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Eine Klasse in einer Kunstakademie muss man sich als ein Labor vorstellen, in dem es die unterschiedlichsten künstlerischen Auffassungen gibt. Die Studierenden der Stuttgarter Akademie sind vom 3. bis zum 10. Semester in der Fachklasse, Aufbaustudenten können nach zehn Semestern nach einer erneuten Prüfung zusätzlich zwei Jahre studieren. Genau genommen wird die Ausstellung also teils von Studierenden bestritten, die noch ziemlich am Anfang ihrer Ausbildung stehen, teils von denjenigen, die schon einige Jahre arbeiten. Die Kunstakademien, die sich trotz heftiger Angriffe in den letzten Jahrzehnten und gerade in neuester Zeit ihren Freiraum weitgehend bewahren konnten, sind unter heutigen gesellschaftlichen Verhältnissen betrachtet, beneidenswert. Sie sind jedoch, vor allem in letzter Zeit, auch stark gefährdet.

Zu den Gefährdungen gehören die Versuche, die Kunstausbildung zu verschulen, Werkstätten sowie Lehrstühle mit langer und bedeutender Tradition einzusparen und andere so genannte Reformen durchzusetzen, die wie es scheint nur das Ziel haben, alles zu überprüfen, einschließlich der geistigen Inhalte, tatsächlich aber die Qualitäten der Akademie minimieren.

Man muß sich doch fragen: Ist es sinnvoll ein Punktesystem für Innovation und experimentelle Arbeit einzuführen, wie es in den USA herrscht? Ist für künstlerisches Arbeiten überhaupt ein zeitliches Limit machbar? Muß man trotz der Verschiedenheit der Systeme alles nachmachen und z.B. einen Masters - Studiengang begründen, wo innerhalb eines Moduls ein bestimmtes Teil-Studienziel erreicht werden muß? Diese Verhältnisse sind zum Glück noch nicht Realität geworden, und so komme ich auf die Akademie zurück, die ich als beneidenswert bezeichnet habe. Die Studierenden können frei entscheiden, mit welchen Medien sie arbeiten wollen. Unterstützt werden sie dabei durch eine ständige Diskussion ihrer praktischen Arbeit. Auch über kunsthistorische und -theoretische Themen findet in dem Kontext ein Austausch statt durch den die Studierenden sich gegenseitig anregen. In meiner Klasse für Malerei wird hauptsächlich gemalt, es wird und wurde aber auch in den Bereichen Film, Fotografie, Skulptur gearbeitet. Entscheidet man sich für ein bestimmtes Medium, so kann man die Arbeit nicht zeitlich beschränken. Nicht nur die Malerei erfordert viel Zeit, man kann auch nicht in zwei Semestern „Fotografie lernen“. Studenten aus dem Ausland, wo Bachelor- Masters- Studiengänge eingeführt wurden – haben meistens große Probleme damit, ohne Anleitung zu arbeiten.

Je nach Konstellation der Studierenden habe ich mit der Klasse unterschiedliche Projekte realisiert, parallel zur jeweils eigenen Arbeit. Ich erwähne ein sehr spannendes Gemeinschaftsprojekt, das wir vor genau einem Jahr realisiert haben.

Aufgrund der Tatsache, dass in dieser Klasse mehrere Studenten aus anderen Kulturkreisen zusammen gekommen sind, haben wir uns mit Autoren des jeweils anderen Kulturkreises beschäftigt, um den Diskurs untereinander anzuregen und einen Einstieg in die jeweils andere Kultur zu finden. D.h. Chinesen, Türken, Koreaner, Polen, Russen haben deutsche Autoren gelesen, die deutschen einen Schriftsteller aus einem jeweils anderen Land. Dazu kam, dass von den deutschen Studenten einige als Austauschstudenten in Mailand, Madrid, Quingdao (China) waren und eine polnische Studentin aus Warschau an unserer Akademie. Es gab einen Austausch über den jeweiligen „Kulturschock“. Währenddessen entstanden sehr interessante Arbeiten, die wir an einem öffentlichen Ort präsentieren wollten. Wir erhielten die Möglichkeit, die Ausstellung in der Stadtbücherei zu machen, es wurden sogar Interviews mit chinesischen Germanistikstudenten direkt aus China übermittelt. Durch die Möglichkeit, die Arbeit in der Klasse frei zu gestalten, können wir eine solche Arbeit realisieren. In diesem Semester ist eine sehr schöne Grafikmappe entstanden. Siebzehn Studenten haben sich beteiligt, eine Grafik stammt von mir. Mit dieser Mappe möchten wir eine Chinareise realisieren. Wir bieten sie deshalb sehr günstig an, um den Kaufanreiz zu verstärken.

Einige Sätze zu den ausgestellten Arbeiten

Die Künstler, die in dieser Ausstellung vertreten sind, arbeiten alle figurativ. Das Gesamtbild der Ausstellung ist komplex. Während Ilker Basirli mit einfachen Formen und großen Flächen arbeitet, die durch den Farbauftrag strukturiert werden, konstruiert Ellen Strittmatter ihre Bilder aufgrund ihrer Fotovorlagen aus verschiedenen Städten der Welt und schafft somit Ansichten, die einer „Globalstadt“ entstammen könnten. Die Erinnerung ist fester Bestandteil in den Bildern von Sae Esashi und Xianwei Zhu. Sae malt, was ihr begegnet, wobei ihre malerischen Ideen immer wieder überraschen, während Xianwei Zhu ein Mischwesen aus wasserköpfigem Kleinkind und Puppe die verschiedenen Kulturen erkunden lässt. Von Xianwei stammen die Ausstellungstitel „Denken viel“ sowie der aktuelle Titel „Es ist gesund“. Eine Redensart, die ihm aus China unbekannt war und mit der er in Deutschland sehr häufig konfrontiert wurde. Hye-Won Kim malt seit einiger Zeit Kinderporträts. Sie stellt das Kinderbild in Korea dem hier vermittelten Bild der glücklichen pinkfarbenen Kinderzeit an die Seite, während Katharina Schick Tiere wie auf Abziehbildern auf gemustertem Hintergrund platziert. Isabelle Hannemann malt ihre Bildfiguren sehr frei, meist nur angedeutet, so wie man im Vorbeigehen ein Gesicht, eine Figur wahrnimmt. Jingfang Li hat in seinem großformatigen Bild „Mein Wagen“ die rasante Fahrt aus der einen Kultur in die andere thematisiert. In seinen neuen Bildern wendet er den Blick wieder nach innen. Er reagiert immer direkt auf seine Umgebung. Stephanie Ernst stellt eine Reihe Radierungen aus, die Radiertechnik ist ein weites Feld und Stephanie Ernst geht einfallsreich und ohne zu viel Respekt vor der Tradition mit den Materialien Kupferplatte, Säure, Kaltnadel um. Melanie Glasers architektonische Fiktionen weisen durchaus Bezüge zur Architektur von Trabantenstädten oder Außenbezirken kleinerer Städte auf, während konträr gerade zu dieser Arbeit die in feinen Grauabstufungen gehaltenen, als musikalische Landschaften gedachten Papierarbeiten von Sina Firniss stehen. Jasminka Mikec zeigt eine Reihe Selbstportraits. Das Selbstportrait, immer auch Ausdruck einer Selbstsuche, ist ein Motiv, das mehr als alle anderen Bildsujets immer wieder neu erfunden wird. Für Sabine Kraiß ist das „Objet trouvé“ die Basis ihrer dreidimensionalen Arbeiten. Auffallend ist die Skurrilität der Fundstücke, an denen sie oft nur geringfügige Änderungen vornimmt, die aber inhaltlich anders belegt werden, voller Ironie und hintergründigem Humor. Für alle Exponate, so komplex sich diese Ausstellung auch darstellt, ist charakteristisch, daß sie individuell geprägt sind. Es werden wenige oder gar keine Zitate verwendet, die Künstler, die sie verwenden, verfremden oder zerstückeln sie so, daß eine andere Sicht als die gewohnte passive Sicht deutlich wird.

Cordula Güdemann

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Es ist gesund - Studierende der Klasse Cordula Güdemann
Kunstverein Radolfzell in der Villa Bosch

mit Ilker Basirli, Stephanie Ernst, Sae Esashi, Sina Firniss, Melanie Glaser, Isabelle Hannemann, Hye-Won Kim, Sabine Kraiß, Jingfang Li, Jasminka Mikec, Katharina Schick, Ellen Strittmatter, Xianwei Zhu

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