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Der amerikanische Maler Jackson Pollock fällte Ende der 40er Jahre des letzten Jahrhunderts eine simple und zugleich bahnbrechende Entscheidung. Er legte eine Leinwand auf den Boden seines Ateliers und begann sie von oben her mit Farbe zu bearbeiten. Nach vorn übergebeugt und mit ausladend rhythmischen, den ganzen Körper einbeziehenden Bewegungen ließ er verdünnte Acrylfarbe und gewöhnlichen Lack auf die Malfläche fließen und tropfen. Viele zeitgenössische Maler derselben und der darauf folgenden Generation griffen die sprichwörtliche Befreiung der Farbe auf - jedoch nicht um Pollock stilistisch oder intentional nachzueifern, sondern um ganz eigene Wege jenseits einer figurativen, kompositionellen und traditionell gestalterischen Auffassung von Malerei zu entwickeln.

Am Anfang standen die Vorstellung und der Wunsch etwas „unmittelbar“, „intuitiv“, „unverfälscht“ und „spontan“ mit dem sprichwörtlich freien Fluss der Farbe zum Ausdruck zu bringen und mit den Auffassungen der klassischen Moderne zu brechen. Zugleich entstanden aber auch ganz neue Konzepte, die Pollocks Position ergänzten, grundlegend überdachten und revidierten. In der Folge wurden Werke geschaffen, in denen Künstlerinnen und Künstler wie Morris Louis, Sam Francis und Helen Frankenthaler die physikalischen Grundbedingungen des Farbflusses auf verschiedene Weisen thematisierten. Lynda Benglis setzte dem „männlichen“ Gestus des Pollockschen Drippings eine eher voluminöse, „weibliche“ Variante aus farbigem Polyurethanschaum entgegen. Andy Warhol persiflierte gar in seinen „Oxidation Paintings“ Pollocks Bodenmalerei. In Europa ironisierte Sigmar Polke mit seinem „Moderne Kunst“ betitelten Gemälde den abstrakten Expressionismus. Der Berliner Maler K.H. Hödicke hängte einen Teereimer in den Ausstellungsraum und ließ den „Kalten Fluss“ selbsttätig während der Ausstellung den Weg nach unten finden. Und die Amerikaner Larry Poons und Jules Olitski ließen Farbe senkrecht die Leinwände herablaufen, um sich scheinbar als Autoren aus dem Produktionsprozess zu verabschieden.

Dieses breite Spektrum an Farbkonzepten greifen jüngere und jüngste Generationen von Künstlerinnen und Künstlern des 21. Jahrhunderts auf. Was sie interessiert, sind neue auf den ersten Blick antimalerische Vorgehensweisen, die den Fluss der Farbe in bemerkenswerten Aktionen an den Alltag rückbinden. Sie arbeiten zum Teil mit Videoaufzeichnungen und Performances. Tony Tasset spritzt Schokoladensirup in fast pollock'scher Momentaufnahme in die Luft, Olafur Eliasson lässt ein phosphoreszierendes Grün in die Weser fließen, Ceal Floyer lässt die Farbe von Filzstiften selbsttätig in Papier dringen, und Patty Chang setzt sich in Ihrem „Fan Dance“ sogar körperlich der in den Raum geschleuderten Farbe aus. Francis Alÿs lässt eine dünne Spur grüner Farbe während seines Ganges durch Jerusalem wie eine kartografische Grenzziehung auf den Boden fließen und gibt auf diese Weise dem freien Farbfluss eine mehrdeutige politische Komponente. Die Variationsbreite und die Motivationen mit dem Medium und zugleich mit dem Material Farbe umzugehen, scheinen unerschöpflich – und die Gründe, dies ganz bewusst zu tun, erweisen sich als höchst verschieden, ja kontrovers. Besonders die kritischen, treffsicheren, bisweilen ironischen Bezugnahmen der Künstler untereinander ermöglichen das, was wir auf einer höheren Reflexionsstufe „Malerei nach dem Ende der Malerei“ nennen können.

Die Ausstellung „Farbe im Fluss“ hat das Ziel, diese die Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts prägenden Phänomene auf neue Weise zu untersuchen und nachhaltig zur Anschauung zu bringen. Es geht nicht um das Aufzeigen einer geradlinigen Entwicklung, oder einer Richtung, wohin die Malerei als Ganzes gehen könnte. Stattdessen sollen die unterschiedlichen, sich gegenseitig variierenden malerischen Konzepte, nach denen Künstler Farbe fließen lassen, untersucht und einander gegenübergestellt werden.

„Farbe im Fluss“ wird in der Weserburg, Bremens Museum für moderne Kunst erarbeitet und hat den Anspruch, als wissenschaftliche, programmatische und thematische Ausstellung verstanden zu werden. Die Verbindung von Schlüsselwerken von Jackson Pollock, Andy Warhol, Morris Louis, Helen Frankenthaler, Sigmar Polke und anderen mit zeitgenössischen, ganz aktuellen Arbeiten verspricht „Farbe im Fluss“ zu einem Ausstellungsereignis zu machen, das über Bremen hinaus interessierte Besucher auf die Teerhofinsel zieht.

Ein Schwerpunkt wird u.a. darin liegen, dass Künstlerinnen und Künstler einer jüngeren Generation aufgefordert werden, neuere Arbeiten als regelrechtes Farbereignis direkt vor Ort zu entwickeln. Zur Ausstellung erscheint ein wissenschaftlich erarbeiteter Katalog in deutscher und englischer Sprache mit Farbabbildungen und Beschreibungen aller ausgestellten Werke, ergänzt durch mehrere sinnstiftende, das Thema erläuternde und erweiternde Aufsätze.

Zur Feier ihres 20jährigen Bestehens widmet die Weserburg, das „Museum im Fluss“, dem Medium und Material Farbe die Ausstellung „Farbe im Fluss“. In der Schau werden Werke von Klassikern wie Jackson Pollock, Andy Warhol, Morris Louis, Helen Frankenthaler, Sigmar Polke und Gerhard Richter zusammen mit Werken zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler wie Ceal Floyer, Patty Chang, Tony Tasset und John Armleder zu sehen sein. Dabei stellt „Farbe im Fluss“ zwei künstlerische Ansätze im Umgang mit Farbe einander gegenüber: Farbe als expressives Mittel und Medium zum Selbstausdruck einerseits und Farbexperimente als analytische Untersuchungen und Erkenntnisreisen andererseits. Die Ergebnisse reichen von ironisch-provokativ über amüsant und sinnlich bis hin zu explizit politisch. „Besonders die kritischen Bezugnahmen der Künstler untereinander ermöglichen das, was wir ‚Malerei nach dem Ende der Malerei‘ nennen können.“, erläutert Kurator Peter Friese.

Spannend wird es bei „Farbe im Fluss“, wenn bekannte Künstlerinnen und Künstler wie Katharina Grosse, K.H. Hödicke, Peter Zimmermann und andere in der Weserburg eigene Farbereignisse kreieren. In konzeptuellen Entwürfen, in ironischer Fluxusmanier, in Form der Appropriation oder in unmittelbar politischem Kontext lassen sie Farbe tropfen, sprayen oder fließen. So zeigt „Farbe im Fluss“ anschaulich und hautnah, wie die Farbe, vom Pinsel und malerischer Bravour befreit, Seherlebnisse ermöglicht, die Pollock seinerzeit noch, ohne dies zu ahnen, vorbereitete.

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Farbe im Fluss
Ausstellung zum 20jährigen Bestehen der Weserburg
Kurator: Peter Friese

Künstler: Jackson Pollock, Lynda Benglis, Andy Warhol, Arman , Mike Bidlo, Patty Chang, Ceal Floyer, Christian Frosch, Katharina Grosse, Peter Zimmermann, Karl Horst Hödicke, Kristof Kintera, Andreas Paeslack, Bernhard Martin, Gary Kuehn, Kitty Kraus, Gerhard Richter, Rosemarie Trockel, Sarkis , Tony Tasset, André Thomkins, Gavin Turk, Ai Weiwei, Thomas Ruff, Rainer Splitt, Mark Tobey, Va Wölfl, Larry Zox ...