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KUNSTPAVILLON

EIN TEIL, DAS FEHLT, GEHT NIE KAPUTT
25.05.2018 – 28.07.2018
Eröffnung: 24.05.2018 19:00

Matilde Cassani , Marianna Christofides, Julie Sas, belit sağ, Aşkın Ercan, Rezzan Gümgüm, Seçil Yaylali

Ausstellungsorte:
Kunstpavillon und Künstlerhaus Büchsenhausen

EIN TEIL, DAS FEHLT, GEHT NIE KAPUTT
25.05.2018 – 28.07.2018
Eröffnung: 24.05.2018 19:00

Einführung: Andrei Siclodi, Kurator Dauer der Ausstellung: 25. Mai – 28. Juli 2018

Matilde Cassani , Marianna Christofides, Julie Sas, belit sağ, Aşkın Ercan, Rezzan Gümgüm, Seçil Yaylali

Die Ausstellung Ein Teil, das fehlt, geht nie kaputt beschäftigt sich mit Möglichkeiten des Entkommens aus dem vorherrschenden Sichtbarkeitsregime der Gegenwart, mit Strategien des Umgangs mit dem Ungewissen, mit Vernunftverlust und Zensur als Signifikaten unserer Zeit, aber auch mit Formen von Solidarität und (Selbst-)Bewusstseinsbildung. Sie stellt Fragen nach dem gegenwärtigen Status gesellschaftlichen Zusammenhalts, nach der Valenz von An- und Abwesenheitsentscheidungen, nach der Möglichkeit, solche Entscheidungen überhaupt treffen zu können. Die Ausstellung argumentiert zugunsten einer Aufwertung dessen, was wir vielleicht nicht ohne weiteres als notwendigen Bestandteil des gegebenen Systems betrachten, von dessen Existenz und Verfügbarkeit jedoch jegliche soziale Öko-Logik bestimmt wird.

Ein Teil, das fehlt, geht nie kaputt ist das Ergebnis der Auseinandersetzung mit den Arbeitsvorhaben und den Arbeitsweisen der Teilnehmer_innen am Fellowship-Programm für Kunst und Theorie im Künstlerhaus Büchsenhausen 2017/18. Ihre künstlerischen Ansätze, Verfahren und Themen bildeten den Ausgangspunkt der Ausstellungskonzeption. Marianna Christofides spürte in ihrem langfristig angelegten Vorhaben bestimmten „herumirrenden“ Manifestationen von Unsicherheit nach, deren verschiedenen Formen und unterschiedlichen Qualitäten sich seit dem Krisenjahr 2008 in Südosteuropa entfalten. Vor dem Hintergrund, dass ein Zustand unvergänglicher Instabilität zur gesellschaftlich bestimmenden Norm geworden ist, fragte sie nach dem abstrakten Ort, an dem sich diese Unsicherheit festsetzt, nach den Implikationen, die eine solche Analyse auslöst und nach den Modalitäten, mittels derer sich ein_e Künstler_in einem Zustand annähern kann, der sich inhärent jedem Verständnis widersetzt. belit sağ erkundete den Begriff der „Zensur“ als Gegenwartszustand. Ausgehend von ihrer eigenen Erfahrung mit Zensur als Künstlerin in der Türkei lud sie weitere drei Künstlerinnen aus diesem Land, die ebenfalls persönlich Opfer von Zensur waren, nach Innsbruck zu einem produktiven Erfahrungsaustausch. Das Projekt erforschte, wie die individuelle und emotionale Erfahrung von Zensur mit anderen geteilt werden kann, welche künstlerische Taktiken als Antwort gegen repressive Regimes taugen, welche Subjektivitäten Zensur erzeugen und wie diese Subjektivierung durch Affekte verläuft. In ihrem Arbeitsvorhaben in Büchsenhausen befasste sich Julie Sas mit offenen Formen der Anonymität und Unsichtbarkeit aber auch mit konkreten Rückzugsmöglichkeiten. Anonymität, Unsichtbarkeit, Verschwinden, Vermeiden, Geheimhalten oder Schweigen wurden als mögliche Ethiken und Positionen betrachtet, als Formen des Widerstands gegen ein zeitgenössisches Paradigma, das für sich in Anspruch nimmt, Sein und Erscheinen auf der einen, Wert und Sichtbarkeit auf der anderen Seite miteinander zu verschmelzen. Matilde Cassani befasste sich im Rahmen des Kooperationsfellowships des Künstlerhauses Büchsenhausen und ar/ge kunst Bozen mit auf dem gesellschaftlichen Mainstreambild nicht aufscheinenden Communities, die auf beiden Seiten des Brenners zum Teil seit Jahrzehnten leben und in ihrer Freizeit leidenschaftlich Cricket spielen. In einer Region, in der die Freizeitgestaltungs- (sprich: Tourismus-)Industrie den dominierenden Wohlstandsmotor darstellt, spürte die Künstlerin den Bedingungen nach, unter denen dieser Sport in Nord- und Südtirol praktiziert wird.

Ein Teil, das fehlt, geht nie kaputt ist eine apodiktisch anmutende Aussage, die bei näherer Betrachtung einen Paradoxon in sich birgt: Denn das Verb „fehlen“ verweist darauf, dass das angesprochene Teil früher vorhanden, im Einsatz war. Durch eine Nutzung unbestimmten Grades könnte ein Teil potenziell sehr wohl kaputt gehen. Aber solange die Umstände, die zu diesem Fehlen geführt haben, nicht näher bestimmbar sind, lässt sich die Aussage auch nicht widerlegen. So bewegen sich die Aussage und ihr potenzieller Wahrheitsgehalt in einem Bedeutungsraum vorgetäuschter Gewissheit, die erst im Zuge ihrer Emergenz aus der Unbestimmtheit als solche wahrgenommen werden kann.

Mit dieser Ambiguität spielt die Installation Imposture (digression on adornment) [Deutsch: Schwindel (Exkurs über Verzierung)] von Julie Sas. Als einstweilige Materialisierung ihrer Auseinandersetzung mit Formen des Verschwindens und Unsichtbar-Werdens hat die Künstlerin hier eine semantische Versuchsanordnung als bühnenartiges Setting inszeniert, das zwei Existenzmodi von Anonymität spannungsvoll ineinander verschränkt: Dem Zustand starrer Unpersönlichkeit, der Namens-, Qualitäts- und Körperlosigkeit („passiver“ Modus) setzt sie potenziell dynamische, Grenzen verwischende Taktiken gegenüber, die auf die Produktion von Andersartigkeit, von Identitätsbruch, von Diskontinuität und Undurchsichtigkeit abzielen („aktiver“ Modus). Julie Sas lässt ein skulpturales Ensemble sich vor dem Hintergrund einer Wandtapete entfalten, die den Verlauf des gegebenen Raums gewissermaßen verfremdet, indem sie die Raumecken abrundet und ein Muster konstruiert, das offenkundig auf die Verwirrung des Blicks abzielt. Dieses „razzle-dazzle“[1], diese Camouflage, besteht aus Schnittmustern, die man im Internet frei herunterladen kann, um sich daraus eigene, individuelle Kostüme zu kreieren. Sas hat die Oberfläche der Schnittmuster mit sichtbar manuell ausgeführten schwarzen Balken „individualisiert“, eingescannt und zu einem Overall-Muster gestaltet. Das Standardisierte wird so zum Ornament, das Oszillieren zwischen dem Generischen und dem Spezifischen, zwischen Normativität und Exzentrik als Gestaltungsmittel wird evident. Dieses Verfahren setzt Sas in den skulpturalen Arbeiten konsequent fort: Im dialektischen Spannungsfeld der genannten Parameter artikulieren ihre Bestandteile auf unterschiedlichen Ebenen die Suche nach Möglichkeiten körperlicher Verstellung durch die Umkehrung des Generischen gegen sich selbst. So besteht die Installation aus Objekten und Versatzstücken, die üblicherweise als „stilistische Verbesserungsprothesen“ Verwendung finden, hier allerdings als sinnverfremdende Anordnung erscheinen; Masken tragen geometrische Farbmuster, die dazu bestimmt sind, die Gesichtserkennungs-Algorithmen von CCTV-Kameras zu unterwandern; ein Schaufensterpuppenkopf trägt eine Augenbalkenbrille; collagierte Fetzen aus selbstgedruckten Zeitungen mit erfundenem Inhalt (ebenfalls frei im Internet beziehbar und gestaltbar) bedecken Schaufensterpuppenhände etc. Die Installation wird schließlich auf der auditiven Ebene nochmals zusammengefasst: von Zeit zu Zeit ertönt eine Computerstimme aus dem Mobiltelefon, das in der mit Zeitung überzogenen Hand liegt. Sie liest Passagen aus „How to dissapear completely and never be found“ von Doug Richmond, einer in den 1980er Jahren veröffentlichten praktischen Anleitung zum Verschwinden vor. Der bisweilen skurrile Klang der künstlichen Stimme wird mit Hilfe des Programms Auto-Tunes erzielt, einer im Musikbereich beliebten Software, die dazu entwickelt wurde, um falsch singende Stimmen nachträglich zu korrigieren.

Anders als in Julie Sas‘ Arbeit geht es in der Installation Single Traces, Common Grounds von belit sağ, die sie in Zusammenarbeit mit drei weiteren Künstlerinnen, Aşkın Ercan, Rezzan Gümgüm und Seçil Yaylalı, entwickelt hat, um Prozesse der Sichtbarmachung und Solidarisierung angesichts einer immer restriktiver werdenden Regulierung professioneller wie auch persönlicher Beziehungen. Konkret ging es um die Erfahrung von Zensur (die die Künstlerinnen selbst durchmachen mussten) und um die (öffentliche) Artikulation dieser Erfahrung als eine Form kollektiver Wiederermächtigung. In der Regel wird Zensur im Zusammenhang mit juristischen Prozessen oder institutionellen Verantwortlichkeiten diskutiert, aber nur selten im Hinblick auf die durch sie hervorgerufenen persönlichen, emotionalen und künstlerischen Veränderungen. Wie belit sağ selbst betont, ähnele Zensur Mobbing. In beiden Fällen werden Strategien des Unsichtbar-Machens und des Zum-Schweigen-Bringens angewandt – wodurch sich Individuen oft in einer Lage des Isoliert-Seins wiederfinden. Fälle von Zensur sind häufig schwer zu artikulieren und Außenstehenden gegenüber schwer zu erklären. Die Affekte, die durch Zensur an Künstler_innen entstehen bilden ein zentrales Thema dieses Vorhabens.

In der Ausstellung sind folglich mehrere symbolbeladene Arbeiten zu sehen, die sağ, Ercan, Gümgüm und Yaylalı in einem intensiven Prozess kollektiver Kreativität in unterschiedlichen Konstellationen produziert haben und den Widerstand gegen Zensur verhandeln. Gleich beim Eingang in den Kunstpavillon sind die Besucher_innen mit einem Rauschen konfrontiert, aus dem beim genaueren Hinhören immer wieder Bruchteile einer Konversation erkennbar werden. Dieses Rauschen wiederholt sich im hinteren Raum des Kunstpavillons, wo auf einem Flachbildschirm dieselben Gespräche in türkischer Sprache, diesmal jedoch deutlicher und ins Englische übersetzt, verfolgt werden können. Es sind Skype-Dialoge zwischen den vier beteiligten Künstlerinnen zum Thema Zensur. Auf einem zweiten, hochgestellten Flachbildschirm läuft im Loop eine Diashow, die Efeu-Pflanzen in unterschiedlichen Wachstumsstadien und Positionen zeigen (belit sağ und Aşkın Ercan). Spätestens hier wird klar, dass Efeu das visuelle Leitmotiv der gesamten Installation darstellt. Efeu wächst bekanntlich auch unter schwierigen klimatischen Bedingungen, sein Wachstum ist bisweilen schwer zähmbar und steht in dem Ruf, starre Gebilde (=Gebäude) zu schädigen. Diese Eigenschaften werden hier ausdrücklich und durchgehend positiv besetzt, denn das zur Schau gestellte Potenzial des Aufbrechens repressiver Machtstrukturen steht im Vordergrund des Vorhabens. Dass Spuren des Widerstands bleiben, auch wenn die Pflanze heruntergerissen wird, vergegenwärtigen die Objekte, die sowohl im hinteren Raum als auch an der Fassade angebracht sind (Seçil Yaylalı und belit sağ). Im vorderen Raum liegt eine geometrisch strukturierte, in Schwarz- und Silberfarbe gehaltene Skulptur – quasi die „Blackbox“-Sammlung ununtersuchter, aber Eingeweihten bekannten Zensurfälle, die Gümgüm und sağ am 8. Mai 2018 im Zuge einer performativen Handlung vom Künstlerhaus Büchsenhausen über die Innbrücke und die Altstadt in den Kunstpavillon gezogen haben. Ergänzt wird das Objekt von zwei Videos, die, in einer jeweils leicht veränderten Fassung, den „Scan“ eines Efeu-Blattes vorführen ( Aşkın Ercan und belit sağ). Das Ensemble komplettieren schließlich die „Mindmap“-Grafik und das Take-Away-Plakat im hinteren Raum (beides Seçil Yaylalı und belit sağ). Die Grafik vergegenwärtigt auf imperative Weise Handlungen und Prinzipien, die einen Zensurfall verhindern beziehungsweise eingrenzen und in eine für betroffene Künstler_innen günstige Situation wenden sollten. Das frei entnehmbare Plakat gibt Sprüche und Statements der Teilnehmer_innen an einem Workshop über Zensur im Künstlerhaus Büchsenhausen wieder, die ebenso auf ein Empowerment der potenziell Betroffenen abzielen.

In der Installation IT EXHAUSTS MY ELBOW [2] (Deutsch: Es erschöpft meinen Ellenbogen) thematisiert Marianna Christofides unfreiwillige Unsichtbarkeit. Christofides rückt Existenzen und Orte in den Vordergrund, die sie in den vergangenen zehn Jahren in Griechenland aufgesucht hat und deren Leben beziehungsweise veränderlichen Fortbestand sie in regelmäßigen Abständen dokumentiert. Als Bestandteil ihrer langfristig angelegten künstlerischen Investigation The Hiatus of Uncertainty (Deutsch: Die Kluft der Ungewissheit) geht es Christofides hier um die komplexen Zusammenhänge und Ver(w)irrungen, die die Auseinandersetzung mit den Ausformungen und Manifestationen von Ungewissheit, wenn sie zur normalisierten Alltagswirklichkeit wird, aufzuzeigen vermag. Für die Ausstellung hat die Künstlerin bildliche Konstellationen entworfen, die diesem mittlerweile omnipräsenten Phänomen in seinen unterschiedlichen, sich fortwährend verändernden Erscheinungen Rechnung tragen. Die Orte und die Geschichten, die hier mit dokumentarischen Mitteln (auf 16mm-Film) festgehalten werden, stehen nicht zwangsläufig für eine bestimmte geografische oder soziale Verortung, sondern für eine sich global ausbreitende gesellschaftliche Symptomatik. Sie zu begreifen kann auch bedeuten, sie zu überwinden.

Christofides rückt vier gescheiterte Großbauprojekte und die Menschen, die sie heute nutzen, in den Fokus. Da ist Kalivia Olympou (Deutsch: Die Schuppen des Olymps), eine Siedlung außerhalb Athens, die seinerzeit von der American-Express-Bank für ihre Mitarbeiter_innen und deren Familien gebaut werden sollte, dann aber im Rohbaustadium aufgegeben werden musste. Ehemalige Mitarbeiter_innen zogen trotzdem ein und machten einige dieser Strukturen bewohnbar. Während sie Wasser mittels Grundwasserpumpen beziehen können, leben sie seit Jahren ohne elektrischen Stromanschluss. Auf dem weitläufigen Gelände eines unvollendeten Hotelgebäudekomplexes, das in den 1970er Jahren während des Junta-Regimes errichtet worden ist, finden obdachlose Migrant_innen Unterschlupf, unter anderem Azad aus dem Iran. Sein „Wohnort“ verwandelt sich an den Wochenenden regelmäßig zu einem Freizeitgelände, wo samstags Jugendliche AirSoft-Wettbewerbe veranstalten und so Stadtguerilla-Kämpfe simulieren. Nachts finden dann Underground-Techno-Parties statt, die von Athener Autonomengruppen organisiert werden. Auf dem Areal einer baufälligen Fabrik in Piräus leben einige Roma-Familien, unter diesen Marina und ihre sieben Kinder. Die Rauheit des verfallenen Industriegeländes hält die Kinder nicht davon ab, dieses als Spielplatz zu verwenden. Und da ist schließlich Spyros, in den 1970er und 1980er Jahren Teilhaber eines großen Drive-In-Kinos, nach dem Niedergang des Geschäfts seit mittlerweile 20 Jahren Bewohner des ehemaligen dortigen Imbisses. Als das Geschäft zu schrumpfen begann, versuchte er sich mit Pornofilmen über Wasser zu halten. Als dies auch nicht mehr ging, schloss er das Kino; die ehemalige Leinwand wurde zum riesigen Billboard, die den Verkauf des eigenen Grundes bewarb. Mittlerweile wurde auch der letzte 35mm-Projektor als Altmetall verkauft.

Christofides dokumentiert diese Orte und die Lebensumstände dieser Menschen ohne eine explizite Betroffenheit zu evozieren. Vielmehr zeigt sie diese in ihrer Komplexität als kumulierte Zeugnisse herrschender Weltsystemverhältnisse, in denen Biografien und Orte gleichermaßen deterritorialisiert und anonymisiert werden können, ohne dass man die Ingangsetzung diesbezüglicher sozio-ökonomischen Prozesse irgendwie noch verlässlich vorhersagen kann. Nichtsdestotrotz: Die Ahnung einer Verletzbarkeit als mögliche Form von Widerstand, der potenziell zu einer kollektiven Wiederermächtigung führen kann, schimmert durch die 420 Diabildern durch, die die Künstlerin im Ausstellungsraum in einer archivarischen Wandanordnung versammelt hat und durch die sich die Besucher_innen quasi detektivisch (mit Lupe) durcharbeiten und so ihre eigene persönliche Narration kreieren können. Es sind Einzelkader aus 16mm-Filmen, in den Jahren 2015–17 an den genannten Orten gedreht. Christofides hat die Orte und Personen, die ursprünglichen, linearen Zusammenhänge durchmischt und neue Bedeutungsanordnungen generiert, die einen transversalen Lesemodus ermöglicht. Die Risoprints zeigen ebenfalls übertragene 16mm-Einzelbilder, die jedoch eine haptisch-atmosphärische Komponente hervorrücken, die den Blick auf Details und deren möglichen Zusammenhang zueinander fokussiert. Die transluzide Deckenschrift VE-IN CINEMA schließlich paraphrasiert den verbliebenen Schriftzugfragment auf der Rückseite von Spyros‘ ehemaliger Drive-In-Kinoleinwand und liefert quasi die Rahmung, die die übrigen Bestandteile der Installation zusammenhält.

Eine andere Form von Sichtbarmachung steht im Mittelpunkt des Beitrags von Matilde Cassani, das im Künstlerhaus Büchsenhausen installiert ist. It’s just not cricket ist mehr als eine einfache Zur-Schau-Stellung einer Kricket-Ausrüstung samt Objekten, die mit diesem Sport zu tun haben, auch wenn es auf den ersten Blick so aussehen mag. Die idiomatische Bedeutung des Ausdrucks, dessen Ursprung genauso wie das Kricketspiel in der englischen Kultur liegt, erweckt jedoch den Verdacht, dass wir es hier mit einer Ungerechtigkeit zu tun haben: im Englischen Sprachjargon verwendet man diese Redewendung immer dann, wenn es um eine unfaire oder unehrliche Sache geht.

Ein farbiger Teppichboden, überdimensional große Tore, ein Ball und zwei Schläger, jeweils in Nord- und Südtirol aus heimischen Materialien hergestellt: Dies sind die Bestandteile des Sets eines vermeintlich unterbrochenen Spiels, die nun im Ausstellungsraum in Büchsenhausen installiert wurden und quasi auf die Rückkehr der Spieler warten. Ein „Display-Altar“ zeigt eine Sammlung von Kricket-Schlägern, Bällen und Pokalen, die auf ihren baldigen Einsatz warten. Die Begegnung mit der Passion junger Kricketspieler, die aus Pakistan, Afghanistan, Indien und Sri Lanka stammen und zum Teil seit Jahrzehnten in den Gemeinden auf beiden Seiten des Brenners leben, bietet den üblichen rhetorischen Floskeln über Identität, Grenzen, Nord und Süd eine Atempause. Die kreisläufige Geschichte des Kricketspiels, das über die englischen Kolonien nach Europa zurückgekehrt ist und sich hier unter veränderten Voraussetzungen verbreitet hat, birgt die Chance, unvoreingenommen über die Valenz heutiger urbaner und ländlicher Lebensräume zu reflektieren, sich mit veränderten Kategorien von Zeit, Unterhaltung, Spektakel sowie spectatorship auseinanderzusetzen.

It’s just not cricket markiert den Abschluss des gleichnamigen Recherche-Projekts von Matilde Cassani, das auf gemeinsame Einladung des Künstlerhauses Büchsenhausen, Innsbruck, und ar/ge kunst, Bozen, initiiert und durchgeführt wurde. Nach wiederholten Besuchen der Künstlerin in der Großregion zwischen Innsbruck und Bozen seit Ende 2016 bieten die Ausstellung bei ar/ge kunst in Bozen (Februar – Mai 2018) sowie die aktuelle Ausstellung des Fellowship-Programms für Kunst und Theorie im Künstlerhaus Büchsenhausen den Rahmen für eine diskursive Auseinandersetzung mit den oben angesprochenen Themen dies- und jenseits des Brenners. In Workshops mit den jeweiligen Kricket-Communities sowie einem geplanten Spiel einer Süd- und einer Nordtiroler Auswahl am 30. Juni 2018 in Innsbruck (Sportplatz Fenner, Kaiserjägerstraße) soll der Dialog mit diesen Gruppen auch öffentlich intensiviert werden.