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In der heutigen Diskussion wird zeitgenössische Kunst häufig in abstrakte und politisch engagierte Kunst unterteilt. Besonders seitdem die Kontextkunst der 1990er Jahre konzeptuelle Strategien der 1970er Jahre wieder belebte, die Bilder aus ideologischen Gründen verweigerten, wird kritische Kunst heute oft mit Bildlosigkeit gleichgesetzt. Die Ausstellung formal social stellt diese Gleichung in Frage, indem sie Arbeiten von Künstlern und Künstlerinnen zeigt, die durch formale Vorgehen soziale und politische Themen aktualisieren.

Dies geschieht am Beispiel der Fotografie, weil das Medium in dieser Diskussion einen besonderen Status besitzt. Seit den 1970er Jahren ist die künstlerische Fotografie einerseits kritischer Begleiter der Massenmedien, die unsere Wahrnehmung und Bewertung politischer Geschehen lenken. Andererseits kann sie, aufgrund ihrer Bildhaftigkeit, visuelle Traditionen der Malerei fortsetzen und so weiterhin mit Hilfe der formalen, das heißt, der Kunst spezifischen Vorgehensweisen arbeiten.

formal social vereint internationale Fotografen und Fotografinnen, die sich in ihrem Werk mit diesem zweifachen Potential der Fotografie beschäftigen. Jeff Walls Arbeiten (1946, CAN) haben weiterhin auf jüngere Künstlergenerationen entscheidenden Einfluss. Seine ‘street scenes’ aus den 1980er Jahren, von denen mit dem Doorpusher ein selten gezeigtes Beispiel in der Ausstellung zu sehen ist, demonstrieren eine komplexe Auseinandersetzung mit dem bildnerischen und politischen Erbe der Künste. Gerade weil Walls Fotos traditionelle Bildformeln aufnehmen, können sie politische Aspekte einbeziehen. Dasselbe gilt auf jeweils andere Art für die Fotografien von Catherine Opie (1961, USA), Valérie Jouve (1964, F) und Lucinda Devlin (1947, USA). In ihnen schafft die formale Fassung eine Distanz zu dem abgebildeten Geschehen, die vor allem eine Distanz der Fotografin gegenüber ihrem Gegenstand meint. Durch die eigene Enthaltung wird die Auseinandersetzung vor das Foto, zwischen Bild und Betrachter, verlagert. Willie Dohertys (1959, Nordirland) Fotografien arbeiten auf andere Weise mit dem dokumentarischen Potential des Mediums: indem die Bildmotive auf die Provinz Nordirland als umkämpftes Territorium hinweisen, jedoch keine weiteren Schlüsse über die Situation zulassen, demonstrieren die Bilder die Unzuverlässigkeit der Fotografie als Beweismittel. Die Videoarbeit von Arthur Jafa (1960, USA), der eigentliche Ausgangspunkt dieser Ausstellung, sowie die Fotografien von Thomas Ruff (*1958, D), bezeichnen ihrerseits Grenzen der Thematik zum Dokumentarfilm und Fotojournalismus. Die Form, wie etwa der gelbe Umriss der Jacke eines Obdachlosen in Jafas Arbeit oder die Aufteilung eines Zeitungsfotos bei Ruff, scheint hier zufällig gegeben und vom Künstler nur ausgewählt. Dennoch beschreiben diese Arbeiten auch die minimale Grenze, die zur Kunst hin überschritten werden muss, um die künstlerische Arbeit von einer blossen Kopie der Wirklichkeit zu unterscheiden.

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