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Eröffnung: Mittwoch, 5. Dezember 2007, 19 Uhr

Förderpreisträger 2006

Vor vier Jahren habe ich ein Buch mit dem Titel „Eye of the Fish" gelesen, geschrieben von einem Freund aus meiner New Yorker Zeit in den 1970er Jahren. Luis Francia, der Autor des Buchs, beschreibt es als „teilweise meine Geschichte, teilweise die der Philippinen".

Die Philippinen, die Francia vorgefunden hat, sind ein Land, das sowohl vom spanischen als auch vom amerikanischen Kolonialismus stark beeinflusst ist. Durch die Geschichten von Leuten, die er während seiner Reise durch das Land und durch seine eigenen Erinnerungen trifft, reflektiert Francia über diese „Hybridität", die gleichzeitig eine „Last und ein Segen" ist.

Als Ausgangspunkt meiner Ausstellung dient mir diese „Hybridität", die von mir reflektiert, bearbeitet und von A bis Y auf Filipino gezeigt wird (die Philippinische Nationalsprache hat 20 Buchstaben). (Emilio Ganot)

Oberflächlich gesehen ist die Ausstellung „matá ng isdâ (Eye of the Fish)“ ein Sprachunterricht in Filipino. Dabei gibt es verschiedene Unterrichtsstufen, vom Anfänger bis zum Fortgeschrittenen. Mit Hilfe von einfachen Bildern kann man das Alphabet lernen, in einem Video spricht man einen einfachen Satz nach und ersetzt das darin vorkommende Hauptwort immer wieder durch ein Neues. Für Fortgeschrittene gibt es eine Bildergeschichte, deren Unterhaltung nur auf Filipino geführt wird. Wahrscheinlich beherrscht man aber die Sprache noch nicht fließend, und so entgeht einem leider auch der ganze Wortwitz, die Spannung und Moral der Unterhaltung.

Wie geht es einem Filipino (Ausländer), der nach Österreich kommt und die Sprache noch nicht oder nur wenig versteht? Mit welchen (Sprach)Barrieren ist er konfrontiert? Einfache Fragen, die wir uns gerade wegen Ihrer Simplizität nie stellen. Emilio Ganot nimmt zwar einerseits „Rache“ an seinem oft intoleranten, ungeduldigen Gegenüber, gleichzeitig wirbt er aber auch humorvoll um Verständnis für den/die Fremde(n), der/die uns tagtäglich begegnet.

Erst aus der Nähe betrachtet erschließen sich die Hauptthemen der Ausstellung: sie kreisen um Themenkomplexe wie Identität und Identitätsfindung (eines Menschen, eines Volkes, eines Landes), Migration und Integration sowie die Macht der Sprache. Emilio Ganot legt ein dichtmaschiges Netz von Reminiszenzen, Assoziationen und Anspielungen über die einzelnen Ausstellungsteile, die von der vielschichtigen und feinfühligen Wahrnehmung des Künstlers zeugen. Er erzählt die Geschichte eines Volkes, das nie die Chance hatte, zu einer eigenen reflektierten und gefestigten Identität zu finden, und das daher viel zu anfällig war für fremde Einflüsse. Emilio Ganot will mit seiner Ausstellung aber kein Salz in offene Wunden streuen - für ihn ist es ein Aufzeigen von Fakten, die er ohne Kommentar zeigt, und die jeder für sich zu seinem eigenen Puzzle zusammenfügen kann.

Die Zeitlinie an der Wand markiert wichtige geschichtliche Ereignisse der Philippinen; eine Geschichte, die eigentlich erst seit 1521 mit der Eroberung durch Spanien geschrieben wird. Vorher lebte der Großteil der genuinen Bevölkerung in Einklang mit den Naturkreisläufen, nicht empfänglich für die Bedeutung zeitlicher, linearer Geschichtsabläufe. Gerade diese „Abwesenheit“ einer Geschichte aus europäischer, westlicher Sicht hat aber einen Großteil zur Unsicherheit der Identität des philippinischen Volkes beigetragen; sich dieses Mankos immer mehr bewusst werdend, blickte es zu den Erobern auf und begibt sich bis heute in die Rolle des Zweitrangigeren, Schlechteren.

Auf den Philippinen werden bis heute 87 Sprachen gesprochen, praktisch jede Region hat ihre eigene Sprache oder ihren eigenen Dialekt. Als die amerikanischen Eroberer kamen, führten sie unter anderem die amerikanische Sprache als Landessprache ein. Identität wird unter anderem auch über Sprache hergestellt. Erst über Sprache findet ein tiefer gehender Austausch statt und wird erst höhere geistige Kommunikation und Reflexion des eigenen Selbst möglich. Den Filipinos war es über das Englische erstmals möglich, sich untereinander ohne Einschränkung zu verständigen. Filipinos bezeichnen diesen Umstand heute einerseits als Segen, gleichzeitig aber auch als eine Last – denn Sprache ist immer auch ein Ausdruck von Macht und ermöglicht es, über jemanden zu dominieren und ihn in seiner Identitätsfindung einzuschränken.

„Um das Land zu entwickeln, braucht es Disziplin.“ Diesen Leitsatz hat Ferdinand Marcos seinem Volk auferlegt und damit die Wirtschaft und Entwicklung seines Landes vorangetrieben. Dass er die Einkünfte daraus nicht unbedingt zum Wohle der Filipinos verwendete, wissen wir aus heutiger Sicht. Schon damals hat sich ein findiger Geschäftsmann diesen Spruch zu Eigen gemacht und ihn in „Um das Land zu entwickeln, braucht es Fahrräder“ umgewandelt – die Tat blieb nicht ungestraft. Emilio Ganot zeigt ein paar Beispiele, was es vielleicht wirklich brauchen würde, um ein Land zu Wohlstand und Integrität zu führen.

Zu guter Letzt und zu aller Erst ist die Ausstellung reflektierte Einsicht in die leidvolle und zwiespältige Vergangenheit des philippinischen Volkes, die zugleich auch die Zerissenheit der Filipinos ausmacht. Um das zu erkennen, mussten viele Filipinos emigrieren, erst aus der Fremde und Distanz zur ehemaligen Heimat konnten sie neutraler auf sich und ihr Land schauen.* Viele kehrten wieder heim, andere blieben in der Fremde. Beeindruckend und bewundernswert ist jedenfalls der offene und schonungslose Umgang Emilio Ganots mit dieser seiner eigenen Geschichte.