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4. April 2008, 19 H: Vernissage mit einer Einführung in die Ausstellungen von Sabine Schaschl, Kuratorin und Direktorin Kunsthaus Baselland

Pressetext:

Gavin Turk (geb. 1967 in Guildford, lebt in London) zählt zur Generation der Young British Artists und hatte bereits Solo-Präsentationen im Museum für Gegenwartskunst, Den Haag (2007), in der White Cube Gallery, London (2004)und war vertreten in Gruppenausstellungen im Musée d‘Art Moderne, Lyon (2007) und in der Schirn Kunsthalle, Frankfurt (2006). Er produziert Skulpturen, Zeichnungen, Prints und Assemblagen, die sowohl die Tätigkeit des Kunstmachens und die Rolle des Künstlers, kunsthistorische Ikonen und deren Platz im Kunstbetrieb untersuchen als auch gesellschaftliche Gegenwartsphänomene kritisch hinterfragen. “Burnt Out” ist die erste Einzelausstellung des Künstlers in der Schweiz.

Als Markstein von Turks Einstieg in die Kunstszene gilt seine eigene Todeserklärung. “Borough of Kensington, Gavin Turk, Sculptor, worked here, 1989 – 1991” stand auf dem blauen Keramikschild seines Ateliers im Royal College of Art. Eine Appropriation der Denkmalschilder für verstorbene herausragende Persönlichkeiten, welche in London an den jeweiligen Häusern, in denen die Personen lebten, angebracht sind. Turk benutzte dieses visuelle Icon mit Jahresangaben bezogen auf seinen Aufenthalt an jener Ausbildungsstätte und präsentierte das in die Wand des Ateliers eingemauerte Werk als seine Diplomarbeit. Seit 1991 erfindet sich Gavin Turk ständig neu unter Einbeziehung von Avantgarde Künstlern wie René Margritte, Andy Warhol, Jasper Johns, Piero Manzoni, Marcel Duchamp, Meret Oppenheim, Constantin Brancusi, sowie Popgrössen wie Elvis Presley oder politischen Aktivisten wie Ché Guevara.

Die Ausstellung präsentiertdie grosse Bandbreite seines künstlerischen Schaffens, welche von Bronzearbeiten, Ready-Mades, Holzskulpturen, Siebdrucken bis hin zu seiner neuesten Wachsfigur “Somebody’s Son” (2007) reicht. Letztere zeigt eine der bekannten Wachtposten mit den Gesichtszügen des Künstlers in einem der typischen Wachthäuschen, welche das touristische, traditionelle Bild Londons prägen,. Turk, der mit Werken bekannt geworden ist, die sein eigenes Gesicht als Grundlage haben, bzw. eine Art Einverleibung der jeweiligen Vorbilder sind, ist in “Sombedoy’s Son”, sowohl Künstler-Star als auch schlicht jemandes Sohn, der die Welt, die Queen und/oder die Kunst bewacht. Die Arbeit relativiert den Star-Begriff ebenso wie jenen von Anonymität und erinnert an die Möglichkeit eines rapiden Wechsels zwischen beiden.

Auch in “Faded Glory” (2007) verschmelzen zwei Gesichter: jenes von Turk und das von Elvis Presley. Von einer gelben Farbschicht überzogen, scheint das Abbild nur noch in groben Zügen durch. Die Details verschwinden, ebenso wie die Erinnerung – jedoch an wen? An Elvis nur bedingt, denn seine Musik spielt immer noch Millionen ein und auch die Erinnerung an Turk ist sehr präsent, ist er doch entgegen seiner proklamierten Todeserklärung äusserst lebendig und permanent am Produzieren von Werken. Möglicherweise bringt die Arbeit aber auch jene Serie von Persönlichkeitsaneignungen zum Ausklingen, welche der Künstler unter dem Titel “Me as Him” seit einigen Jahren produziert. Mit der Appropriation von Gesichtszügen ausgewählter Persönlichkeiten werden nicht nur Startum, revolutionäre Taten und Charakterzüge auf eine symbolische Ebene übertragen, sondern auch die überlieferte Mythologie, die sich um herausragende Persönlichkeiten bildet, Fragen nach Identität, Authorität, Authentizität und damit verbundene Wertzuweisungen spielen in jenen Werken eine Rolle, die sich mit Signatur beschäftigen. “Relations” (2005) präsentiert sich als Geschäftsschild aus Holz, das den Schriftzug “Gavin TURK” zeigt. “Turkey Foil Box XL” wiederum beinhaltet den Namen des Künstlers in einem bereits vorhandenen Ready-Made, einer Verpackungsfolie, welche einen Verweis auf den Prozess des Verpackens gibt – Verpacken als wertsteigernde Massnahme bzw. als Schutz für einen bereits materiell und ideell aufgewerteten Gegenstand.

Ein grosser Teil der Werke in der Ausstellung greift das Thema Abfall auf. “Waste” (2006) ist ein in Bronze gegossener, schwarz bemalter Abfallsack, Ein Müllsack, stellvertretend für den unendlichen Müll der Wegwerfgesellschaft, wird zum Denk- und Mahnmal aus unzerstörbarem Material. “Painted Bronze III” (2004/06), Bronze bemalt, zeigt zwei zertretene Bierdosen. In Anlehnung an Jasper Johns’ “Painted Bronze” von 1960 zeigt auch Gavin Turk zwei Bierdosen, die jedoch nicht im Sinne einer Fetischisierung von Alltagsobjekten und ihrer Heroisierung durch die Werbung präsentiert werden, sondern als Stimmungsbild der Gegenwartsgesellschaft. Die Wahl des Sujets ist kein Tabubruch mehr, spielt aber mit diesem als historische Referenz und stellt gleichzeitig gegenwärtige künstlerische und gesellschaftliche Fragen. Bierdosen und andere Abfälle sind ein gewichtigesProblem für zahlreiche Gemeinden. Wer ist dafür verantwortlich? Das Individuum? Wie verhält es sich mit derVerkettung der Grosskonzerne, welche diese Produkte auf den Markt bringen, und der damit verbundenen Entsorgung? Die zertretenen Bierdosen Turks werfen eine Reihe von Fragen auf, die über die Referenz an Jasper Johns hinausgehen. Mit den Werken “Spent Match” (2005) und “Ariadne” (2006) kreiert Turk Miniaturskulpturen, die den Rezipienten auf einer unvermittelteren und emotionaleren Ebene treffen. Das abgebrannte Streichholz und der bis auf das Kerngehäuse gegessene Apfel, beides aus bemalter Bronze, zeichnen sich durch ihre poetische Präsenz aus und hinterfragen das Verhältnis von Alltäglichem und unserem Umgang damit, von Kunstwerk und Alltagsobjekt, von Wert und Status.

“Burnt Out Fire” und “Ash Pile” (beide 2008) gehören zu den jüngsten Werken Gavin Turks. Die Feuerstelle und der Aschehaufen beide aus Bronze, können als ephemeres, in diesem Falle jedoch materiell verfestigtes Ready-Made einer Hochstleistungsgesellschaft gelesen werden, die zwischen Feuer-und Flamme-Sein, ständiger Gier nach Neuem und drohendem Burn Out schwankt.

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Gavin Turk
Burnt Out
Kuratorin: Sabine Schaschl