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Die Expressionisten-Sammlung des Malers und Romanautors (Das Boot, Die Festung) Lothar-Günther Buchheim wird im Haus der Kunst erstmals in ihrer ganzen Fülle ausgebreitet. Den Grundstock seiner Sammlung hat er in den 50er Jahren gelegt. Zahlreiche Gemälde und graphische Blätter benötigte Buchheim als Abbildungsvorlagen für seine fundierten Publikationen über die Künstlergemeinschaft "Brücke" (1956), "Die Graphik des deutschen Expressionismus" (1959), "Max Beckmann" (1959), "Otto Mueller" (1963) u.a., die im 1951 gegründeten Buchheim Verlag erschienen sind. Mit seinen Publikationen wollte der Autor und Verleger dem Expressionismus nach seiner Diffamierung durch die Nationalsozialisten die Anerkennung als eigenständiger Beitrag zur Kunst der Moderne und einem der Höhepunkte deutscher Kunst sichern.

In den 50er Jahren nahm Buchheim als Sammler expressionistischer Gemälde und Graphiken eine Außenseiterposition ein. In diesem Jahrzehnt dominierte die Abstraktion, vertreten durch Kandinsky und Klee als beliebteste Künstler im Nachkriegsdeutschland, sowie durch die Maler der École de Paris, des Informel und des abstrakten Expressionismus der "New York School" die avantgardistisch gesinnte Kunstszene.

1956 schrieb Buchheim im Vorwort des "Brücke"- Buches: "Für immer wird der von den nationalsozialistischen Kunstdiktatoren erfundene Begriff "Entartete Kunst" mit dem Expressionismus verbunden bleiben. So wurde 1933 die organische Entwicklung des Expressionismus, sein natürliches Ausschwingen, sein Mitgehen in neuen Strömungen der Kunst verhindert. Auch der Prozeß der Aneignung wurde durch das barbarische Verdikt der zur Macht Gelangten abrupt unterbrochen. Zu welch tragischem Ergebnis das führte, zeigt sich eben in unseren Tagen: Der Expressionismus ist geistig nicht bewältigt. Im Bewußtsein der jüngeren Generation gibt es keine Kontinuität der Entwicklung mehr. In gewisser Hinsicht steht diese Generation vor den Zeugnissen expressionistischer Kunst wie ehedem ihre Väter und Großväter: erschreckt, eher zur Ablehnung aufgerufen als zur Teilhabe. Die Aufnahmebereitschaft muß erst wieder geweckt, das Verständnis erst wieder geschaffen werden..."

Die Sammlung Buchheim ist die eines Malers. Schon als Kind hatte Buchheim gelernt, mit den Augen des Künstlers zu sehen. Gemeinsam malte er mit der Mutter, der Malerin Charlotte Buchheim; Museumsbesuche und Gespräche über Kunst gehörten zum Alltag des Jungen. Bereits mit 12 Jahren schnitt er seine Bildvorstellungen in Linoleum und Holz, einige konnte er in Zeitschriften unterbringen. Eine erste Einzelausstellung seiner eigenen Gemälde fand 1935 statt. Als Gymnasiast und später als Kriegsberichter bei der Marine zeichnete und malte er auch während des Krieges. Nach 1945 tritt jedoch der Maler Buchheim hinter den Verleger und Schriftsteller zurück.

Im Zentrum der Aussstellung stehen die Graphiken und Gemälde von Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel, Karl Schmidt-Rottluff und Max Pechstein, die zusammen die Künstlergruppe der Brücke bildeten. Mit ebenso umfangreichen Werkkomplexen von vergleichbarer Qualität werden Emil Nolde und Otto Mueller präsentiert, die nur kurze Zeit der 1905 in Dresden gegründeten Künstlergemeinschaft angehörten. Die besondere Beachtung, die von den Expressionisten dem künstlerischen Arbeiten auf Papier geschenkt wurde, spiegelt sich auch in der Auswahl der Sammlung und Ausstellung wider. Das Zeichnen und Aquarellieren, aber auch der von den Expressionisten wiederentdeckte Holzschnitt erlaubten diesen Erneuerern der künstlerischen Formensprache ein hohes Maß an Spontaneität im Schaffensprozeß, die auch der Ausdruckskraft der Papierarbeiten zugute kommt. An Umfang und Qualität ist der Rang expressionistischer Graphik nur mit den Holzschnitten und Kupferstichen der Dürerzeit vergleichbar.

Die Werke von Ernst Ludwig Kirchner, der zentralen Figur mit der strahlungskräftigsten künstlerischen Potenz innerhalb der Gruppe, bilden einen Kern der Sammlung. Aus allen Schaffensphasen des Künstlers, der in Dresden, Berlin und Davos arbeitete und lebte, werden Gemälde und Aquarelle, Kreidezeichnungen und Holzschnitte, Lithographien und Radierungen gezeigt. Höhepunkte der Sammlung sind: Der Akt auf blauem Grund von 1911 aus der Dresdner Zeit, die Badenden am Strand von Fehmarn (1913), das bei einem gemeinsamen Sommeraufenthalt mit den Künstlerfreunden und -freundinnen auf der Insel entstand, sowie die Berglandschaft von 1920. Diese größte unter Kirchners Alpenlandschaften wurde von einem Davoser Chor bei Kirchner als Bühnenbild in Auftrag gegeben. Ebenso bedeutend wie die Gemälde ist der große Sammlungskomplex von Zeichnungen und Aquarellen, in denen sich in besonders augenfälliger Weise die "Ekstase des Sehens" niederschlägt.

Die von Erich Heckel ausgestellten Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen und Druckgraphiken zeigen eine hervorragende Auswahl aus seinen fruchtbarsten Schaffensjahren zwischen 1905 und 1920. Heckel war das ausgleichende und bindende Element der Brücke und zugleich der praktische Organisator. "Wir strebten nach einem bildhaften Sehen im Gegensatz zu den Impressionisten, welche Ausschnitte oder Motive malten" - so charakterisiert Heckel das gemeinsame Anliegen der Künstlergruppe. Die reiche Auswahl an Aquarellen und Holzschnitten dokumentiert die Entwicklung des Künstlers von seinen Anfängen bis in die Nachkriegsjahre. Heckels Bild Der schlafende Pechstein, während eines Sommeraufenthaltes in Dangast 1910 entstanden, gehört sicher zu den bekanntesten Werken des Malers. Buchheim entdeckte das Gemälde, das nur noch durch einen Holzschnitt bekannt war, unter einer Übermalung aus den 20er Jahren, als er bei einer Auktion auf das Bild stieß.

Die ausgestellten Gemälde, Aquarelle, Lithographien und Holzschnitte von Karl Schmidt-Rottluff sind ebenfalls im Zeitraum von 1905 bis 1920 entstanden. Sie zeigen den Maler auf dem Höhepunkt seines künstlerischen Schaffens. Mit der auf einer Reise im Jahre 1911 entstandenen Norwegischen Landschaft (Skrygedal) gelingt dem Künstler eine außerordentliche Steigerung farbiger Ausdruckskraft. Karl Schmidt-Rottluffs bedeutender Beitrag zum expressionistischen Holzschnitt wird mit einer großen Gruppe wichtiger Arbeiten dieser Technik belegt.

Unbeeindruckt von den anderen Expessionisten, die einen neuen Weg für ihre Malerei über die Intensivierung des Ausdrucksgehaltes der Farbe suchten, blieb Otto Mueller, der seit 1910 Mitglied der Brücke war. Seine Sehnsucht galt dem ursprünglichen Leben in der Natur, die er vor allem in seinen elegischen, mit gedämpften Farben gemalten Zigeunergestalten zu entdecken hoffte. Neben Gemälden, wie z.B. Drei Akte im Spiegel von 1912, gehören zu Buchheims Sammlung vor allem farbige Kreidezeichnungen und Lithographien, darunter Die Zigeuner-Mappe von 1927 mit neun großformatigen, bildhaften Farblithographien.

Max Pechstein und Emil Nolde sind ebenfalls mit reichen Werkgruppen vertreten. Nolde gewinnt der Aquarell-Technik eine glühende Farbenpracht ab. Markante Beispiele dieser Kunst des Aquarellierens hält die Sammlung bereit. Die Ausstellung räumt auch denjenigen Künstlern einen wichtigen Platz ein, die den Weg zur Brücke geebnet haben und über sie hinausführen. In dem Kapitel Am Vorabend der Revolte - Die Sezession werden unter anderem Gemälde und Aquarelle von Lovis Corinth gezeigt. Das 1914 entstandene Bild Der tanzende Derwisch steigert den impressionistischen Duktus zur expressiven Malgeste. Eine eigene Gruppe bilden die Werke großer Einzelgänger wie Max Beckmann, Lyonel Feininger, Oskar Kokoschka, Christian Rohlfs u.a.

Die zweite künstlerische Erneuerungsbewegung, die zur Zeit des Expressionismus in Deutschland entstand, ist die Künstlervereinigung Der Blaue Reiter. Sie wird durch einige Arbeiten von Marc, Macke und Campendonk repräsentiert. Jawlensky, Mitglied der Neuen Künstlervereinigung München, malte 1912 den Kopf in Blau - ein frühes Beispiel für das Thema, das Jawlensky zeitlebens beschäftigt hat: das Anlitz des Menschen.

Seit den 50er Jahren legte Buchheim besonderes Augenmerk auf die Weggenossen der Brücke und die zweite Generation der Expressionisten. Der Autor und Sammler wollte den Expressionismus als eine breite Bewegung verstanden wissen, die nicht mit der Auflösung der Brücke im Jahre 1913 beendet ist. Dieser Auffassung gemäß nehmen auch Werke von Künstlern, die mit dem Expressionismus nur zeitweilig in Berührung gekommen sind oder ihm eine ganz eigene Gestalt verliehen haben, einen breiten Raum in der Sammlung ein. Neben Werken von Max Kaus, Anton Kerschbaumer und Otto Herbig - die Künstler trafen mit Heckel im Ersten Weltkrieg zusammen - zeigt die Ausstellung auch Arbeiten von Konrad Felixmüller, Bernhard Kretzschmar, Otto Lange, Wilhelm Rudolf, sowie Gemälde und Graphiken des Kokoschka-Schülers Friedrich Karl Gotsch und der ungarischen Künstler Béla Czobel und Béla Kadar, die zum Umkreis der expressionistischen Zeitschrift Sturm gehörten.

Dem weiteren Umkreis des Expressionismus können auch die früheren Arbeiten von George Grosz und Otto Dix zugerechnet werden, die mit Zeichnungen, Aquarellen und Druckgraphiken (darunter die 50 Blätter der Mappe Der Krieg von Otto Dix, 1924) in der Ausstellung vertreten sind.

So stellt die Ausstellung den deutschen Expressionismus in seiner Breite und Vielfalt vor und hält einige der schönsten und wichtigsten Werke dieser Kunstbewegung für den Besucher bereit. Die im Haus der Kunst gezeigte Schau ist als ein Präludium für die permanente Ausstellung der Sammlung konzipiert, die künftig in Bernried ihren festen Ort finden wird und ist damit eine als Vorschau auf den kunsthistorisch bedeutsamsten Bestand in Lothar-Günther Buchheims künftigem "Museum der Phantasie" zu verstehen.

Katalog: Buchheim Verlag, 464 Seiten, mit ca. 50 farbigen und 160 schwarzweißen Abbildungen, mit Texten von Lothar-Günther Buchheim, Hans Krieger, Ellen Maurer, Carla Schulz-Hoffmann und Clelia Segieth.

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Expressionisten
Sammlung Buchheim
Kurator: Christoph Vitali

Künstler: Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel, Karl Schmidt-Rottluff, Otto Mueller, Max Pechstein, Emil Nolde, Lovis Corinth, Max Beckmann, Lyonel Feininger, Oskar Kokoschka, Christian Rohlfs, Franz Marc, August Macke, Heinrich Campendonk, Alexej von Jawlensky, Max Kaus, Anton Kerschbaumer, Otto Herbig, Conrad Felixmüller, Bernhard Kretzschmar, Otto Lange, Wilhelm Rudolf, Friedrich Karl Gotsch, Bela Czobel, Bela Kadar, George Grosz, Otto Dix ...