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Villa Flora, Winterthur

Die ab 1908 von Arthur und Hedy Hahnloser aufgebaute Vallotton-Sammlung umfasst alle von ihm behandelten Gattungen: Interieurs, die als Bühne für vieldeutige Rollenspiele dienen; Stillleben mit ihren Andeutungen von Vergänglichkeit; Parisbilder, die nicht nur die glänzende Entwicklung der modernen Grossstadt, sondern auch ihre Kehrseite vor Augen führen; Landschaften, Porträts, Akte und mythologische Szenen, in denen Vallotton die Geschichten aus der Antike als modernen Geschlechterkampf interpretiert. Einen Höhepunkt bildet 'La Blanche et la Noire' – das vielschichtigste und in der spannungsvollen Konfrontation eines weissen Aktes mit einer schwarzen Frau auch das provozierendste Werk der Ausstellung.

Ausgangspunkt unserer Vallotton-Ausstellung ist die historische Situation der Sammeltätigkeit von Arthur und Hedy Hahnloser-Bühler. Félix Vallotton (1865 Lausanne – 1925 Paris) war neben Bonnard der wichtigste Künstler der Sammlung, deren Schwergewicht auf der Künstlergruppe der 'Nabis' liegt. Er ist mit weitaus mehr Werken vertreten als die anderen Künstler, zudem war er von Anfang an der künstlerische Berater des Sammlerpaars und blieb zeit seines Lebens ihr intensivster Gesprächspartner. Davon zeugt der rege Briefwechsel zwischen Hedy Hahnloser und Vallotton, der bereits im Mai 1908 nach dem ersten, mutigen Ankauf des Aktbildes 'Baigneuse' beginnt. Die seitdem aufgebaute umfangreiche Vallotton-Sammlung umfasst sowohl alle Perioden seines Schaffens als auch alle von ihm behandelten Gattungen und ist somit repräsentativ für sein gesamtes Werk. Demzufolge werden in unserer Ausstellung alle Genres in gleicher Weise vorgestellt: Interieurs und Stilleben, Grossstadtbilder und Landschaften, Porträts, Akte und mythologische Szenen. Dabei können wir im wesentlichen aus dem reichhaltigen Fundus der Hahnloser/Jäggli Stiftung in der Villa Flora und der heute auf verschiedene Nachkommen verteilten Bestände der ehemaligen Hahnloser-Sammlung schöpfen.

Ausserdem kommt ins Spiel, dass sich Hedy Hahnloser intensiv für eine Anerkennung und Verbreitung von Vallottons Werk eingesetzt und auch ihre Verwandten und Freunde zu Ankäufen von Vallotton-Bildern inspiriert hat. Diese ergänzten häufig in sinnvoller Weise die Werke ihrer eigenen vorzüglichen Sammlung, so dass von Vallotton als Pendants oder als Zyklen gedachte Bildgruppen zusammenbleiben konnten. So erwarb Hedy 1909 vom Künstler das Werk 'Soir antique' (1904), in dem eine Gruppe von Nymphen vor den ihnen nachstellenden Faunen flieht, und ihr Cousin Richard Bühler kaufte in demselben Jahr aus der von Hedy Hahnloser mitorganisierten ersten Vallotton-Ausstellung im Künstlerhaus Zürich das Pendant 'Penthée' (heute Privatbesitz), das die Verfolgung von Pentheus durch die ihn später in blinder Raserei zerreissenden Mänaden zum Thema hat. Diese beiden Werke, in denen Vallotton die mythologischen Szenen aus der Antike als modernen Geschlechterkampf interpretiert, werden in unserer Ausstellung seit langem einmal wieder gegenübergestellt.

Aus der berühmten Bilderserie 'Bords de Seine' von 1901 erwarb das Ehepaar Hahnloser 1909 von Vallotton 'Tas de sable blanc' und 'Les chalands, bords de Seine', während Emil Hahnloser, Arthurs Bruder, 'Le Pont-Neuf' kaufte, das er später dem Kunstmuseum Winterthur schenkte. Zwei weitere Bilder kamen durch Hedys Vermittlung 1910 in die Sammlung ihres Cousins Hans Schuler, der von 1912 bis 1920 Mitglied der Ankaufskommission der Zürcher Kunstgesellschaft war: 'La fumée' und 'Pêcheurs à la ligne'. Die sich heute in Privatbesitz befindlichen Werke waren seit 1938 nicht mehr ausgestellt, und deshalb freuen wir uns besonders, dass wir diese Serie nun zum ersten Mal seit Jahrzehnten wieder zusammenführen können. Vallotton verlässt in diesem Paris- Zyklus die von flanierenden Menschen erfüllten Strassen und Plätze der modernen Grossstadt und führt als kritischer Zeitgenosse die Kehrseite der glänzenden Entwicklung der Metropole vor Augen, nämlich die zunehmende Veränderung der Stadtlandschaft durch Industrialisierung und technischen Fortschritt.

Einen Höhepunkt bildet als weiteres Beispiel für die überlegte Koordination der Ankäufe eine Gruppe mit Darstellungen selbstbewusster schwarzer Frauen: aus der Sammlung Hahnloser die Gemälde 'La Blanche et la Noire' und 'Négresse à la cruche' (1913), in denen dasselbe Modell dargestellt ist – 'une négresse superbe', wie Vallotton schrieb – sowie die eindrucksvolle Mulattin 'La Mulâtresse' aus der ehemaligen Sammlung Richard Bühler. Das grossformatige Werk 'La Blanche et la Noire' gehört heute als einziges der vier monumentalen Bilder, mit denen Hedy und Arthur Hahnloser ihren Mut zu 'schwierigen' Werken Vallottons bewiesen, zur Hahnloser/Jäggli Stiftung in der Villa Flora. Die anderen befinden sich als Schenkungen von Hedy Hahnloser und deren Erben in Museumsbesitz: „Le repos des modèles“ (1905) und 'L’homme poignardé' (1916) im Kunstmuseum Winterthur sowie 'L’enlèvement d’Europe' (1908) im Kunstmuseum Bern. Daran wird deutlich, dass das Sammlerpaar nicht nur die eigene Sammlung, sondern immer auch die Museumssammlungen vor Augen hatte. Insbesondere setzten sie sich mit enormem Engagement für den Bau und die Sammlung des 1916 eröffneten Kunstmuseums Winterthur ein.

'La Blanche et la Noire' ist das vielschichtigste und in der spannungsvollen Konfrontation eines weissen Aktes mit einer schwarzen Frau auch das provozierendste Werk der Ausstellung. Die Schwarze stellt Vallotton nicht mehr im hierarchischen Gefälle zur weissen Frau als Dienerin dar, wie dies im 19. Jahrhundert vor allem in der Orientmalerei üblich war, sondern als starke Frau, die durch das freche Attribut der brennenden Zigarette als emanzipierte, moderne Pariserin charakterisiert wird. Mit den für ihn charakteristischen ironischen Brechungen belässt Vallotton der Bildaussage bei allen kunsthistorischen und gesellschaftspolitischen Bezügen ihre Offenheit und Vieldeutigkeit.

Zur Ausstellung erscheint ein Katalog: 'Félix Vallotton in der Villa Flora' Herausgegeben von Ursula Perucchi-Petri. Mit Beiträgen von Angelika Affentranger-Kirchrath, Margrit Hahnloser-Ingold und Ursula Perucchi-Petri. 135 Seiten, 50 farbige und 12 sw Abbildungen, 23x28 cm; ISBN 978-3-7165-1486-3