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El Dorado, das legendäre Land des Goldes in Südamerika, liefert die titelgebende Metapher für eine internationale Gruppenausstellung, die sich mit dem längst nicht erreichten Versprechen der weltweiten Anerkennung und Durchsetzung der Menschenrechte befasst. Anlass für diese Ausstellung gibt der Internationale Nürnberger Menschenrechtspreis, der im Oktober 2009 an Abdolfattah Soltani vergeben wird.

Mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, von den Vereinten Nationen am 10. Dezember 1948 verkündet, hatte sich eine Völkergemeinschaft erstmalig und auf der Grundlage eines gemeinsamen Verständnisses der Menschenwürde auf weltweit geltende Menschenrechte geeinigt. In 30 Artikeln proklamierte die Generalversammlung klassische Freiheitsrechte aber auch wirtschaftliche und soziale Rechte. Auch wenn ihre Akzeptanz seitdem kontinuierlich gewachsen ist, so werden die Menschenrechte dennoch täglich verletzt. Ihre weltweite Umsetzung erscheint als paradiesischer Zustand, der, dem sagenhaften Goldland El Dorado ähnlich, wohl Utopie bleiben wird.

Die Gruppenausstellung El Dorado setzt verschiedene Schwerpunkte: Einerseits zeigt die Kunsthalle Nürnberg Arbeiten von MARTHA ROSLER, KARA WALKER oder JOTA CASTRO, die offensichtliche Menschenrechtsverletzungen durch Krieg, Folter, Vertreibung oder Rassismus thematisieren. Andererseits widmen sich zahlreiche Werke den „subtilen“ Menschenrechtsverletzungen. Denn, so schreibt die Autorin Juli Zeh, mit den Menschenrechtsverletzungen sei es wie mit Bildern auf großen Plakatwänden: Man erkenne sie immer nur von der anderen Straßenseite aus. So fällt es tatsächlich häufig leichter, die politischen und gesellschaftlichen Missstände in anderen Ländern zu kritisieren, als die Rechtsbrüche vor der eigenen Haustür zu erkennen. Auch wenn der Menschenrechtsschutz in Europa im weltweiten Vergleich relativ effizient ist und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg die Möglichkeit der Individualbeschwerde gibt, so werden durch Ausgrenzung, durch die Missachtung der Chancengleichheit oder durch den Verstoß gegen das Recht auf soziale Fürsorge auch in Europa Menschenrechte permanent missachtet. Arbeiten von DANICA DAKIå, DIONISIO GONZÁLES, OLIVER BOBERG oder TOBIAS ZIELONY thematisieren diese „subtilen“ Menschenrechtsverletzungen.

Kamera läuft! Ein weiterer inhaltlicher Schwerpunkt der Ausstellung liegt bei künstlerischen Werken, die sich dem sogenannten „Kampf gegen den Terror“ und der damit verbundenen Einschränkung des freien öffentlichen Lebens widmen. Seit den Terroranschlägen auf das World Trade Center am 11. September 2001 hat sich der weltweite Sicherheitswunsch verstärkt. Im Kontext der Terrorismusbekämpfung werden die Freiheitsrechte jedoch systematisch eingeschränkt. Amnesty International sieht in ihrem Jahresbericht 2008 beispielsweise den Schutz vor willkürlicher Verhaftung oder den Schutz vor unmenschlicher Behandlung eklatant verletzt. Der Wunsch nach innerer Sicherheit führt – auch in Deutschland – zu verstärkter Kontrolle. Um die Utopie körperlicher, politischer und staatlicher Unversehrtheit zu erzeugen, wird überwacht, überprüft und dokumentiert. Verschärfte Kontrollen bei der Einreise, Rasterfahndung, Telefonüberwachung, Kontrolle von Geldtransfers oder die Verstärkung der Sicherheitschecks an potenziell gefährdeten Orten: Diese Maßnahmen scheinen nicht nur dem Grundrecht der Informationellen Selbstbestimmung zu widersprechen, sondern verstoßen auch gegen Artikel 12 der Menschenrechte. In diesem wird dem Bürger der Schutz seiner Intimsphäre zugesichert und ein willkürlicher Eingriff in sein Privatleben untersagt. Arbeiten von EVA GRUBINGER, U.R.A. FILOART oder KORPYS/LÖFFLER thematisieren die omnipräsente Überwachung und reflektieren einen bedenklichen gesellschaftlichen Bewusstseinswandel.

Hinter den Bergen / bei den Zwergen In dem 1849 veröffentlichten Balladen-Gedicht Eldorado von Edgar Allan Poe sucht ein Edelmann nach dem sagenhaften Land El Dorado. Nach seiner zwar lebenslangen aber dennoch erfolglosen Suche befragt er einen wandelnden Schatten nach der Lage des legendären Ortes und erhält zur Antwort:

„Hinter den Bergen / bei den Zwergen / tief im Tal der Schatten. Reit’ kühn, reit’“ / dieser sprach g’scheit, / „wenn du suchst nach El Dorado!“

Um ein Land zu finden, in dem Glück, Toleranz sowie sozialer und kultureller Wohlstand alltägliche Lebensrealität sind, bedarf es offensichtlich nicht nur einer weiten, sondern auch kühnen Reise. Nicht weniger Ausdauer benötigt die Reise zu einer weltweiten Anerkennung und Durchsetzung der Menschenrechte. Die in der Kunsthalle Nürnberg ausgestellten Werke schreiten auf diesem Weg einen Schritt voran, indem sie auf Missstände aufmerksam machen. Jedoch nicht, indem sie versuchen Konflikte zu illustrieren oder Menschenrechtsverletzungen zu visualisieren. Die ausgestellten Zeichnungen, Fotografien, Videoarbeiten, Skulpturen und Installationen wirken auf einer abstrahierten Ebene. So zeigt beispielsweise Jota Castro die Arbeit „La Nina, la Pinta y la Santa Maria“: eine formal hoch ästhetisierte Bodeninstallation aus tausenden, filigranen Papierschiffchen, die sich subtil mit Themen wie Flucht und Vertreibung beschäftigt...

Alle Werke fordern zum Mitdenken auf, ermöglichen jedoch auch einen neuen Zugang zum Thema, denn gerade künstlerische Arbeiten können die Kraft entwickeln, auf die gesellschaftliche Diskrepanz zwischen Ideal und Wirklichkeit, zwischen Versprechen und Realität, aufmerksam zu machen. Laut dem ungarischen Schriftsteller György Konrád haben Künstler den „dritten Blick“: Sie treten einen Schritt zurück und entwickeln aus der ästhetischen und mentalen Distanz heraus, einen ungetrübteren Blick auf gesellschaftliche (Miss)verhältnisse. Auf produktive Weise gelingt es ihnen, ihre Innenperspektive und intime Kenntnis der Lebensverhältnisse mit einer Außenansicht zu verbinden.

Teilnehmende Künstler: Oliver Boberg (DE), Berlinde De Bruyckere (BE), Jota Castro (PE), Danica Dakiç (BA), Dionisio Gonzáles (ES), Eva Grubinger (AT), Özlem Günyol/Mustafa Kunt (TR), Mathilde ter Heijne (NL), Korpys/Löffler (DE), Thomas Locher (DE), M+M (Marc Weis/Martin de Mattia) (DE), Jens Pecho (DE), Martha Rosler (US), Katrin Ströbel (DE), U.R.A. Filoart, Kara Walker (US), Tobias Zielony (DE).

Die Gruppenausstellung El Dorado wird von einem umfangreichen zweisprachigen (dt./engl.) Katalog begleitet. Der Katalog enthält Texte zu allen Arbeiten, Essays von Olaf Arndt, Gabriele Mackert und Harriet Zilch sowie einen Text zu den Menschenrechten von Juli Zeh.

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El Dorado Über das Versprechen der Menschenrechte
Kurator: Harriet Zilch

Künstler: Oliver Boberg, Berlinde De Bruyckere, Jota Castro, Danica Dakic, Dionisio Gonzales, Eva Grubinger, Özlem Günyol/Mustafa Kunt, Mathilde ter Heijne, Korpys / Löffler, Thomas Locher, M+M München, Jens Pecho, Martha Rosler, Katrin Ströbel, U.R.A. / FILOART , Kara Walker, Tobias Zielony