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Nach der erfolgreichen Ausstellung „Shanghai Surprise“, die vom 04.12.04 bis 27.02.05 in der lothringer dreizehn stattfand, ist „Not Even the Moon Is Autonomous“ (Autonom ist noch nicht einmal der Mond) der zweite Teil des Ausstellungszyklus „Focus on Asia“, mit dem die lothringer dreizehn breiter angelegte Erkundungen der zeitgenössischen Kunst Asiens dokumentiert und den Ost-West Dialog und Austausch fördert.

Die Ausstellung vereint zeitgenössische Künstler/innen, Künstlerinitiativen und netzwerkende Konzeptkünstler/innen aus Japan. Sie entstand als Ergebnis und Weiterführung einer Feldstudie der Projektgruppe Reinigungsgesellschaft, Dresden. Der Titel bezieht sich auf das Video der Reinigungsgesellschaft namens „Autonomie und politisches Handeln“, gewissermaßen ein Kommentar, der die Erkenntnis zusammenfasst, dass es „kein außerhalb des Systems geben kann“. Das Projekt beschreibt die Auswirkungen von steigendem Ökonomisierungsdruck auf Arbeitsweisen im Bereich der bildenden Kunst, wobei sich der Fokus auf die politische und gesellschaftliche Funktion von Kunst richtet. Japan — wo fernöstliche auf westliche Denk- und Wertesysteme treffen — bietet dafür den geeigneten Bezugsrahmen.

Japan gehört mit den USA und der EU zur „kapitalistischen Triade“, die lediglich 15% der Weltbevölkerung umfasst, in den 1990er Jahren aber mehr als zwei Drittel der weltweiten ökonomischen Aktivitäten auf sich konzentrieren konnte. Trotz Japans wirtschaftlichem Aufstieg zur High-Tech-Nation seit 1970 und dessen durch Innovation, Produktivität, Bevölkerungsdichte und geografische Situation bedingte ökonomische Ballung, erhöhte sich die internationale Sichtbarkeit seiner Künstler/innen nicht wesentlich. Im Fokus der Ausstellung stehen japanische Künstler/innen und Kunstinitiativen, die nach alternativen Wegen künstlerischer Intervention in einer Gesellschaft suchen, die traditionelle fernöstliche Lebensformen und globale Marktwirtschaft miteinander vereint. Das gezeigte Spektrum künstlerischer Positionen reicht von kritischen Stellungnahmen zum kapitalistischen System bis zu Taktiken der Subversion der Konsumkultur und ihrer Produkte.

Die Unterschiede der Kulturen und des gesellschaftlichen Kontextes zwischen China und Japan, insbesondere zwischen Städten wie Shanghai und Tokyo sind gravierend. Ist in Shanghai der Drang nach Konsum, Erfolg und Fortschritt allgegenwärtig und die Spannungen zwischen einer kommunistischen Vergangenheit und einem staatlich gelenkten Turbokapitalismus überall spürbar, begegnet man in Tokyo einem vollkommen anderen Verhältnis von Tradition und Gegenwart.

Trotz der Übernahme wesentlicher Elemente aus dem Pool westlicher Produktions- und Lebensbedingungen beharrt Japan darauf, seine eigenen kulturellen Traditionen des täglichen Lebens in die Moderne zu retten. Dieser „Clash of Cultures“ produziert dabei Denk-, Lebens- und Arbeitsstrukturen, die immer noch relativ verschlossen für „Fremde“ sind. Auch die ökonomischen Bedingungen der Produktion und Distribution von Kunst sind radikal von denen in China verschieden. Japanische Künstler/innen bewegen sich in einem nur schwach entwickelten Kunstmarkt und in einem Umfeld, in dem sich für die Künstler/innen immer wieder aufs Neue die Frage nach dem Verhältnis zwischen wirtschaftlichem Überleben und künstlerischer Autonomie stellt.

„Not Even the Moon Is Autonomous“ geht daher der Frage nach, welches künstlerisch-kritische Potenzial eine auf Selbstlosigkeit sowie Arrangement statt Konfrontation basierende fernöstliche Gesellschaft birgt — im Unterschied zur auf Individualität ausgerichteten westlichen, deren „Werte“ sie assimiliert. Und wie geht sie mit den Strukturen und Produkten des kapitalistischen Systems um, in dem sie leben und arbeiten?

Die Installationen, Filme, Photographien und Objekte sprechen Themen wie Überwachung, Terror, Gewalt, Krieg, Nationalismus, Aktivismus und politische Vergangenheit, aber auch Konsum, Bildung, Umwelt, Arbeit, Emanzipation und Globalisierung an und entstanden — bis auf wenige Ausnahmen — seit 2000. Darüber hinaus versucht die Ausstellung per Dokumentation mit den Hintergründen künstlerischer Produktion und deren öffentlicher Wahrnehmung vertrauter zu machen.

Es ist der reale Kampf zwischen künstlerischer Selbstverwirklichung und wirtschaftlicher Selbstbehauptung, der das kleinste gemeinsame Vielfache und zugleich unser Motiv für diese Ausstellung bildet. Es sind die künstlerische Autonomie — die täglich neu erobert werden muss — und ihr Handlungsspielraum, die unsere Fragestellungen diktierten. Es sind die wachsende politische Beliebigkeit und der immense wirtschaftliche Druck bis zur kommerziellen Instrumentalisierung durch Politik und Wirtschaft, die Kunst, Künstler/innen und Kunstinitiativen existenziell in Frage stellen.

In einer Gesellschaft, die einerseits in die Produkte der Technik vernarrt ist und sie fetischisiert, andererseits künstlerische Techniken eher auf dem Feld der Selbstperfektionierung und Lebensgestaltung entwickelt hat und den Objektcharakter der Kunst marginalisiert, bleibt die Frage nach dem Status des Kunstobjekts in jedem Fall umstritten.

Zur Ausstellung erscheint ein Katalog.

Eine Ausstellung in Zusammenarbeit mit der ACC Galerie Weimar und Reinigungsgesellschaft, Dresden. Video Programm in Zusammenarbeit mit spiegel und ZKMax, München. Gefördert durch die Kulturstiftung der Stadtsparkasse München und die Renault Nissan Deutschland AG. Die Ausstellung ist Teil des Japan-EU-Jahres der Begegnung 2005.

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