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Derzeit lässt sich in den Medien die Wiederentdeckung der Familie als „Keimzelle der Gesellschaft“ mit unterschiedlichster Ausprägung feststellen. Doch was heißt eigentlich „Familie“ heute, wo das traditionelle Modell der bürgerlichen Kleinfamilie von der so genannten Patchworkfamilie und anderen Lebensgemeinschaften abgelöst wurde? Wie verhält sich der kollektivistische Ansatz einer Familie zu einem ansonsten überwiegend durch Individualismus geprägten Lebensstil? Wie steht ein familiär ausgerichtetes Leben zu neoliberalen Arbeitswelten? Was ist mit der Versorgung im Alter, wenn der Generationsvertrag nicht mehr existiert? Diesen Fragen nach den gewandelten Vorstellungen von Familie wird anhand fünf künstlerischer Positionen in der Ausstellung Familienangelegenheiten nachgegangen. Katharina Mayer arrangiert in ihren großformatigen Farbfotografien Familienmitglieder in zum Teil absurden Posen zueinander und nimmt damit auch eine Setzung vor. Der Familienbegriff ist bei ihr aufgeweicht und schließt auch Lebensmodell jenseits der heterosexuellen Kleinfamilie mit ein. Diese Auseinadersetzung und gleichgeschlechtlichen Familienmodellen findet sich auch in der Arbeit der finnischen Künstlerin Gun Holmström. In ihrem Video interviewt sie eine Leihmutter, die für ein befreundetes schwules Paar ein Kind austrägt. Der estnische Künstler Marko Mäetamm beschreibt in seiner textbasierten Videoarbeit die Situation, in der er sich als Künstler und Familienvater befindet. Materielle Zwänge, um den Lebensunterhalt für seine Familie zu sichern, lassen kaum Zeit für seine eigene künstlerische Arbeit. Dieses Dilemma schlägt sich in seinen Arbeiten in zu zum Teil kafkaesken Szenarien nieder. Bei allem Streben nach individueller Lebensführung und Selbstverwirklichung bleibt die Sehnsucht nach Familie ungebrochen. Dieses Phänomen greift Gudrun F. Widlok auf. 2001 hat sie die fiktive Agentur „Adopted“ gegründet. Aufgabe der Agentur ist es, Europäer, die an familiärer Bindungslosigkeit leiden, an Großfamilien in Afrika zu vermitteln. Das ehemals rein fiktive Kunstprojekt hat mittlerweile konkrete Züge angenommen. Von den 130 Bewerbern haben über 35 Kontakt zu ihren Eltern aufgenommen und wollen diese auch besuchen. Die Frage, wie Senioren auf die Auflösung des Generationsvertrages reagieren, beantwortet Henrik Schrat ironisch gebrochen in der Arbeit „Pension Fighters“. Seine lebensgroßen Figurinen aus Sperrholz, die wie überdimensionale Scherenschnitte wirken, zeigen Senioren in normalen Situationen: mit der Einkaufstasche, im Rollstuhl oder aufgestützt auf einen Gehstock. Irritierend ist, dass alle Figuren beiläufig großen Waffen mit sich tragen, die man aus Egoshooter Computerspielen oder Actionfilmen kennt. Der normale Alltag wird zum Überlebenskampf, so wird suggeriert. Ein comichaft überzogenes Szenario vor dem ernstzunehmenden Hintergrund zunehmender Altersarmut und häuslicher Gewalt gegen Alte.

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Familienangelegenheiten
Kurator: Elke Falat

Künstler: Gun Holmström, Katharina Mayer, Marko Mäetamm, Henrik Schrat, Gudrun F. Widlok