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Eröffnung: Freitag, 24. Oktober 2008, 19:00 Uhr

„Solches Zeug aber gibt es nicht, wird es niemals geben und hat es auch nie gegeben. Denn wie kann ein Stengel in Wirklichkeit ein Dach tragen oder ein Kandelaber den Schmuck eines Giebels, wie eine so zarte und schwache Ranke eine darauf sitzende Figur, und wie können aus Wurzel und Ranken Wesen herauswachsen, die halb Blume, halb Figur sind?“ (Vitruv, 1. Jh. v. Chr.)

Früher, in alten, fernen Zeiten, gab es Regeln, was man malen soll oder darf und was nicht. Der Humor und die Groteske waren eher in der Zeichnung und Druckgrafik zu finden als in der „hehren“ Malerei. Doch die Verhältnisse haben sich geändert. Angesichts des hochgerüsteten „Universums der technischen Bilder“ (Vilém Flusser) rücken Farbe und Pinsel immer mehr an die Stelle dessen, was früher die Domäne der Zeichnung war, nämlich spontane Einfälle schnell und unmittelbar zu formulieren. War früher die Malerei „akademisch“, ist es heute der Cibachrome-Print, und die Malerei wird „volkstümlich“, schöpft aus den Welten der Massenkultur, aus Comic und Cartoon, ist grotesk und humorvoll. Sie verfolgt weder ein Programm, das ihr Rücksichten und Einschränkungen auferlegt, noch gibt es ernsthafte Gegner, mit denen sie sich zwangsläufig herumschlagen muss.

Die moderne Malerei hatte mit dem Humor immer wieder ihre Schwierigkeiten. Das Lachen lag immer auch auf Seiten derjenigen, die sich aus konservativer Warte über ihre formalen Innovationen lustig machten und diese als unsinnige Übertreibungen oder gar als Missbildungen karikierten. Wie sehr die moderne Kunst selbst aus der Karikatur geschöpft hatte, trat erst recht aus dem Blick, als totalitäre Regimes in die Fußstapfen der humoristischen Moderne-Kritik traten, den Humor jedoch beiseite ließen und die modernen Künstler als entartet und geisteskrank diffamierten.

Aus ausreichend historischem Abstand mag man zu dem Schluss kommen, dass eine lange verbreitete Form malerischer Selbstbehauptung tatsächlich Züge von Geisteskrankheit aufweist. Gemeint ist die Vorstellung, in der Malerei einen unmittelbaren Ausdruck von Kraft, Potenz und Männlichkeit zu sehen, was dem Schwingen des Pinsels seine sprichwörtliche Doppeldeutigkeit verleiht. Mit den Dekonstruktionen der Postmoderne wurde allerdings auch die Demonstration malerischer Potenz unglaubwürdig. Das Eingeständnis von Schwäche und Impotenz war jedoch nicht unmittelbar möglich, sondern in ein Konzept des heroischen Scheiterns verpackt, das man sich vom „live hard and die young“ der Pop- und Rockstars ausborgte, deren Drang zur Selbstzerstörung ihren Ruhm erst recht begründete.

Die Zeiten der Abarbeitungen, zu denen auch die postmoderne Kultur der Zitate und Anführungszeichen immer noch gehörte, sind mittlerweile vorbei. Alles kann gemalt werden, so wie alles fotografiert werden kann. Galten Fotos einst als „authentisch“, trifft dies heute eher auf die Malerei zu, denn was mit Pinsel und Farbe realisiert wird, ist weit weniger „manipulierbar“ als jedes technisch hergestellte Bild.

Den fünf Malerinnen und Malern der Ausstellung „Begrenzt sind die Mittel der Menschen, zu zeigen wie voll der Hoffnung sie sind“ geht es jedoch weder um Authentizitäts- und Potenzbehauptungen noch geben sie sich immer Mühe, Vorlagen oder Zitate explizit kenntlich zu machen. Katrin Plavcak entfernt sich sogar gezielt von ihnen. Ausgangsmotive wie das Zeitungsfoto einer Gerichtsverhandlung werden im Prozess des Malens zu abstrakten Formationen, die völlig neue gegenständliche Assoziationen hervorrufen. Die Wirklichkeit wird in eine eigene, malerische, verwandelt. Dabei haftet den Figuren eine groteske Körperlichkeit ein, was noch stärker für Marcus Weber gilt, bei dem Menschen oft tierische Züge erhalten und Gestalten und Dinge ineinander sich verschlingen oder verketten. Comic-Helden treffen auf Hieronymus Bosch. Auch Ulrich Emmerts oft großformatige Bilder lassen sich als Grotesken lesen. In bewusst „naivem“ Malstil führt Emmert architektonische Symbole und Zentren der Macht vor und stellt ihre phallische Popanzhaftigkeit heraus. Die Herabwürdigung von Herrschaftsgesten setzt sich im Detail fort, wenn die winzigen Figuren auf Bananenschalen ausrutschen oder in die Ecke pinkeln. Bei Hannu Prinz ist das ironische und groteske Element weniger direkt. Seine ungegenständlichen Bilder sind von der formalen Strenge, die sie zunächst ausstrahlen, jedoch in allen Details immer wieder weit entfernt. Der Untergrund scheint zu pulsieren wie eine glibberige Masse und hinter den groß angelegten Farbflächen scheint etwas zu lauern, das früher oder später hervorkriechen wird. Auch bei Hanna-Mari Blencke drängt es aus dem Bild heraus. Äußerlich oft vom Rechteck abweichende Gemälde mit abstrakt-ornamentalen Motiven werden zu Schildern an totempfahlähnlichen skulpturalen Gebilden. Und sie malt viele Selbstporträts, bei denen ihr auch mal die Augen aus dem Kopf treten können. Motive, die an Augen erinnern, kommen immer wieder vor. Kann es sein, dass die Bilder uns ebenso anblicken wie wir sie?

Ludwig Seyfarth

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Hanna-Mari Blencke, Ulrich Emmert, Katrin Plavcak, Hannu Prinz, Marcus Weber