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Eröffnung: 16.07.2021
Dauer: 1 Jahr
Stadtgebiet Görlitz

GÖRLITZER ART 2021/22
Freiluftausstellung von Werken und Installationen im Stadtgebiet
2. Edition

Am 16. Juli 2021 wurde die Ausstellung Görlitzer ART 2021/22 eröffnet. Es handelt sich dabei um eine Veranstaltung der Stadt Görlitz in Zusammenarbeit mit der Hochschule für Bildende Künste in Dresden.

Sie setzt die erste Auflage der Ausstellung fort, die in den Jahren 2016/17 in Zusammenarbeit mit Kunstakademie Breslau stattgefunden hat und präsentiert in Görlitz zeitgenössische Kunstwerke im öffentlichen Raum der Stadt. Ein ganzes Jahr haben die Einwohner und Gäste der Stadt die Möglichkeit, mit diesen temporären Interventionen zu leben und in stadtgesellschaftliche Diskurse einzutreten. Die Stadt hat sich bewusst zu diesem Format entschieden. Während die Begegnung mit Kunst im Regelfall eine direkte Entscheidung voraussetzt, das Aufsuchen eines Ortes der Kunstpräsentation, geschieht die Begegnung nun im Alltag. Sie drängt sich nicht auf, ist aber präsent, prägt durch die wiederholte Begegnung ein Bild des Ortes, welches auch dann noch „da“ ist, wenn das Kunstwerk bereits wieder abgebaut wurde. Am Ende der Ausstellung soll eine informelle Bürgerbefragung ergeben, welches der ausgestellten Werke angekauft werden und dauerhaft im Stadtbild präsent sein soll. Im Jahr 2017 fiel die Entscheidung für das Kunstwerk „Herde“, die aktuell am Demianiplatz vor dem Theatergebäude „weidet“.

Über die Kunstwerke

„Liebesperlen“ | Marienplatz | Martina Beyer
2021; Gummi-Recyclingmaterial, LED, Epoxidharz, Pigmente; 55 cm
Die Liebesperlen haben einen regionalen Bezug zu dem seit 1908 hergestellten Zuckerwerk der Firma Hoinkis in Görlitz. Wie von Kinderhand auf den Marienplatz geworfen, scheinen sie einer Miniaturlandschaft entnommen, vergrößert und in die reale Umgebung wieder eingefügt worden zu sein. Ein Spiel mit Material und Dimensionen, welches einen farblich intensiven Kontrast zu den historischen Baudenkmälern bildet. Mit Einsetzen der Dunkelheit beginnen sie zu leuchten. Berühren erlaubt!

„Löwen“ | Lutherplatz | Willy Schulz
Diese skulpturale Arbeit besteht aus zwei Grundelementen in ähnlicher Art. Charakterisiert wird diese Arbeit durch den Einsatz von Waschbeton. Diese dominante Betonart, der Waschbeton, kam vielfältig in der ehemaligen DDR zum Einsatz. Der Autor verwendet das Material als Synonym für gebaute Banalität, gesichtslose Fußgängerzonen oder Wohnklötze. Ein Revival des Materials als Kunstwerk ist eine grundlegende Überlegung des Autors.
Ein Element ist ein Säulenstapel, der zwei Ebenen erzeugt. Insgesamt ergibt sich eine Grundfläche von ca. 2,40 x 2,40 Metern mit einer Höhe von ca. 60 Zentimeter. Die erste Ebene besteht aus drei Vierkantsäulen aus Waschbeton, auf denen weiter Vierkantsäulen liegen und somit die zweite Ebene bilden. Auf der zweiten Ebene sind zwei von vier Säulen ebenfalls aus Waschbeton, die anderen, jeweils außenliegenden Säulen sind aus Metall gefertigt.
Der zweite Teil der Skulptur ist parallel zur Säulenkonstruktion ausgerichtet. Die Außenmaße sind identisch, jedoch wird die Höhe mit 0,4 Meter geplant. Auf diesem Podest aus Waschbeton werden ca. 25 Abgüsse von den sogenannten chinesischen Fu-Löwen aufgereiht. Die Fu-Löwen werden aus Gips gegossen und mit einer farbigen Epoxidharz-Schicht überzogen.

„T“ | Hotherstraße - Höhe Vierradenmühle | Philipp Putzer
Der Beitrag ist skulptural, drei Elemente werden ineinandergreifen und gemeinsam eine Ansammlung ergeben. Der Titel der vorerst drei Skulpturen und somit des gesamten Projektes ist „T“. T kann für Trichter, Tulpe, Tube und weitere Assoziationen stehen. Der Buchstabe T selbst ähnelt der Form der Skulpturen. Wie Trichter oder Lautsprecher zur Kommunikation haben die Objekte etwas Verbindendes. Zwei der Skulpturen bestehen aus jeweils zwei Elementen. Beide sind aus zwei Elementen zusammengefügt und mit einem Ring aus Bronze verbunden. Hier wird die Verbindung der durch die Grenze geteilten Stadt, Görlitz und Zgorzelec, unterstrichen. Das wertvolle und schwere, starke Material Bronze fügt sich an den alltäglichen Beton an, bildet einen Kontrast zwischen den zwei Materialien.
Das erste Objekt ähnelt einer Trompete, einer liegenden Säule, das Zweite steht wie eine Blume, eine halb verblühte Blume. Das dritte Objekt ist auch ein Trichter einer so großen Öffnung, dass man durchblicken kann, sogar hindurchlaufen, wenn auch nur gebückt, er wird wie ein kleines Tor sein. Der Betrachter soll seine eigenen Sichtweisen und Interpretationen finden. Die äußere Form der Skulpturen ist flach und unstrukturiert und die inneren Formen sind organisch. Die Formen spielen mit der Vorstellung des Besuchers. Einige Besucher sehen große Blumen von aus vergangenen Zeiten oder Zukunft, die bereits Vergangenheit geworden ist. Es ist wie eine Tür zu einer anderen Welt. Im Zuge der Umsetzung wird ein viertes Element gegenüber an der alten Stadtmauer zu finden sein.

„Lautsprecher“ | Wilhelmsplatz | Johannes Specks Auf dieser Grünfläche befindet sich ein Mast mit vier Lautsprechern, die den umliegenden Stadtraum in alle Himmelsrichtungen beschallen, mit Musik, Tönen zur Nachtruhe, Vogelgezwitscher und Alltagsgeräuschen, wie dem Schnarchen eines Hundes. Es gibt 24 unterschiedliche Töne für jede Stunde des Tages. (Die gesetzlichen Lärmemissionswerte werden eingehalten.)

„Die Häuser“ | Susanne Hopmann | Altes Volksbad
Die Skulpturen definieren Raum, den die Künstlerin von außen intuitiv als Reihenhaus interpretiert.
Eine Fiktion des Eigenen und des Abgeschlossenen wird hervorgerufen durch ordnende und strukturierende Linien. Die scharfkantige, reflektierende Edelstahlform grenzt ab, schließt aus und schneidet in die Landschaft ein.

„Das Fenster“ | Susanne Hopmann | Platz der Friedlichen Revolution
Das Foto von Herr Bachschneider, welches Susanne Hopmann für die künstlerische Arbeit „Das Fenster“ nutze, zeigt Plakate im Verfall, als gehörten sie schon zur Zeit der Aufnahme (1994) zu einer fernen Vergangenheit, die durch das Objekt „Das Fenster“ in die Gegenwart tritt.
Dr. Steffen Menzel, Bibliotheksleitung der Görlitzer Sammlung für Geschichte und Kultur Oberlausitzer Bibliothek der Wissenschaft, sagt zu der begleitenden Ausstellung, die ab Oktober 2021 zu sehen sein wird: „Das Jahr 1990 war ein Jahr der Wahlen. Viermal stimmten die Bürgerinnen und Bürger der DDR bzw. der fünf neuen Bundesländer über die zukünftige politische Entwicklung ab: am 18. März bei der Wahl zur Volkskammer der DDR, am 6. Mai bei der Kommunalwahl, am 14. Oktober zur Landtagswahl und am 2. Dezember bei der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl. Aufrufe und Plakate von Parteien und Organisationen zeigten in dieser Zeit eine starke Präsenz im öffentlichen Raum. Ab 6. Oktober 2021 erinnert eine Ausstellung in der Frauenkirche anhand ausgewählter Fotos und Plakate an dieses bewegte Jahr.

„Dachstuhl“ | Tillmann Ziola & Robert Czolkoß | Konsulplatz
Die Arbeit „Dachstuhl“ soll die Geradlinigkeit am Konsulplatz aufbrechen und eine bewusste Gegenbewegung durch die diagonale Platzierung bilden. Die Wahl des steilen Neigungswinkel von 60 Grad zitiert einen Standardwinkel im Hausbau und der Aspekt des Aufrichtens wird besonders betont.
Das Objekt soll jedoch weniger einen Dachstuhl darstellen als vielmehr eine Assoziation beim Betrachter auslösen. Die Diagonale steht hierbei als Sinnbild bzw. als Bildzeichen für das Errichten neuer Häuser oder für das Rekonstruieren alter Häuser.

„Common Ground“ - Performative Bodenaustauschaktion im öffentlichen Raum | Veronika Pfaffinger | Stadtpark Görlitz und Zgorzelec
Das Projekt beinhaltet sowohl handwerklich-körperliche Arbeit als auch werden politisch-soziologische Themen aufgegriffen. Die Besonderheit dieser Arbeit ist, dass sie nicht im öffentlichen Raum direkt zu sehen ist. Die Arbeit wird jedoch von einer Filmemacherin dokumentiert und dieser Film kann in der Öffentlichkeit präsentiert werden.
Die Künstlerin wird mit einem Assistenten ein Stück Erde (50 x 50 x40 cm) im Görlitzer Stadtpark ausgraben. Dieses Wiesenstück samt Wurzeln wird in einem Transportwagen zu Fuß über die Altstadtbrücke nach Zgorzelec gefahren. In Zgorzelec wird ebenso ein Stück ausgegraben und an diese Stelle das deutsche Wiesenstück eingepflanzt. Das polnische Wiesenstück wird im Anschluss auf die deutsche Seite transportiert und dort eingepflanzt. Die Arbeit steht sinnbildlich für den deutschpolnischen Austausch, kann aber auch ganz allgemein für migrantische Strömungen gelesen werden.
Diese Aktion ist öffentlich und Interessierte können diesen Spaziergang begleiten. Dokumentiert wird dies, wie schon erwähnt, in einem Film.

„Kulisse“ | Südlicher Vorplatz der Stadthalle | Lisa Maria Baier
Eingereichte und prämierte Projektidee:
Das Projekt zeigt den Innen- und Außenraum einer Zuschauertribüne und geht durch die Transparenz einen Austausch mit der Umgebung ein. Die Sitze werden nicht abwärts, sondern aufwärtsgerichtet befestigt sein. Ein Kinosaal verkehrt herum. Diese Position sorgt für den Blick nach oben, wenn man Platz nimmt. Die Installation ist für sechs Plätze konzipiert, kann aber auch auf acht erweitert werden. Blickt man von dem Sitz nach vorn, blickt man in die Görlitzer Umwelt durch eine Plexiglasscheibe auf welcher spiegelverkehrt das Wort „Kulisse“ in Deutsch, Polnisch und Englisch eingraviert ist. Kommt man von vorn auf das Objekt zu, wird man den Schriftzug richtig herum lesen können. Die Inschrift soll beide Parteien, die der sitzenden Menschen in der Installation und die der darauf Zulaufenden verbinden. Denn nicht nur, wer die Installation „nutzt“ und in ihr steht oder sitzt, sondern auch die Außenstehenden sollen inbegriffen und sich als Teil der Inszenierung fühlen. Die Menschen in und auf dem Objekt werden verleitet durch die Plexiglasscheibe zu blicken. Sie werden Görlitz sehen. Die Menschen, die von der anderen Seite durch die Scheibe sehen, werden denken, dass sie von der richtigen Seite in die Installation schauen, da der Schriftzug nicht spiegelverkehrt in ihre Richtung zeigt. Sie haben den Blick auf die Tribüne und die Menschen, die in der Installation sich befinden. Die Blickwinkel auf Leinwand, Bühne, Kulisse und Umgebung wird so erfahrbar hin und her getauscht.Die Umsetzung entspricht nicht mehr dieser Projektidee, sondern thematisiert die Frauenrechte in Polen.
Das Werk ‚„Kulisse“ von Lisa Maria Baier konnte nicht im Einvernehmen zwischen Künstlerin und Veranstalter realisiert werden.

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OFFENER BRIEF ZUR GÖRLITZ ART
UND DER INSTALLATION ‚Kulisse‘ DER KÜNSTLERIN LISA MARIA BAIER

Dezernat II, BM Dr. Michael Wieler
Bürgermeister für Kultur, Jugend, Schule, Sport, Soziales, Bauen und Stadtentwicklung
Herr Dr. Michael Wieler, Stadt Görlitz

Sehr geehrter Herr Dr. Wieler,

mit großer Sorge habe ich die mediale Berichterstattung wie auch Ihren offenen Brief zu Ihrem Ultimatum an die Künstlerin Lisa Maria Baier wahrgenommen. Die Freiheit von Kunst und Wissenschaft sind in der Bundesrepublik Deutschland ein in der Verfassung geschütztes Recht und damit auch ein Wert, der aus gutem Grund zu den wesentlichen Fundamenten unserer Demokratie zählt.

Sie haben mit der Görlitz Art zu einem großen repräsentativen Vorhaben der Kunst im öffentlichen Raum nach Görlitz eingeladen. Diese Einladung zeigt, dass die Kulturverwaltung von Görlitz unter Ihrer Leitung der zeitgenössischen Kunst einen positiven Wert beimisst – eine der Gegenwartskultur zugewandte Haltung. Mit dem nun an die Künstlerin gerichteten Ultimatum richten Sie großen Schaden an, nicht nur für die Görlitz Art, sondern auch für die Glaubwürdigkeit unserer Kulturlandschaft und der hier verankerten freiheitlichen Grundwerte.

Lisa Maria Baier präsentiert in der für Görlitz Art entwickelten Installation Kulisse keine verfassungs-rechtlich indizierten Inhalte oder Symbole, sondern greift mit ihrem künstlerischen Verweis auf Abtreibungsrechte einen Sachverhalt auf, der in der Bundesrepublik Deutschland ein prägender Gegenstand der öffentlichen Debatte und der demokratischen Meinungsbildung ist. Eine von der Kunst und Kultur in Europa getragene Debatte um Themen von gesellschaftlicher Relevanz ist ein wichtiger Wert, der auch für eine europäische Haltung zur Bedeutung von Kultur als Impulsgeberin für demokratische Prozesse einer freiheitlichen Meinungsbildung steht.

Indem die Kulturverwaltung der Stadt Görlitz nun eine Künstlerin auffordert, ein Kunstwerk abzubauen, das mit dem Abtreibungsrecht ein wichtiges gesellschaftliches Thema für Menschen in Europa und überall auf der Welt aufgreift, und indem Sie damit drohen, das Werk andernfalls auf Kosten der Künstlerin zu beräumen, beschädigen Sie die grundgesetzlich geschützte Kunst- und Meinungsfreiheit aus Rücksicht auf eine Regierung in unserem Nachbarland, die diese Werte in den vergangenen Jahren systematisch unterminiert hat.

Ein solche öffentlich zur Schau getragene Haltung und Maßnahme widerspricht einer grundsätzlichen Werteausrichtung, nach der der Austausch zu individuellen Freiheitsrechten in Europa ausdrücklich Gegenstand des politischen und kulturellen Dialoges sein sollte.

Zu Recht darf und sollte sich unsere Gesellschaft – und auch Görlitz – mit zeitgenössischer Kunst als Ausdruck einer lebendigen, jungen, mutigen und offenen Gesellschaft schmücken – dies ist jedoch nur möglich, wenn auch die Stadt Görlitz sich zu den damit verbundenen Grundwerten bekennt. Denn genau diese Werte machen die lebendige Qualität von Kunst als Teil unserer Gesellschaft aus. Und genau hier liegt der Unterschied zwischen der Durchführung einer Veranstaltung der Gegenwartskunst und einer Stadtmarketingmaßnahme zur Ankurbelung des Tourismus.

Als Mitglieder einer von der öffentlichen Hand beauftragten Kulturverwaltung sehe ich uns in der Pflicht, eben diese Freiheitsrechte in einer auch für die europäische Wertegemeinschaft repräsentativen Situation positiv zu bewahren und aktiv zu vertreten. Als Leiterin einer Einrichtung für zeitgenössische Kunst spreche ich hier aus langjähriger Erfahrung, gerade auch in Bezug auf Kunst im öffentlichen Raum, die Impulse im Diskurs der Stadtgesellschaft setzt, die nachhaltig positiv wirken.

Zentral für die Aufgabe der Kulturverwaltung ist es, klar zwischen Kunstwerk und eigener inhaltlicher Positionierung der Stadtverwaltung zu unterscheiden, und genau diesen Unterschied in positivem Sinne in Bezug auf die demokratischen Freiheiten der Kunst herauszuarbeiten und zu vermitteln. Dies bedeutet nicht, sich von künstlerischen Inhalten zu distanzieren, sondern sachlich auf die Unterscheidung zwischen künstlerischem Werk und der Stadtverwaltung als Veranstalter hinzuweisen und die eigene Rolle als Vermittler im Sinne der oben genannten freiheitlich-demokratischen Kulturlandschaft wahrzunehmen.

Um weitere Schäden für Werk und Künstlerin wie auch für den weiteren Verlauf der Ereignisse zu verhindern, haben wir der Künstlerin Lisa Maria Baier, mit der uns eine langjährige Zusammenarbeit verbindet, angeboten, das Kunstwerk als Hilfsangebot in der jetzigen Situation unsererseits fachgerecht abzubauen und sicher einzulagern. Lisa Maria Baier hat dieses Angebot abgelehnt, da sie ihrerseits die Hoffnung nicht aufgeben will, dass die Ereignisse sich zum Guten wenden und dafür bereit ist, die Arbeit bis zum letzten Moment stehen zu lassen. Gern bieten wir auch Ihnen unsere Hilfe und ein Gespräch an.

Mit Bedauern, Ihnen diese Zeilen zukommen lassen zu müssen bleibt mir an dieser Stelle nur noch der Appell an Sie, die positive Chance, die sich der Stadt Görlitz gerade jetzt anlässlich dieser Kontroverse bietet, wahrzunehmen.

Christiane Mennicke-Schwarz
Leiterin Kunsthaus Dresden