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Friedl Dicker-Brandeis. Bauhaus-Schülerin, Avantgarde-Malerin, Kunstpädagogin
28.1. bis 29.5.2022

Die Ausstellung im Lentos bietet einen Überblick über das vielseitige Schaffen von Friedl Dicker-Brandeis (1898-1944) und präsentiert neben Zeichnungen und Gemälden auch Fotocollagen, Filmausschnitte, Webmuster sowie Möbel- und Architekturentwürfe. Als die Künstlerin 1942 nach Theresienstadt deportiert wird, widmet sie sich hingebungsvoll ihrer Arbeit als Kunstpädagogin. In bewegenden Filmdokumenten berichten Zeitgenoss*innen in der Ausstellung über das tragische Leben der Künstlerin, die im Oktober 1944 – wie viele der von ihr unterrichteten Kinder – als Opfer des Holocausts im KZ Auschwitz ermordet wurde.

Friedl Dicker-Brandeis wurde am 30. Juli 1898 in Wien geboren. Sie studierte zunächst in Wien bei Franz Cižek und ab 1919 am renommierten Weimarer Bauhaus. Johannes Itten, Paul Klee und Wassily Kandinsky zählten dort zu ihren wichtigsten Lehrern. Für ihre Hinwendung zur Malerei blieben der Künstlerin kaum 25 Jahre. In dieser knappen Zeitspanne setzte sie politisch motivierte Bilder, Portraits und Landschaften im Stil der Neuen Sachlichkeit um. Die dramatischen Lebensumstände der rassistischen Verfolgung steckten ab der Mitte der 1930er-Jahre den Rahmen für ihr weiteres künstlerisches Schaffen ab. Gemeinsam mit ihrem Mann Pavel Brandeis wurde sie 1942 nach Theresienstadt deportiert. Kinderzeichnungen aus dem Ghetto dokumentieren Friedl Dicker-Brandeis’ Rolle als Kunstpädagogin.

Kunstunterricht bei Franz Čižek, Ausbildung in der Privatschule Johannes Ittens und am Bauhaus in Weimar
Ab 1912 besuchte Friedl Dicker Kurse in Fotografie und Reproduktionstechnik an der Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt in Wien. In der Textilklasse der Kunstgewerbeschule zählte Franz Čižek ab 1914 zu ihren Lehrern. Kompositionslehre und die materialgerechte handwerkliche Durchbildung von Stoff-, Tapeten-, Schmuck- und Modeentwürfen waren Teil seines Unterrichts. In der Reformpädagogik gingen von Čižek wegweisende Anregungen aus, die die Studierenden zum kreativen Selbstschaffen und Selbsttätig-Werden hinführen sollten.

1916 trat Friedl Dicker in die Privatschule von Johannes Itten ein. Gemeinsam mit ihrem Lehrer übersiedelte sie 1919 nach Weimar. Ittens Vorkurs, den alle Studierenden absolvieren mussten, war von seiner besonderen Farb- und Kontrastlehre geprägt. Der charismatische Lehrer führte die Studierenden auch an die abstrakte Kunst heran, an den Konstruktivismus, Dadaismus und Kubismus. Entsprechend den damals stark eingeschränkten Auswahlmöglichkeiten für weibliche Studierende besuchte Friedl Dicker Georg Muches Textilklasse, Lyonel Feiningers Druckerei und die Buchbinderei bei Paul Klee. Sie galt als eine der talentiertesten Schülerinnen des Bauhaus.

Berlin – Wien (1925-1933). Ateliergemeinschaft mit Franz Singer, Hinwendung zum Kommunismus
Mit Gebäudeentwürfen, die wie geometrische Formkompositionen wirkten, rückten Friedl Dicker und der mit ihr befreundete Franz Singer in ihrem Berliner Atelier ihren künstlerischen Zugang zur Architektur in den Vordergrund. In ihren Raumgestaltungen wurden häufig einzelne Zimmer mit mehreren Funktionen ausgestattet. Das Zusammenklappen, Zusammenschieben und Stapeln von Möbeln ermöglichte die Wandelbarkeit und damit Mehrfachnutzung der Räume.

1925 gründete Friedl Dicker ein Atelier in der Wasserburgergasse, in Wien, in das ihr Singer später folgte. Friedl Dicker und Franz Singer waren in Wien mit dem Kreis um Adolf Loos – Hans Moller, Ludwig Münz und Maximilian Emers befreundet. Die gefragten Architekten der Wiener Bourgeoisie erhielten Aufträge aus Berlin, Prag, Brünn (Brno, CZ), Reichenberg (Liberec, CZ), Žilina (SK) und Budapest. Für Möbel- und Wohnraumentwürfe arbeiteten sie mit kontrastierenden Farben und Strukturen. Ihre Textilentwürfe konnte Friedl Dicker einer schwäbischen Textilmanufaktur für die Produktion zur Verfügung stellen.

Anfang der 1930er Jahre trat Friedl Dicker verstärkt für den Kommunismus ein. Sie gestaltete großformatige, mehrfarbige Plakate, die den Klassenkampf zum einzigen Ausweg aus den prekären wirtschaftlichen Verhältnissen deklarierten. Dicker trat der kommunistischen Partei bei. In ihrer Wohnung wurden Utensilien zum Fälschen von Pässen gefunden. Am 14. November 1931 wird sie verhaftet und musste in Folge eine mehrmonatige Haftstrafe absitzen. Danach entschloß sie sich zu einem Umzug nach Prag.

Prag – Hronov (1933-1942). Durchbruch zur Malerei
Nach ihrer Übersiedlung nach Prag war Friedl Dicker im Kreis der österreichischen Emigrant*innen weiterhin politisch engagiert. In ihrer neuen Heimat lernte sie die Verwandtschaft ihrer früh verstorbenen Mutter Karolina Fanta kennen und verliebte sich in den jüngsten Sohn ihrer Tante. Nach ihrer Hochzeit mit Pavel Brandeis sah sie sich erstmals in der Lage, sich hauptsächlich der Malerei widmen zu können. Neben psychologisch tiefgründigen Porträts von Freunden und Bekannten malte sie kompositorisch raffinierte Stadtveduten von Prag. In beeindruckender Weise können ihre Gemälde an jenen von Oskar Kokoschka, Otto Dix, Gabriele Münter, Felix Nussbaum, Marianne von Werefkin und Rudolf Wacker gemessen werden. Nachdem die Künstlerin und ihr Mann 1938 wegen der rassistischen Verfolgung in das nordböhmische Hronov übersiedelt waren, hielt Friedl Dicker-Brandeis vorwiegend die Landschaft ihrer neuen Umgebung in ihren Bildern fest. Wie sie in Briefen berichtet, sah sie ihre wahre Berufung damals in der Malerei und in der kunstpädagogischen Arbeit mit Kindern.

Theresienstadt (1942-1944). Kunstunterricht im Ghetto und letzte Aquarelle
Im Ghetto Theresienstadt widmete sich Friedl Dicker-Brandeis in erster Linie der pädagogischen Arbeit mit den Kindern. Kunstunterricht war jedoch im allgegenwärtigen Chaos in Theresienstadt eine große Herausforderung. Die Welt der Kinder, die nach Jahren eines Lebens unter dem Nazi- Protektorat nach Theresienstadt deportiert worden waren, hatte jedes Gleichgewicht, jede Zuversicht verloren. Ihr früheres Leben vermischte sich mit ihrem Dasein im Ghetto. Üblicherweise geben Kinder ihren Bildern klare Koordinaten und verorten sich in ihrer aktuellen Realität. Die Kinder von Theresienstadt mit ihrer unterschiedlichen Vergangenheit und ihrer zerrissenen Zeit- Raum-Kontinuität hatte man dieser Möglichkeit zur Verortung beraubt. Friedl Dicker-Brandeis sah daher ihr Ziel in der Aufdeckung der Erschütterungen im Bewusstsein der Kinder und in dessen Heilung. Rhythmische Übungen, Zeichnen nach einem Märchen oder nach einer Geschichte, die sie erzählte, Zeichnen vom Modell, das Studium der Alten Meister, freie Themen – alle künstlerischen und pädagogischen Methoden über die sie verfügte, kamen dabei zur Anwendung. Die Themen des Zeichenunterrichts wurden so gewählt, dass sie durch ihre Nähe und Vertrautheit in den Kindern eine Reaktion hervorriefen. Sie zeichneten Landschaften, Straßen, Bahnhöfe, Häuser, Familienportraits, Feste und Veranstaltungen. Da diese Motive aus dem eigenen Erfahrungsschatz stammten, konnte sich jedes Kind auf ganz eigene und persönliche Weise ausdrücken.

Nur selten kam sie aufgrund ihrer Tätigkeit als Lehrerin im Kinderheim L-410 dazu, selbst künstlerisch tätig zu werden. Luftig-leicht wirkende Aquarelle von Blumenarrangements, Portraits und flüchtige Ansichten des Ghettos konnten von ihrer letzten Lebensstation gerettet werden. Die Entsetzlichkeit der herrschenden Verhältnisse und die Ausweglosigkeit ihrer Situation werden in diesen Bildern jedoch nicht erkennbar. Eines ihrer letzten Aquarelle aus dem Jahr 1944 zeigt ein Portrait eines Kindes. Das frontal dargestellte Gesicht hat keine formale Verankerung auf der Bildfläche mehr und wirkt wie eine Vision: ein wachsamer Blick aus Kinderaugen. Im Oktober desselben Jahres wurde die Künstlerin nach Auschwitz-Birkenau deportiert und dort ermordet.

„Das Werk von Friedl Dicker-Brandeis ist von immenser Bedeutung für die österreichische Kunstgeschichte. Im Zusammenhang mit dem 100-jährigen Bauhaus-Jubiläum fand 2019 eine Neubewertung und Aufarbeitung des wichtigen Beitrags dieser zuvor zu wenig beachteten Künstlerin statt. Die Schau im Lentos zeigt nun erstmals in Österreich in einer umfassenden Museumsretrospektive das vielfältige künstlerische Werk von Friedl-Dicker Brandeis“, unterstreicht Lentos Direktorin Hemma Schmutz.

„Das großartige Oeuvre Friedl Dicker-Brandeis’ verlangt uns heute größten Respekt und Bewunderung ab. Lassen wir ihre Kunstwerke für sich sprechen, um uns ein Bild von einer großen Philanthropin und einer multitalentierten Persönlichkeit zu machen, die bis zuletzt an das Gute im Menschen glaubte“, ist Kuratorin Brigitte Reutner-Doneus überzeugt.

„Diese Ausstellung stellt eine ausgesprochen talentierte Künstlerin und Kunstpädagogin in den Mittelpunkt, die ob ihres politischen Engagements und ihrer Barmherzigkeit nicht in Vergessenheit geraten darf. Damit wird sowohl ihre Hingebung zur Malerei als auch ihr gesamter Lebensweg gewürdigt, dem sie bis zu ihrer grausamen Ermordung stets treu ihrer philanthropischen Vorstellung folgte“, betont Bürgermeister Klaus Luger.

„Mit der Friedl Dicker-Brandeis Ausstellung im Lentos wird der Fokus erneut auf das beeindruckende und herausragende Werk einer Künstlerin gelenkt, der bisher zu wenig Beachtung geschenkt wurde. Besonders freut mich, dass im Zuge dieser Ausstellung ein facettenreiches Rahmenprogramm angeboten werden kann,“ so Doris Lang-Mayerhofer, Stadträtin für Kultur, Tourismus und Kreativwirtschaft der Stadt Linz.

Die Ausstellung im Lentos wird vom „Zukunftsfonds der Republik Österreich“ und dem „Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus“ unterstützt. Im Mai findet ein kostenloses Praxissymposium „Von Friedl Dicker-Brandeis lernen“ statt, das sich ausführlich mit der Arbeit von Dicker-Brandeis als Kunstpädagogin auseinandersetzt. Zur Ausstellung erscheint außerdem eine ausführliche Publikation die den aktuellen Forschungsstand über das Werk von Friedl Dicker-Brandeis mit Textbeiträgen von Expert*innen wiedergibt.