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Eröffnung: Freitag, den 24. August 2007, um 16 Uhr im Zehntspeicher in Gartow und in der Seegeniederung Im Anschluss großes Eröffnungsfest

Wo liegen die Grenzen zwischen Kunst, Natur und Wissenschaft? Können Künstler diese Grenzen überschreiten und auch Forscher sein? Und welche Rolle spielen der Beobachter und das Beobachten in diesem Prozess? Diesen Fragen widmet sich das Projekt „Feldversuche“, das am 24. August 2007 in Gartow eröffnet wird.

Bereits in den 90er Jahren veranstaltete der Westwendische Kunstverein (WWK) zwei Bildhauersymposien, bei denen die Künstler die Seegenniederung in Gartow als einen Ort des lebendigen künstlerischen Arbeitens machten. Die mit einem international besetzten Wettbewerb begonnenen „Feldversuche“ schließen direkt an dieses Engagement an, auch wenn sich mittlerweile sowohl die künstlerischen als auch die landschaftlichen Bedingungen verändert haben. Während die Seegeniederung nun Teil des Biosphärenreservats Elbtalaue geworden ist, haben sich auch die Formen künstlerischen Arbeitens im öffentlichen Raum weiterentwickelt. „Feldversuche – Kunst und Natur in der Seegeniederung Gartow“ thematisiert mit fünf neuen Skulpturprojekten das Spannungsfeld zwischen Landschaft und Kultur. Mit eher forschender Haltung entwickelten die beteiligten Künstler Arbeiten, die Wachstums- und Entwicklungsprozesse, Wahrnehmung und unterschiedliche Naturbegriffe in das Zentrum der Aufmerksamkeit rücken. Natur ist nicht mehr Hintergrundfolie für Kunst, sondern in ihrer Prozesshaftigkeit Thema und Bestandteil des künstlerischen Arbeitens selbst. Die Ergebnisse dieser Annährung sind nun dauerhaft mit den sich beständig verändernden Werken von Henrik Håkansson („Schwimmende Insel“), Bob Braine („Der hohe Sumpf von Gartow“), Mark Dion („The Floodwater Residency Program“), Sandra Voets, („Des Grafen Vorratskammer“) und der Galerie für Landschaftskunst („Seegeniederung im Ausnahmezustand“) zu sehen.

Möglich wurde dieses Projekt des Westwendischen Kunstvereins unter der Künstlerischen Leitung von Roland Nachtigäller durch die finanzielle Unterstützung des Landes Niedersachsens und der Europäischen Union, die Kooperation mit der Städtischen Galerie Nordhorn sowie mit dem NABU Niedersachsen und dem Biosphärenreservat Niedersächsische Elbtalaue. Am 24. August 2007 um 16 Uhr wird „Feldversuche“ offiziell vom niedersächsischen Minister für Wissenschaft und Kultur, Lutz Stratmann, eröffnet. Den Festvortrag hält Prof. Dr. Hubertus Gaßner, Direktor der Hamburger Kunsthalle. Das Projekt steht unter der Schirmherrschaft des niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff. Feldversuche Westwendischer Kunstverein, Seegeniederung Gartow

Bob Braine, „Der hohe Sumpf von Gartow“ Weithin sichtbar ragt die Skulptur „Der hohe Sumpf von Gartow“ von Bob Braine aus der Ebene der Seegeniederung heraus. Auf den ersten Blick erscheint das Werk, ein Gerüst aus galvanisiertem Stahl und Beton, wie ein Wachturm. Wer genauer wissen möchte, was diese Skulptur bedeuten mag, muss zunächst eine kleine Plattform erklimmen, indem er knapp 20 Stufen auf einer frei im Gelände stehenden Treppe hinaufsteigt. Von dort kann er dann in ein Bassin schauen – der Blick in ein Stück Sumpf. Dieser Stumpf ist durch seine hohe Lage klar abgeschnitten von der Umgebung; er wird zwar sichtbar, aber der Betrachter muss sich der ungewöhnlichen Position annähern. Damit macht er sich automatisch seine eigene Betrachterposition bewusst. Den direkten Kontakt verweigert der hohe Sumpf den Menschen und der Umgebung dennoch. Er bleibt unerreichbar und stellt so, laut Braine, „eine Zuflucht für ein sich selbst überlassenes Ökosystem“ dar. Bob Braine ist in Deutschland durch die Teilnahme an zahlreichen Ausstellungen, u.a. „Feldforschung“ in der Hamburger Kunsthalle, „Museutropia“ im Karl Ernst Osthaus-Museum in Hagen, „Über-Leben“ in Bonn und „All Creatures Great and Small“ in Köln bekannt geworden. Der Künstler wurde 1963 in New York geboren, wo er heute noch in Brooklyn lebt und arbeitet.

Mark Dion, „The Floodwater Residency Program” Auf hohen Stelzen mit einem offenen Treppenzugang steht das kleine Haus in der Seegeniederung. Es ist vollkommen eingerichtet, erinnert an eine Forschungsstation und wartet auf einen neuen Bewohner: Das „Flutwasser-Aufenthaltsprogramm“ von Mark Dion, richtet sich vor allem an Künstler mit einem wissenschaftlichen Interesse oder aber auch an Wissenschaftler mit künstlerischen Interessen. Mark Dion selbst sieht sich als ein Forscher-Künstler. Seine Kunst will Wissen schaffen und tut dies mit einem großen Vorteil: Kunst ist im Gegensatz zur Wissenschaft nicht dem Streben nach „Wahrheit“ verpflichtet. Durch einfache symbolische Darstellungen kann sie komplexe Sachverhalte vermitteln. „Die Kunst illustriert nicht die Wissenschaft, die Philosophie oder sogar Glaubensfragen“, so Dion in einem Interview mit Claudia Seidel, „aber sie macht Abstraktionen irgendwie fassbar, die in diesen Disziplinen vorhanden sind.“ Ob sich die Bewohner des Hauses während der Überschwemmungszeiten, in denen sie vom Festland abgeschnitten sind, eher als Künstler oder aber als Forscher betrachten, kann bisher nur Hieronymus Proske beantworten. Der Maler, Fotograf und Filmemacher war der erste Bewohner der "Floodwater Residency". Mark Dion, geboren 1961 in New Bedford (Massachusetts) hat u.a. 2004 an der Biennale in São Paulo teilgenommen und war in Hamburg 2005 an der Ausstellung „Academy. Teaching Art. Learning Art“ beteiligt. 2007 war er in der Akademie der Künste in der Ausstellung „Die Stadt von morgen“ zu sehen. Dion lebt in Beach Lake in Pennsylvania.

Galerie für Landschaftskunst, „Seegeniederung im Ausnahmezustand“ Der Name der Galerie ist ein Paradox – welche Landschaftskunst braucht schon eine Galerie? Doch die Galerie für Landschaftskunst ist weniger ein Akteur am Kunstmarkt als vielmehr selbst ein künstlerisches Projekt, das sich besonders mit der Frage nach der Wahrnehmung von Landschaft beschäftigt. Hier finden sich je nach Anlass verschiedene Künstler zusammen, die sich allesamt mit dem Verhältnis von Mensch und Wahrnehmung, Natur- und Stadtraum auseinandersetzen. An den „Feldversuchen“ wirken unter dem Dach der Galerie für Landschaftskunst Carola Deye, Dagmar Falarzik, Florian Hüttner, Fred-Heiner Jaschner, Till Krause, Daniel Maier-Reimer und Mark Wehrmann mit. Jeder dieser sieben Beteiligten nähert sich der Seegeniederung auf seine eigene Weise. Gemeinsam haben sie jedoch die Art der Präsentation: Alle Arbeiten werden als Emaille-Schilder realisiert und in der Seegeniederung verteilt. So wird zum Beispiel die tachistisch anmutende Malerei von Carola Deye vor dem Hintergrund blühender Pflanzen zu einem Abbild eben dieser Gewächse. Auf dem Emaille-Schild von Dagmar Falarzik hingegen ist das Bild eines Skulpturenbaums zu sehen mit der Bezeichnung „Axis mundi“ (Achse der Welt). Darunter findet sich der Hinweis: „Seegeniederung mit AXIS MUNDI. Wiederverwildnisserung der Natur und des Geistes“. Die Galerie für Landschaftskunst hat seit ihrem Bestehen 1996 zahllose Ausstellungen organisiert. Schwerpunkt der Tätigkeit sind u.a. Langzeitprojekte wie „Schute“ und die Hamburg-Kartierung: „Peripherie I – VI“.

Henrik Håkansson, „Treibende Insel“ Die Arbeiten von Henrik Håkansson zeigen Fragmente von Naturkreisläufen, die aufgezeichnet und an anderen Orten – zum Beispiel in Ausstellungen – nachgestellt werden. Im Mittelpunkt steht die Beobachtung von Pflanzen, Vögeln, Insekten oder anderen Lebewesen und deren Umgebungen sowie die Frage nach möglichen Formen eines Dialogs zwischen Mensch und Natur. Die wesentlichen Elemente sind für Håkansson dabei die Beobachtung der Natur selbst sowie die Beobachtung der Beobachtung. Diese Verdoppelung ist entscheidend, weil sie erst den Aspekt der Aufführung, der Vorführung deutlich werden lässt – kann doch davon ausgegangen werden, dass die Beobachtung der Beobachtung zu unserem gängigen Wahrnehmungsmodell geworden ist. Am Ende vergleichen wir das, was wir als Natur wahrnehmen, mit dem, was uns z.B. in den Medien als Natur gezeigt wird. Für die „Feldversuche“ hat Henrik Håkansson eine große, mit Mutterboden gefüllte Stahlwanne anfertigen und sie in die Seegeniederung setzen lassen. Dort wird sie Stück für Stück von den heimischen Pflanzen erobert. Wenn die Niederung nicht unter Wasser steht, fällt dieses Werk kaum ins Auge. Sobald die Seegeniederung jedoch überspült wird, beginnt die Wanne zu schwimmen. Sie wird zu einer Insel, auf der ein Ausschnitt der lokalen Landschaft in eine nur aus der Ferne zu beobachtende Laborsituation gerät. Es ist eine schwimmende Versuchsanordnung, ein Hortus conclusus, in dem Natur als menschliche Konstruktion erkennbar wird. Hendrik Håkansson, 1968 in Helsingborg geboren, lebt in Berlin und Galtaback. Håkansson war 1997 auf der Biennale in Venedig zu sehen und hat u.a. 2003 im Bonner Kunstverein und 2004 bei der „Utopia Station“ im Münchener Haus der Kunst ausgestellt. Momentan sind Werke von ihm in der Ausstellung „Say it isn´t so“ in Bremen im Neuen Museum Weserburg vertreten.

Sandra Voets, „Des Grafen Vorratskammer“ Sandra Voets sammelt und „konserviert“ Pflanzen, manchmal auch tote Tiere, und zeigt sie dann in einem hoch stilisierten Kontext. Durch ihre Techniken der Aufreihung, Anrichtung und Deformation stehen ihre Werke in einem starken Kontrast zu den künstlerischen Traditionen der Nachahmung und Idyllisierung von Natur. Im Rahmen der „Feldversuche“ stellt Voets in der Seegeniederung gesammelte Pflanzen in einer kleinen Holzhütte aus. Wer diese Hütte betritt, sieht sich einer Glasscheibe gegenüber, hinter der plötzlich ein Licht angeht. Was man dann sieht, ist eine seltsame Melange aus Boudoir und Innenleben eines Kühlschranks. Die Wände sind rosa gestrichen und an der Decke hängt ein kleiner Kristalllüster. Rundherum stehen Regale aus weiß gummierten Kühlschrankrosten, in denen verschiedene Pflanzen und Tierpräparate liegen. Es scheint, als passe diese Sammlung nicht so recht zum Interieur. Aber vielleicht sind die durch einen dicken Wachsüberzug in eine seltsame Starre versetzten Pflanzen und Tiere, die erst auf den zweiten Blick eine merkwürdige Künstlichkeit ausstrahlen, der eigentliche Anlass für die Gestaltung. Mit dem Bild der gräflichen Vorratskammer versetzt Voets die Natur in einen Dornröschenschlaf, dem man gebannt zusieht. In diesem morbid schönen Zwischenstadium zwischen Konservierung und Erstarrung werden Pflanzen und Tiere über ihre natürliche Schönheit hinaus zu eigenständigen Kunstwerken. Sandra Voets ist 1967 in Bonn geboren und lebt heute in Düsseldorf. Ihre letzten bedeutenden Ausstellungen waren 2006 „Flowers“ im Kunstmuseum Heidenheim, „Jungle Park“ 2005 im Kunstraum München und 2004 „actionbutton“ im Russian Museum, St. Petersburg.

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Feldversuche Phase 3
Neue Skulptur-Projekte
Kunst und Natur in der Seegeniederung
Künstlerische Leitung: Roland Nachtigäller

mit Bob Braine, Mark Dion, Galerie für Landschaftskunst Hamburg, Henrik Håkansson, Sandra Voets