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Ghost Flowers
Kuratiert von Lea Schleiffenbaum
Eröffnung, Freitag 11. November 2016, 18–20 h

What if you slept
And what if
In your sleep
You dreamed
And what if
In your dream
You went to heaven
And there plucked a strange and beautiful flower
And what if
When you awoke
You had the flower in your hand
Ah, what then?
— Samuel Taylor Coleridge, 18. Jahrhundert

Das 21. Jahrhundert wird oft als Zeitalter des Digitalen tituliert. Bereits in den frühen 2000er-Jahren begann man von der Post-Internet Ära zu sprechen. Alle diejenigen, die nach 1980 geboren wurden gelten als »Digital Natives«. Sie bewegen sich scheinbar mühelos durch Räume, überwinden nationale Grenzen und soziale Hierarchien. Doch sind die Phänomene, die gemeinhin der digitalen Revolution angerechnet werden, tatsächlich neu? Suggeriert das Gedicht Coleridges aus dem 18. Jahrhundert nicht vielmehr, dass das Schaffen von virtuellen Welten eine der menschlichen Fantasie inhärente Eigenschaft ist? Erlebe ich Emotionen, die durch digitale Medien ausgelöst werden, nicht genau so real wie solche, die durch eine direkte physische Erfahrung hervorgerufen werden? Die Ausstellung Ghost Flowers bei Herrmann Germann Contemporary unternimmt den Versuch, die Grenzen zwischen virtuell und reell, zwischen digital und analog zu durchbrechen und beide Ebenen als gleichgestellte Erfahrungsräume zu erkunden. Das Internet wird hiernach zu einem weiteren öffentlichen Raum, den wir bewohnen und gestalten können.

Die Rollenspiele und Alteregos, welche das Leben im Netz bestimmen, bilden einen festen Bestandteil in Riley Harmons künstlerischer Praxis. Laut Harmon kennt das Unterbewusstsein keinen Unterschied zwischen Wirklichkeit und Simulation. Bilder, Musik und Träume werden hier gleich behandelt wie reale Fakten. In seinem Film A Method for Blue Logic führen Stimmen aus dem Off mit einer Collage von Sätzen, die Harmon von einem online Forum gesourced hat, durch traumartige Sequenzen. Die Beiträge diskutieren eine Verschwörungstheorie laut der die Amerikanische Regierung eine Schauspielerin als Nationale Heldin angeheuert hat. Eine junge, blonde Frau singt das Cover des alten Jazz-Standards Georgia on my mind.

Während Harmon sich mit Rollenspielen und Mythen beschäftigt, untersucht Nora Mertes in ihren Rauminterventionen und Installationen unsere physische Wahrnehmung von Räumen und Bildern. Ihre Arbeiten gleichen oft Versuchsanordnungen, bei denen der Betrachter als wahrnehmender und wahrzunehmender Körper aktiv Anteil nimmt.

Marie von Heyl schlägt die Brücke zwischen dem sensorischen Erleben von Objekten und deren virtuelle Adaption. »We have no empathy with objects that give away how they were made. [...] Craft bores us«, schreibt die Künstlerin in ihrem Alien Object Manifesto . Diese Fokussierung auf Oberflächen wird auch in ihrer Serie The Occasional Table Series deutlich. Die mit grauer Sprühfarbe bemalten Alltagsgegenstände wirken auf den ersten Blick Computer generiert. Erst bei genauerem Hinsehen werden kleine »Fehler« oder Unebenheiten auf der Oberfläche sichtbar. Die zweckentfremdeten Nutzobjekte bewegen sich irgendwo auf der Schnittstelle zwischen Schein und Sein, zwischen Nutzobjekt und Fetisch.

Die Gemeinschaftsarbeit Countdown Belladonna von Anna K. E. und Florian Meisenberg erlaubt dem Betrachter im wahrsten Sinne durch die Augen der Künstler zu blicken. Die beiden Videos zeigen Nahaufnahmen der Augen von K. E. und Meisenberg, während diese auf das Display ihrer Smartphones schauen. In der Reflexion ihrer Pupillen spiegeln sich YouTube Filme, Tanzperformances, Musikvideos und Ausschnitte von Filmen. Die Videos wirken zutiefst intim und zugleich befremdlich, zeugen sie doch von der Natur zwischenmenschlicher Beziehungen, sowie dem Potential, aber auch der Gefahr jüngster technischer Entwicklungen. Das Fenster zur Seele wird hier zum Interface, Divergenzen wie Mensch und Maschine, Körper und Seele werden aufgehoben.

Ein weiteres Thema, welches sich wie ein roter Faden durch die Ausstellung zieht, ist Sprache. In ihren Filmen, Installationen und Objekten untersucht Katharina Ludwig die narrativen Strukturen, die unsere Leben bestimmen und Machtverhältnisse aufrecht erhalten. Während Objekte ihr als Skizzen für die konzeptuelle Ausarbeitung ihrer Installationen dienen, finden Worte intuitiv Einzug in die Arbeiten. Statt zu erklären oder beschreiben, schafft Sprache hier Raum für vielschichtige Interpretationsansätze.

Diesen unkonkreten, verschleiernden Umgang mit Sprache finden wir auch in den Arbeiten von Maude Léonard-Contant. Ihre Texte, in denen die Bildhauerin die materielle Beschaffenheit, sowie die Formen und Farben von noch nicht umgesetzten Objekten beschreibt, wirken eher verwirrend als aufklärend. Sprache wird hier zu einem virtuellen Medium, das neue Körper formt. In der Ausstellung Ghost Flowers werden Léonard-Contants Objekte zum ersten Mal gemeinsam mit den ihnen zugehörigen Texten ausgestellt.

Lea Schleiffenbaum kuratierte Show zeigt sieben international tätige Künstler.

Riley Harmon (USA), Marie von Heyl (DE), Anna K.E. & Florian Meisenberg (GE/DE), Maude Léonard-Contant (CAN), Katharina Ludwig (DE) und Nora Mertes (DE).

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Riley Harmon, *1987, Oklahoma US, verwischt in seinen Arbeiten oft die Grenzen zwischen Fiktion und Realität. Seine künstlerische Praxis nahm im Theater ihren Ursprung und findet heute in Filmen, Installationen und Performances Ausdruck. Von 2014 bis 2016 war Harmon Stipendiat an der Rijksakademie van beeldende kunsten in Amsterdam NL. Seine Filme wurden in Internationalen Museen und Filmfestivals gezeigt, darunter das International Documentary Film Festival in Amsterdam NL, die Schirn Kunsthalle in Frankfurt am Main DE und in der Foundation for Art and Creative Technology in Liverpool UK. A Method for Blue Logic wird im November auf dem Batard Festival in Brüssel BE gezeigt. Riley Harmon lebt und arbeitet in Amsterdam NL.

Marie von Heyl, *1981 in Stuttgart DE, untersucht Objekte als Katalysatoren, in denen Machtstrukturen, Glaubenssysteme und emotionale Bindung verankert sind. Die Künstlerin hat an der Weißensee Kunsthochschule in Berlin DE und an der Royal Academy in London UK studiert. Zuletzt waren ihre Arbeiten im Kunstverein Wuppertal DE, in der LageEgal Off Site in Wien AT, in der New Release Gallery in New York US und im Kunstquartier Bethanien in Berlin DE zu sehen. 2013 hat Marie von Heyl den Deutsche Bank Award in Fine Art erhalten. Sie lebt und arbeitet in Berlin DE.

Anna K. E., *1986 in Tiflis GE, vereint in ihren Zeichnungen, Filmen, Skulpturen und Installationen figurative und abstrakte Elemente. Oft spielt der performative Akt dabei eine ausschlaggebende Rolle. K. E. hat in der Kunstakademie Düsseldorf DE studiert. Ihre Arbeiten waren zuletzt im Primary in Nottingham UK, im Wrocław Contemporary Museum in Warschau PL, im E-Werk in Freiburg DE und in The Kitchen in New York US zu sehen. 2017 wird Anna K. E. eine grosse Wandarbeit im Queens Museum in New York US umsetzen. Die Künstlerin lebt und arbeitet in New York US.

Maude Léonard-Contant, *1979 in Joliette CA, setzt sich in ihren Texten, Gouachen und Skulpturen mit der Transformation von Material und Form auseinander. Sie hat an der UQAM und an der Concordia University in Montreal CA studiert. Im letzten Jahr stellte Léonard-Contant bei den Swiss Art Awards in Basel CH, in der Darling Foundry in Montreal CA und in der Alpineum Produzentgalerie in Luzern CH aus. Ausserdem gewann sie den Luzerner Kantonspreis für Kunst. Maude Léonard-Contant lebt und arbeitet in Basel CH.

Katharina Ludwig, *1983 in Starnberg DE, interessiert sich für die unterschiedlichen Ebenen, die das menschliche In-der-Welt-sein bestimmen. Sie studierte an der Design Academy in Eindhoven NL und an der Goldsmiths University in London UK. Ihre Werke wurden zuletzt im Museum Haus Hövener in Brilon DE, im Salon Dahlmann und im Künstlerhaus Bethanien, beides in Berlin DE, ausgestellt. Katharina Ludwig lebt und arbeitet in Berlin DE.

Florian Meisenberg, *1980 in Berlin DE, unterbricht in seinen Filmen und Installationen, aber auch in seinen Gemälden die Grenze zwischen Atelier und Ausstellungsraum. Künstler, Kurator und Betrachter werden hier gleichsam zu digitalen Usern erklärt. Meisenberg hat an der Kunstakademie in Düsseldorf DE studiert. Seine Arbeiten werden regelmässig in internationalen Museumsausstellungen gezeigt, so zuletzt in der Schirn Kunsthalle in Frankfurt DE, im Murias Centeno in Lissabon PT, in der Bundeskunsthalle in Bonn DE und im New Museum in New York US. 2017 folgen Ausstellungen im Institute of Contemporary Art in Philadelphia US und im Henie Onstad Kunstsenter in Oslo NO. Florian Meisenberg lebt und arbeitet in New York US.

Nora Mertes, *1982 in Herdecke DE, Rauminterventionen und Installationen gleichen Versuchsanordnungen, bei denen physische und räumliche Grenzen auf die Probe gestellt werden. Mertes hat an der Universität der Künste in Berlin DE und an der Alanus Hochschule Alfter in Bonn DE studiert. Ihre Arbeiten wurden zuletzt im Ikob Museum für Zeitgenössische Kunst in Eupen BE, in der MEWO Kunsthalle in Memmingen DE, im Skaftfell in Seydisfjördur IS und im Kilometer of Sculpture in Rakvere EE ausgestellt. Nora Mertes lebt und arbeitet in Berlin DE.

Lea Schleiffenbaum, *1985, Luzern CH, studierte an der University of Westminster in London UK und am Art Institute of Chicago US. Als kuratorische Assistentin der Schirn Kunsthalle in Frankfurt DE und dem Kunsthaus Dresden DE hat sie zu der inhaltlichen Aufbereitung und der praktischen Umsetzung zahlreicher Ausstellungsprojekten beigetragen. Zur Zeit lebt Lea Schleiffenbaum als Kunsthistorikerin in Berlin DE und realisiert eigene Projekte und Ausstellungen.