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Kaum eine andere Künstlerin hat so unterschiedliche Strategien entwickelt, um Erinne-rung und Zeit sichtbar zu machen und in die Form von Erzählungen zu bringen, wie die in Vil-nius geborene, in Israel aufgewachsene und seit 1984 in Paris lebende Künstlerin Esther Shalev-Gerz. Mit den verschiedenen Arbeiten ihres Zyklus Der letz-te Klick widmet sich die Künstlerin nun einem alt gedienten Instrument in unserer Konstrukti-on von Erinnerung und in der Verbildlichung von Zeit, dem fotografischen Apparat am Ende seines analo-gen Zeitalters.

Im Anschluss an ihre große Werkschau im Pariser Ausstellungshaus Jeu de Paume luden wir Esther Shalev-Gerz ein, ein Projekt für unser Museum zu entwickeln. Während ihres Besuchs vor Ort erfuhr sie, dass die berühmten Rollei-Kameras in Braunschweig produziert worden sind. Eine andere Inspiration war für sie die Schilderung, dass viele Leute dem Museum ihre alten analogen Fotoapparate oder die ihrer Verwandten anbieten, da sie sie nicht einfach wegwerfen wollen.

Die Idee ihres Projekts bestand darin, diese bei-den Situationen zusammen zu bringen und sie in un-terschiedlichen Formen zu beschreiben: zunächst lud sie per öffentlichen Aufruf in der Zeitung die Menschen, die ihre Kamera ab-geben wollten, ein die Geschichte ihrer Kamera und ihre Überlegungen für ein letztes Bild, einen letzten Klick dieses Apparats mit ihr zu teilen. Doch gibt es ein letztes Bild? Was ist ein letztes Bild? Ein existierendes Bild, das für eine Zeit oder eine Erfahrung steht, oder sind es die Bilder, die nie gemacht worden sind?

26 Personen folgten dieser Einladung, mit ihren Apparaten und ihren Geschichten. Aus den einzelnen Auftritten der Teilnehmer hat Esther Shalev-Gerz eine fotografische Porträtserie erstellt und ein 26-minütiges Video geschnitten, das von der Bedeutung der Fotografie als kulturelles und familiäres Gedächtnis handelt. Die Künstlerin inszeniert auf klei-ner Bühne das, wofür dieser Abschied von den Apparaten in einem grö-ßeren Kontext steht: für das Ende einer bestimmten bürgerlichen Kultur der Fotografie.

Für ihre umfangreiche Darstellung der Braunschweiger Rollei-Werke, den zweiten Teil ihres Projekts, entwickelte die Künstlerin eine eigenwillige Form der Dokumentation: Inspiriert von Dziga Vertovs berühmten Film Der Mann mit der Kamera lässt sie eine Kamera als personifizierte Figur auf einem Stativ durch die ehemaligen Werkhallen staksen, als eine weitere Zeugin der dortigen Leere. Abgesehen von einem kleinen, engagierten Unternehmen, das noch zwei Rolleimodelle für Liebhaber in Manufaktur fertigt, scheint der letzte Klick auf ökonomischer Ebene bereits stattgefunden zu haben. Angeordnet in Sequenzen erscheinen Shalev-Gerz' Fotografien wie Stills aus einem Film. Als komplexe Installation im Raum rekonstituieren sie einen Ort und eine Suche.

"Das Auslösegeräusch eines fotografischen Apparates, dieser vertraute Klick besiegelte einst den Akt, ein Foto aufgenommen zu haben. Mit der Entwicklung der digitalen Kameras wurde dieses Klicken nun optional, eine Einstellung, die man wählen kann. Für mich war dieses kurze Geräusch, das sich so nah an meinem Gesicht ereignete, immer ein dramatischer und signifikanter Moment." (Esther Shalev-Gerz)

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Esther Shalev-Gerz
Der letzte Klick