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ELEMENTE - Landschaften von Anke Gesell und Anne Wölk VERNISSAGE AM 11.02.2011, 19.00 UHR EINFÜHRUNG VON DR. SEBASTIAN KARNATZ, KUNSTHISTORIKER

Die Elemente, das Elementare – ein gewichtiger Titel. Wir erinnern uns: Die griechischen Vorsokratiker unterscheiden vier Elemente, vier Urstoffe, die die Grundlage allen Seins bilden: Feuer, Wasser, Luft und Erde. Sie sind die basalen Elemente aller belebten und unbelebten Natur – schlichtweg elementar.

Von daher scheint auch der Titel dieser Ausstellung durchaus richtig gewählt. Denn auch bei den hier ausgestellten Werken handelt es sich um Darstellungen des Elementaren – der uns umgebenden Natur und der vielfältigen Wechselwirkungen zwischen Mensch, Natur und – nicht zuletzt! – Kunst.

Diese Ausstellung präsentiert uns zwei junge Künstlerinnen, die sich also bei den hier versammelten Arbeiten dem ab und an als etwas angestaubt verrufenen Genre der „Landschaftsmalerei“ verschrieben haben. Doch angestaubt sind die Werke von Anne Wölk aus Berlin und Anke Gesell aus Leipzig nun wirklich nicht.

Wölk und Gesell folgen in ihren Arbeiten zur Landschaft der frischen Spur einer alten Tradition, die richtig verstanden schon immer mehr war als reine Naturnachahmung, als das rein sekundäre Abbild einer großen Idee. Vom herrlichen Landschaftssfumato Leonardos bis hin zu den utopischen Landschaften der Romantik, ja gar bis zur glattpolierten Landschaft der Werbe- vorzugsweise der Bierwerbeindustrie war die gezeigte Landschaft immer schon selbst Idee, nicht verifizierbares Abbild derselben.

Man muss hier nicht mit dem falsch verstandenen Kampfbegriff der Mimesis – der ja im aristotelischen Sinn viel mehr bedeuten sollte als reines Abbild – operieren, um deutlich zu machen, dass sich ikonographisch hinter dem Landschaftsbild schon seit jeher mehr versteckte als der reine Augenschein. Selbst dem scheinbar veristischsten Versuch die bloßen Eindrücke der Natur nachzuahmen – also den Naturstudien des Impressionismus – ist es nicht nachhaltig gelungen, die Flüchtigkeit des Eindrucks in ebenso flüchtige Kunst zu übersetzen; Legionen von Hotels und Arztpraxen können dies mit reich bestückten impressionistischen Wänden im wahrsten Sinne des Wortes eindrucks-voll bestätigen.

So hat jede Generation aufs Neue ihre Landschaft, ihre Version jenes heterotopen Spiegelidylls zwischen Wirklichkeit und Illusion zu finden. Anke Gesell und Anna Wölk haben jeweils verschiedene, ich möchte fast sagen grundverschiedene Ansätze zur Bewältigung dieser Aufgabe gefunden. Es sind verschiedene pikturale Lösungen, die sich aber – zumindest aus ideenhistorischer Sicht – fast schon wieder verblüffend ähneln. Beide übersetzen die überwältigende Einsicht in die Erhabenheit der Natur – jene Schlüsselerfahrung der beginnenden ästhetischen Moderne – in die Sprache des Postmodernismus. Sie ironisieren, sie zitieren, sie beten an und zerstören zugleich. Bei Anke Gesell wird beispielsweise eine Kuh zur Zeugin einer in wunderbarer malerischer Abbreviatur auf die Leinwand gebrachten Gletscherschmelze. Sie baumelt an einem Lastzug, bildsemantisch gleichsam als von mechanischen Kräften gehaltener Fremdkörper inmitten des gewaltigen Naturschauspiels, strukturell als aberwitziges Zitat der klassischen Repoussierfigur romantischer Prägung – kein Mönch mehr am Meer, sondern eine Kuh am Gletscher. Dies ist eine so einfache und doch so nachhaltige Bilderfindung, dass sie den Betrachter schmunzelnd, staunend und am Ende gar ratlos zurücklässt. In dieses Staunen mischt sich das Gelächter des Nonsens, denn jenes Werk ist sprechend mit „Gletscherschmelze? Will ich sehen!“ betitelt. Ökologische Mahnung, der Schutz des Tierrechtes, die große ernüchternde Ernsthaftigkeit unserer Zeit und ihrer Probleme – all das könnte man also aus Gesells Werk durchaus herauslesen, ließe es einem die Zeit, solche politisch korrekten Überlegungen überhaupt anzustellen. Doch stattdessen wischt der Nonsens unsere Betroffenheit ganz einfach hinweg und hinterlässt gerade so – ex negativo – größere Spuren als es so manches mit „Agit Prop“ überschriebene Tableux jemals gekonnt hätte.

Ganz ähnlich ergeht es uns mit dem großformatigen Werk „Das touristische Treiben verdichtete sich um 12.35 zu einer Wolke, erhob sich und gab kurz das Bergmassiv frei, so beobachtet 2008“, das uns in handwerklich bestechender Manier zu einem kunsthistorischen Parforce-Ritt motiviert. Wirkt die erhabene Gebirgsformation noch wie ein realistisches Naturabbild, so bilden die in malerischster Abbreviatur dargestellten Touristen einen Traditionszusammenhang von Max Ernsts Decalcomanie über Jackson Pollocks Drippings bis hin zu Arnulf Rainers manischer „Über-Malerei“. Doch sowohl der durchaus sinnvolle Appell gegen den Massentourismus als auch die kunsthistorische Ahnengalerie wird hier ironisiert – im freien Zitatenspiel der schmunzelnden Absurdität übergeben.

Die Grundhaltung dieser tief empfundenen Landschaftmalerei ist also weniger Romantik als sinnenfreudiger DADA. Und wir als Zuschauer sind dabei – ganz ähnlich wie es uns mit den großen Nonsensgesten Duchamps geht – dazu aufgefordert, uns einen eigenen Sinn inmitten des scheinbar Sinnlosen zu suchen. Das ist das Geheimnis der polyvalenten Zeichen – und das Geheimnis dieser ganz ernsthaft unernsten Malerei.

Anne Woelk hingegen führt uns in ihren – gerne auch tiefer gelegten – Horizonten eine andere Welt vor. Eine Welt, die noch stärker nach den Symbolen des Heutigen schreit. Sie collagiert Filmstills mit wüsten Eislandschaften, erstarrt vor der Schönheit von blickumgreifendem Grün, lässt sich aber auch von der Graffitilandschaft der Großstadt verzaubern. Ihre Malerei kann einen Zug ins Schrille, ins Pop-Bunte bekommen und findet doch auf wundersame Weise immer wieder zu den hier und heute gezeigten Landschaften zurück.

Anne Woelk begreift die Landschaft als etwas Elementares, als etwas Essentielles, das sich in ihrer Malerei ebenso schnell mit dem Einbruch des Nachkriegswenderealismus mischen kann, wie mit dem mythischen Neosurrealismus eines Neo Rauch. Dabei finden ihre Arbeiten durch die Collage verschiedenster disparater Bildelemente zu einer – um in der Sprache des Films zu bleiben – schnell geschnittenen, fast atemberaubenden Mischung aus Realismus, Surrealismus im besten Sinne und veristischer Gegenwartsbeobachtung. Dies verleiht ihrer Malerei zugleich ikonische und ikonoklastische Qualitäten.

In ihren Landschaften verwischen die Grenzen zwischen Gegenstand und Abstraktion. In „Blue Lights“ treffen scharfe blaue Dreiecksflächen auf eine surreale Eislandschaft, die man unschwer als Derivat jener kühl-monumentalen Landschaft von Caspar David Friedrichs „Gescheiterter Hoffnung“ entziffern kann.

Die utopische Romantik der „Großen Abstraktion“, wie sie Kandinsky nennt, trifft sich im unendlichen Farb- und Assoziationsraum mit der Erhabenheit der Landschaftsmalerei Caspar David Friedrichs. Nur dass auch diese Zitatenrevue postmodern gebrochen bleibt. Die großen Utopien der Vergangenheit werden anzitiert, um jedoch gleich wieder verworfen, karikiert zu werden.

Der heilige Ernst dieser Arbeiten verharrt in der Pose des Benjaminischen Allegorikes, der die Bruchstücke der Welt findet, sie allerdings nicht mehr zu einem großen Ganzen zusammensetzen kann. So ist auch die Malerei Anne Woelks eine zutiefst ironische Kunst – ironisch aber im Sinne der Romantik: eine Malerei, die sich beständig selbst thematisiert und sich im endlosen Regress des Kommentars, der Reflexion wiederfindet.

Kommen wir zum Ausgangspunkt unserer Betrachtungen zurück: Die Landschaften dieser beiden Künstlerinnen sind ohne Zweifel heutige Landschaften, postmodern gebrochen und ironisiert. Mal subtil – mit dem Florett der Allegorie –, und mal brachial mit dem Eisenschwert – oder Hottepferd? – des großen DADA. Sie sind Bilder, die wiederum aus Bildern bestehen, Zitat gewordene Zitate, die gerade im Modus des Zitierens des Anderen den Blick auf ein tief empfundenes Eigenes freigeben. Kurz – diese Landschaften gehören zu uns, wie „Et in arcadia ego“ zum Lebensgefühl des Barock gehört haben mag.

Hier sind diese Arbeiten tatsächlich im Wortsinn elementar – sie sind der grundsätzliche Stoff aus dem unsere realen und unseren ästhetischen Träume gemacht sind.

Sebastian Karnatz

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Landschaften von Anke Gesell und Anne Wölk