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Delacroix schreibt in seinem Tagebuch: “Es gehört wirklich große Selbstverleugnung dazu, um einfach zu sein, wenn man überhaupt dessen fähig ist”.

Freds Arbeitsweise war von einschüchternder Schlichtheit: Er betrat den Raum mit einem Musterkoffer verschiedenfarbiger Acrylfäden, setzte sich auf einen Stuhl, schaute lange, sprach nichts, verließ nach einiger Zeit den Raum für einen Spaziergang, kam zurück, setzte sich wieder, und schaute… Dieser Vorgang hielt ungefähr zwei Tage an, und dann hingen die ersten Acrylfäden von der Decke oder waren an der Wand appliziert, montiert mit Klebestreifen. Fred arbeitete dabei allein, ohne jede Hilfe. Alles was er brauchte war eine Leiter und etwas Klebeband. Nachdem Fred sich sicher war, wie die Arbeit endgültig aussehen sollte, holte er aus seinem Musterkoffer feine Messingröhrchen, zog die Acrylfäden an jedem Ende durch, verschweißte die Enden mit Kleber, wählte aus seinem Sortiment von Bohrern die passende Größe, bohre winzige Löcher in Wand und Fußboden, versenkte die Röhrchen darin und spannte dadurch die Fäden. Die Skulptur war fertig. Danach war eine normale Kommunikation wieder möglich. Fred war sanft, Fred war furchtlos, Fred war nobel. Fred hatte keine Angst; er gab sich mit Wenigem zufrieden. Fred sprach wenig, aber wenn er sprach waren seine Worte voller Farbe. Die Welt war für ihn beseelt. Fred war ein Mensch, der sehr weit sah, über den Horizont hinaus. Fred trank nicht, und während wir tranken um klar zu sehen sah er bereits alles mit großer Klarheit. Er brauchte keine Worte. Und doch, unsere Gespräche, hauptsächlich auf Deutsch geführt, die über die Kunst hinausführten ins Leben und sehr oft im Nordmeer endeten, für Fred ein großer Sehnsuchtsort, zeigten mir seine Haltung. Haltung ist das ganze Leben. Sein schmales Werk, ein Solitär in der bildenden Kunst, hin und wieder als “minimal” bezeichnet, ist von immenser Opulenz. Er schuf Räume von großer Magie, manche als farbenprächtige Imaginationen. Was auf den ersten Blick so anrührend schlicht zu sein scheint entzieht sich auf jeden weiteren immer mehr. Die Räume werden gläsern und verlieren ihre ursprüngliche Bedeutung, sie werden unabhängig, es gibt keine Rückblende, Blickbezüge ermöglichen neue optische Gewichtungen. Es ist einfach irritierend schön.

Hubert Winter. Meine Erinnerungen an Fred Sandback. In: „Fred Sandback“, Hrsg.v. Friedemann Malsch, Christiane Meyer-Stoll, Ostfildern-Ruit, Hatje Cantz, 2005