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Eva Schlegel Eva Schlegel, deren Werk fotografische, objekthafte als auch installative Arbeiten umfasst, verhandelt das Zusammenspiel von Wahrnehmung und Objekt sowie die Widersprüchlichkeiten und Risse, die sich immer wieder zwischen beiden auftun. In vielen ihrer Arbeiten verfolgt sie dabei eine Bedeutungsbildung, die das Potenzial der Assoziation bewusst mobilisiert und als Reflexionsraum auslotet. In der Auseinandersetzung mit dem Verstecken und Verbergen, Offenbaren und Entdecken untersucht sie bildimmanente Strukturen des Begehrens und der Lesbarkeit. Für ihre Ausstellung in der Secession entwickelt Eva Schlegel eine ortspezifische Installation, die von den Parametern der Architektur ausgeht, um dieselben neu zu interpretieren.

Zentrale Elemente der raumgreifenden Installation Eva Schlegels für den Hauptraum der Secession sind die Verkleidung der Wände mit Blei und große auf dem Fußboden montierte Spiegelflächen. Die hermetische Abdichtung der Seitenwände durch das Schwermetall und die Reflektionen der lichtdurchfluteten Decke in den Spiegelflächen auf dem Fußboden erzeugen eine architektonische Umdeutung des Ausstellungsraumes: Die Öffnungen oben und unten betonen seine vertikale Achse. Zugleich verursachen die Spiegel, indem sie virtuelle Löcher reißen und den Boden unter den Füßen entziehen, eine Verkehrung von Unten und Oben.

as Blei wird von Eva Schlegel als ausdruckstarker Akteur eingesetzt. Seine unumgängliche Präsenz im Ausstellungsraum beruht einerseits auf der verführerisch schillernden Oberfläche des weichen, silbergrauen Metalls, das sich an der Luft mit einer stumpfen, blaugrauen Oxidschicht überzieht, andererseits auf den vielfachen, metaphorischen und konkreten Bedeutungen des Materials. Blei gilt seit jeher als Synonym lähmender Schwere und eingefrorener Zeit. In der Mythologie wird es dem Planeten Saturn, dem Zeitgott Chronos und den Topoi der Melancholie zugeordnet; es steht auf der niedersten Stufe der Metallhierachie. Die industrielle Verwendung des Schwermetalls als Energiespeicher und Schutzbehälter für aggressive Säuren und Munition, sowie sein Einsatz im Strahlenschutz und Reaktorbau ergänzen die tradierten Bedeutungen um zusätzliche brisante Konnotationen. Eva Schlegel referiert auf diese undurchdringlichen, isolierenden Eigenschaften des Bleis, kontrastiert die Düsternis der Um- bzw. Einmantelung des Raumes jedoch zugleich mit der hellen Schwerelosigkeit der Spiegelflächen und der Glasdecke.

Mit ihrer Installation für die Secession knüpft Eva Schlegel auf verschiedenen Ebenen an frühere Arbeiten an. So sind beispielsweise die Veränderung der Lichtführung ebenso wie das Spiel mit Transparenz und Undurchsichtigkeit zentrale Aspekte, die bereits in ihren Installationen für die Galerie im Taxispalais Innsbruck (2000) und den österreichischen Pavillon der Venedig Biennale (1995) ein wichtige Rolle spielten und in der Arbeit für die Secession konsequent weiterentwickelt werden.

Parallel dazu erfährt die Unschärfe als ein wiederkehrendes gestalterisches Moment ihrer Fotografien eine Neuinterpretation. An der Schwelle zwischen Wiedererkennen und Verblassen, Identifizierbarkeit und Anonymisierung, Informationsverlust und -gewinn loten ihre Bilder die Lesbarkeit der Motive ebenso wie die Regeln von Wahrnehmung aus. Die Art und Weise wie die Installation die BesucherInnen in zahlreichen Spiegelungen, Verdoppelungen und Schatten ins Bild setzt und so die Wahrnehmung der Person im Raum verschiebt, ist den unscharfen Konturen der Personen in den Bildräumen ihrer Fotos vergleichbar. Im Spiel mit den Eigenschaften und Bedeutungen der Materialien schafft Eva Schlegel so einen assoziativen Raum, der die Aufmerksamkeit auf die Modi des Sehens selbst lenkt.

Eva Schlegel, geboren 1960 in Hall / Tirol, lebt und arbeitet in Wien. Ausstellungen (Auswahl): 2004 Paulas home, Lentos Kunstmuseum Linz; Galerie Krinzinger (mit Annelies Strba), Wien; Permanent 04, Museum Sammlung Essl, Klosterneuburg; Vision einer Sammlung, Museum der Moderne Salzburg; 2003 Galerie Cora Hölzl, Düsseldorf; Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Innsbruck; 2002 Arbeiten 1991 – 2000, Museum für Lackkunst, Münster; 2001 Museum für Bildende Künste Budapest; Shoes or no shoes, Het Nieuwe Museum voor schone Kunsten, Gent; Shanghai Art Museum; 2000 Galerie im Taxispalais, Innsbruck; 1998 Ballustrade 3, Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Innsbruck (mit Hans Weigand)

Der Katalog zur Ausstellung umfasst fotografische, die Installation darstellende Beiträge von Matthias Herrmann, Walter Niedermayr, Elfie Semotan, Eva Schlegel und Margherita Spiluttini; einen Text von Jutta Koether und ein Interview von Maren Lübbke-Tidow mit Eva Schlegel.

Kirsten Pieroth Kirsten Pieroth bedient sich alltäglicher Gegenstände, Situationen oder Abläufe, löst diese aus ihrer ursprünglichen Umgebung heraus und setzt sie in andere Zusammenhänge. Dieser Transfer führt zu einer Irritation in der Deutung der Wahrnehmung: die einzelnen Dinge, die wir in der Regel aufgrund ihrer Form, Funktion oder ihres Gebrauchs identifizieren, bieten uns nicht mehr die ihnen zugesprochene, die gewohnte, Perspektive an, sondern multiplizierte Lesarten, ihnen fremde Verweissysteme und widersinnige Sinnverknüpfungen.

Die Ausstellung in der Galerie der Secession bietet erstmalig einen umfassenden Überblick über die Arbeiten der letzten Jahre. Anwesenheit und Abwesenheit, gedankliche und physische Distanzen, die Verbindung zwischen Orten und die Spannung zwischen einer buchstäblichen und abstrakten Zeichenhaftigkeit der Sprache bilden thematische Felder innerhalb der gezeigten Werke. Für Short Story (2004) erwarb Kirsten Pieroth beispielsweise eine von Mark Twain signierte Widmung: das Dokument mit den Worten Truly Yours, Mark Twain verwendete die Künstlerin als Fahrschein für eine Kurzstrecke, entwertet durch einen Berliner Fahrkartenautomaten, wie der S-Bahnstempel auf dem Schriftstück belegt. Durch die Juxtaposition zweier konträrer Assoziationsfelder – „Kurzstrecke“ und „Kurzgeschichte“ – durchkreuzen sich divergierende Raum-Zeit-Logiken.

Die Umkehrung eines Hergangs und die Spannung zwischen einer Begebenheit, deren Darstellung und Bezeichnung waren Ausgangspunkt für Mein Flug über den Ozean (2002). Da die Künstlerin nicht persönlich zu einer Ausstellung nach New York reisen konnte, entschied sie sich, die Abwesenheit zum Gegenstand ihrer Ausstellungsbeteiligung zu machen. Mein Flug über den Ozean ist der Titel der deutschen Erstausgabe des Buches von Charles Lindbergh, das von seinem legendären Alleinflug über den Atlantik im Jahr 1927 handelt. Kirsten Pieroth schickte das Buch, verschnürt mit einer Kordel und frankiert mit Briefmarken, per Luftpost den umgekehrten Weg über den Atlantik in die Galerie. Dort ausgestellt erhält nicht nur die Titelgeschichte eine neue Drehung sondern auch der für die zeitgenössische Kunst prägende Begriff der „Ortsspezifität“.

Auch Indonesien (2002), eine Karte, die die „größten Inseln Indonesiens in alphabetischer Reihenfolge“ zeigt, disloziert erlernte Konventionen, indem sie die orientierungsgebende Logik geografischer Landkarten durch eine Anordnung ersetzt, die eine lineare Abfolge von Wegstrecken vorgibt.

Kirsten Pieroth, geboren 1970 in Offenbach/ Main, lebt und arbeitet in Berlin

Einzelausstellungen (Auswahl): 2005 ... kommen Sie doch, kommen Sie. Treten Sie mit mir in dieses Zimmer, Marie! (mit Henrik Olesen), Cubitt, London; 2004 Contemporary Art Gallery, Vancouver; 2003 From the Laboratory of Thomas A. Edison, Portikus, Frankfurt/Main; I regret that a previous engagement prevents me from accepting your kind invitation to dinner at your home, on Thursday evening, September seventeenth, Galerie Klosterfelde, Berlin; 2002 Mellemdækket Projektrum, Charlottenborg Udstillingsbygning, Kopenhagen; There are two temperatures: one outside, one inside, Kirsten Pieroth/Henrik Olesen, Galleria Franco Noero, Turin

Gruppenausstellungen (Auswahl): 2005 The Need to Document, Kunsthaus Baselland, Basel; 2004 Drafting Deceit, Apexart, New York; Gelegenheit und Reue, Grazer Kunstverein, Graz; Never Never Landscape, c/o Atle Gerhardsen, Berlin; Manifesta 5, Donostia / San Sebastian; Socle du Monde Biennale, Kunstmuseum Herning; 2003 Adorno, Kunstverein Frankfurt/Main; GNS - Global Navigation System, Palais de Tokyo, Paris

Bik van der Pol Liesbeth Bik und Jos van der Pol arbeiten seit 1995 unter dem Namen Bik Van der Pol zusammen. In ihren kollaborativen Projekten intensivieren sie die Zirkulation von Wissen: die Reaktivierung von Geschichte und Erinnerung wird zur Basis eines assoziativen Dialogs über die Aussagekraft von Information.

Seit einiger Zeit recherchieren Bik Van der Pol Situationen, in denen das Bekenntnis zu einer spezifischen Zeitlichkeit in der künstlerischen Produktion zu radikalen Entscheidungen innerhalb einer kulturellen/künstlerischen Praxis führt, zu Brüchen und Richtungswechseln; Situationen, die in ihrer Unbedingtheit auch die Frage aufwerfen, inwieweit sie den Verlauf der (Kunst-)Geschichte beeinflussen.

Past Imperfect, so der Titel des aktuellen Projekts, umfasst eine Serie von Ausstellungen und begleitenden Zeitschriften, die 2005 im Witte de With (Rotterdam), bei Casco (Utrecht) und in der Secession gezeigt werden. Bereits 2001 gaben die performativen Arbeiten der us-amerikanischen Konzeptkünstlerin Lee Lozano den Anstoß, Beispiele radikaler Gesten (Äußerungen, Ereignisse oder Taten) zu sammeln. Die künstlerische Übersetzung dieser fortlaufenden Recherche – in Zeichnungen, Videos und Installationen – fragt u.a., auf welche Weise Radikalität in der Geschichte überlebt, ob ihr per se eine Zeitlichkeit anhaftet, oder wie sie als Ware in aktuelle Interessen integriert wird.

Für Past Imperfect entwickelten Bik van der Pol ein Format, das über die Person Lee Lozano hinausgeht, denn Faszinosum war weniger sie als Person, sondern die Aspekte, die sie durch ihr Werk verkörperte: Kontrolle, Zerstörung, Verschwinden. Dieses Interesse führte zu einer abstrakteren Untersuchung des Erlebens von Wissen, und wie politische oder individuelle Radikalität Öffentlichkeit beeinflusst oder gar formt. Neben „Fällen“ aus dem Kunstfeld – wie Bas Jan Ader, Lee Lozano etc., die sich aus unterschiedlichen Gründen aus der Kunstwelt verabschiedet haben – beziehen Bik Van der Pol aber auch Momente aus der Filmgeschichte, z. B. die 10stündige Originalversion Greed von Erich von Strohheim, und Fälle aus der Politik, der Literatur, dem Geheimdienst, aus der Wissenschaft oder dem alltäglichen Leben in ihre Recherchen ein.

In der Secession lenken Liesbeth Bik und Jos van der Pol den Blick u. a. auf die Trinity Site in New Mexico, jenes Stück Land, das in der öffentlichen Aufmerksamkeit vom geheimen Atombombentestgebiet zur Touristenattraktion wechselte. Die erste Nuklearsprengung fand nicht in Japan, sondern in New Mexico statt – an einem Ort, der heute Trinity genannt wird und der nicht permanent öffentlich zugänglich ist. Zweimal pro Jahr aber wird Publikum Zugang gewährt. Trinity ist ein Ort, dessen Ereignisse und Folgen in den 50er und 60er Jahren von der allgemeinen Öffentlichkeit ferngehalten bzw. nicht im Ausmaß ihrer Radikalität wahrgenommen wurden.

Die plötzliche Wiederaufnahme der öffentlichen Debatte über mögliche Verwendungszwecke von Nuklearenergie und das Phänomen ihrer medialen Nichtpräsenz während der letzten 10 bis 15 Jahre gaben den Anstoß, die Trinity Site zu besuchen und vor Ort Material für einen Film zu sammeln, der erstmals in der Secession gezeigt wird.

Für die Secession erscheint die 2. Ausgabe der Zeitschrift Past Imperfect als Katalog zur Ausstellung.

Bik Van der Pol (Liesbeth Bik und Jos van der Pol) leben und arbeiten in Rotterdam. Einzelausstellungen (Auswahl): 2005 Exposorium, Free University, Amsterdam; 2004 Mobile Home, Virtueel Museum, Amsterdam; 2003 Past Imperfect (werktitel), Casco projects, Utrecht; Nomads in Residence, Leidsche Rijn, Utrecht (mit Korteknie und Stuhlmacher Architekten); Sleep With Me, Rooseum Universal Studios Part 1, Rooseum, Malmö, 2002 Married by Powers, a selection from the collection Frac Nord-Pas de Calais by Bik Van der Pol, TENT., Rotterdam 2001 Insert, BüroFriedrich, Berlin (mit Arbeiten von Lee Lozano) Gruppenausstellungen (Auswahl): 2005 Life, once more, Forms of Reenactment in Contemporary Art, Witte de With, Rotterdam 2004 Teasing Minds, a project for SMS (School of Missing Studies), Kunstverein München (mit Stealth Group); 2003 Moskva Ter (Gravitation), Ludwig Museum, Budapest

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Eva Schlegel, Kirsten Pieroth, Bik van der Pol