienalbum diente als Vorlage für eine Zeichenserie mit handschriftlich verfassten Statements. Die Bilder und Texte schildern die Reise- und Kindheitseindrücke, gesammelt während der rituellen Urlaubsreise in die Türkei. Die dreitägige Autofahrt, so veranschaulichen es die Zeichnungen und eine Weltkarte, führte von Deutschland durch mehrere Länder hindurch bis ins ersehnte Zielland Türkei.

Auch in den Bildern der Malerin Eva Schwab (*1966) spielt die eigene Familiengeschichte eine wichtige Rolle. Erinnerungen an die Ferien bei den Großeltern sind Ausgangspunkt der 2006 entstandenen Aquarellserie „Jagdbild“. Erdige Töne einer kargen Winterlandschaft kontrastieren zu kräftigen Grün- und Violetttönen. Akkurat aufgereihte Tierkadaver spiegeln auf den Bildern das zielstrebige Töten und eine stolze Jagdrunde. Die aus den 50ern bis in die 70er Jahre aus dem Familienalbum entnommen Motive spitzen die Klischees von der unbeschwerten deutschen Heimatromantik zu und machen nachdenklich.

Was hat ein Deutschmann mit Minigolfen zu tun? Filmmacher Gregor Maria Schubert (1970, Rüsselsheim) gewährt Einblick in eine Volkssportart, die obschon sie als typisch deutsch gilt, nur wenig in der Öffentlichkeit bekannt ist. „Ball of Fame“ ist eine humorvolle Videodokumentation über die Finessen und geheimen Tricks passionierter Minigolfspieler. Mara Monetti (1976, Frankfurt) hat an der Hochschule für Gestaltung Offenbach Visuelle Kommunikation studiert, es folgte ein Studium der Kunstgeschichte an der J.W. Goethe- Universität Frankfurt. Für ihre Fotoserien schlüpft die Künstlerin in immer neue Rollen und ironisiert weibliche Darstellungsklischees. In Monettis „Pin-Up-Kalender 2007“ inszenieren sich wiederum Künstler und Freunde in aufreizenden Posen vor der Kamera. Was typisch männlich ist, kann man sich 12 Monate lang von einem zum nächsten Kalenderblatt fragen. Mit der Allgegenwart von Überwachungsmedien und der damit verbundenen Kontrolle des menschlichen Körpers konfrontiert Sandip Shahs (*1972, Darmstadt) Videoinstallation im Foyer des K2 Künstlerhauses. Am Eröffnungsabend der Ausstellung zeichnet die Kamera des ehemaligen Nitsch-Schülers live auf!

Einen Film über die Angst vor dem Fremden und zugleich über die Faszination des Neuen, über den Ausbruch aus dem alltäglichen Leben, der sich anfangs als schwierig erweist, dann doch ein Happyend findet, hat Bettina Gründel (*1976, Berlin) gedreht. „Eine ungewöhnliche Reise“ lautet der Titel ihrer prämierten Diplomarbeit. Die Tochter einer koreanischen Mutter und eines deutschen Vaters lebt in Frankfurt am Main.

Nathalie Grenzhaeusers (*1969, Stuttgart) Videoarbeit, urspr. eine Diaprojektion, mit dem Titel „Hans im Glück“ fängt in poetischen Einzelbildern das „kleine Glück“ eines Künstlers ein. Die Anonymität eines Frankfurter Stadtviertels im 70er-Jahre Plattenbaustil diente als Kulisse für die winterlichen Aufnahmen. Als modernes Märchen, indem sich Fiktion und Dokumentarisches überlagern, beschreib die Sybilla Merian-Preisträgerin 2007 ihren 6- Minüter.

Die Suche nach dem „großen Glück“, die Versprechen sozialer Utopien, thematisiert dagegen Eva Köstner (*1964, Frankfurt) in ihrer neue Zeichenserie und dem Film „The death by description“. Köstners 2007 in England entstandener 2d-Film stellt ähnlich wie ihre Zeichnungen die Klischees vom formbaren, fleißigen und kontrollierbaren Menschen in Frage.

„Jugendzimmer und Natur“ oder „Sozialromatik“ nennt der Frankfurter Maler Jens Lehmann (*1968) seine zwischen 2000 und 2005 entstandene Bildserie. Außenräume mit den typischen 70er-Jahre Wohnblocks als auch Interieurs, eingerichtet im modernen Retrodesign, vermitteln ein Lebensgefühl und die Visionen des einstigen Sozialstaates Deutschland.

„Ankara ist eine triste Garnisonsstadt und diese Stimmung schlägt sich in Zeki Demirkubuz’s Film „Itiraf“ nieder“, Oezlem Günyol und Mustafa Kunt sind beide in Ankara geboren und haben an der Städelschule Frankfurt studiert. Ihr Video „section I“ basiert auf einer Szene aus „Itiraf“. Den Dialog eines eifersüchtigen Mannes und seiner Frau hat das Künstlerpaar in die heimische Frankfurter Küche verlegt und eröffnet einen schmalen Einblick in einen scheinbar privaten Beziehungskonflikt.

Amalia Barboza ist 1972 in Buenos Aires (Argentinien) geboren und hat in Madrid Bildhauerei und Soziologie studiert. Die promovierte Soziologin rekonstruiert nicht nur modellhaft die Gleichförmigkeit moderner Plattenbausiedlungen. Neben skulpturalen Objekten wie den „Hochhäusern“ entstand 2003 während eines Aufenthaltes in Dresden ihre Videoarbeit „Dachwohnung“. Barbozas in Izmir vorgestelltes Video dokumentiert die Lebensweise und erstaunliche Erfindungsgabe von Leuten, die in Dresden unter einer Dachschräge wohnen.

Die Ausstellung „Hans im Glück“ ist Teil einer Kooperation zwischen den Künstlerhäusern K2 Contemporary Art Center (Izmir) und dem ATELIERFRANKFURT (Frankfurt am Main). Initiiert hat das deutsch-türkische Austauschprojekt Corinna Thiele, Projektleiterin des ATELIERFRANKFURT.

Kontakt: Corinna Thiele, Projektleitung ATELIERFRANKFURT e.V. T +49 69.7430377-1 thiele@atelierfrankfurt.de www.atelierfrankfurt.de

Hortense Pisano ist Kunsthistorikerin und arbeitet als freie Kuratorin in Frankfurt am Main. Die Kunstkritikerin publiziert außerdem regelmäßig in der Berliner tageszeitung sowie unter anderem im Onlinemagazin artnet und ist als Redakteurin für das Journal Frankfurt tätig. Ausstellungsort: K2 CONTEMPRARY ART CENTER, Cumhuriyet Blv. No: 54 Büyük Kardiçalı Han, Kat:2 Konak-Izmir/Turkey, T (+90) 232 445 31 51, Öffnungszeiten: Di bis Sa 12.30 - 17 Uhr, www.k2text.blogspot.com

ATELIERFRANKFURT e.V. ist ein gemeinnütziger Verein, der Künstler und künstlerische Prozesse fördert. Er bereichert das kulturelle Angebot der Stadt Frankfurt und ihrer Region und bietet eine Plattform für Produktion, Präsentation sowie den Austausch verschiedener Disziplinen. Außerdem konzentriert sich der Verein auf die Darlegung kreativer Prozesse und die Präsentation künstlerischer Produktion. Das frühere Hauptverwaltungsgebäude der Andreae-Noris Zahn AG, das zuletzt ein Teil des Polizeipräsidiums war, wurde 2004 durch ATELIERFRANKFURT vom Land Hessen angemietet. ATELIERFRANKFURT stellt 40 Ateliers zur Verfügung, in denen bildende Künstler, Designer, Performer, Theatermacher, Theoretiker, Architekten, Filmemacher und Kuratoren arbeiten. Zwei Gastateliers bieten Kulturschaffenden aus dem Ausland neben einer Arbeitsmöglichkeit auch die Vorteile des Netzwerks ATELIERFRANKFURT in seiner Anbindung zur Stadt. Das ATELIERFRANKFURT steht für Events, Vorträge und Workshops zur Verfügung. In einem 250 qm großen Raum finden wechselnde Ausstellungen statt und parallel dazu weitere Veranstaltungen im Projektraum und in der Küche (Club/Mensa).

Kuratoren: Hortense Pisano und Corinna Thiele, Frankfurt am Main

Künstler: Amalia Barboza (Video), Nathalie Grenzhaeuser (Video), Bettina Gründel (Video), Özlem Günyol & Mustafa Kunt (Video), Eva Köstner (Zeichnung/ Video), Jens Lehmann (Malerei), Mara Monetti (Fotografie), Anny & Sibel Öztürk (Zeichnung/Installation), Gregor Maria Schubert (Video), Eva Schwab (Malerei), Sandip Shah (Videoinstallation).

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HANS IM GLÜCK
... oder: „What about German Identity“?
Kuratoren: Hortense Pisano, Corinna Thiele

mit Amalia Barboza, Nathalie Grenzhaeuser, Bettina Gründel, Özlem Günyol & Mustafa Kunt, Eva Köstner, Jens Lehmann, Mara Monetti, Anny & Sibel Öztürk, Gregor Maria Schubert, Eva Schwab, Sandip Shah