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der in Edinburgh geborene Bildhauer und Grafiker Eduardo Paolozzi (1924‒2005) ist einer der innovativsten und respektlosesten Künstler der britischen Nachkriegsmoderne. Er war Mitbegründer der einflussreichen Londoner Independent Group, einer Vereinigung britischer Künstler*innen unterschiedlicher Sparten, die sich nach dem Krieg zusammenfanden und mit den Konventionen ästhetischer und akademischer Praxis brachen. Als einer der ersten in Großbritannien begeisterte sich Paolozzi für Konsumkultur und Massenproduktion. In seinen geklebten Bildwelten treffen unter anderem moderne Autos, Außerirdische, Pin-Up-Girls und Comicfiguren aufeinander – ein wilder Mix in knalligen Farben, der bald unter dem Begriff Pop-Art Kunstgeschichte schreiben sollte. In den folgenden Jahren nutzte Paolozzi die Technik der Collage als künstlerische Strategie und wandte sie – ganz neu – auch auf die Medien Druckgrafik und Skulptur an.

Die Ausstellung basiert auf der Eduardo Paolozzi-Retrospektive der Whitechapel Gallery in London 2017, die das Gesamtwerk des Künstlers zeigte. Die Berlinische Galerie konzentriert sich im Gegensatz zur Londoner Schau auf sein eigenwilliges, experimentelles Werk der 1940er bis 1970er Jahre, mit dem der Künstler große internationale Aufmerksamkeit auf sich zog.

Das erste Ausstellungskapitel konzentriert sich auf Paolozzis Frühwerk. Seine Zeichnungen und Skulpturen der frühen 1950er Jahre sind durch den Surrealismus beeinflusst. Paolozzis Begeisterung gilt der Kunst von Pablo Picasso oder Alberto Giacometti. Zugleich interessierte er sich früh für die Populärkultur und verarbeitete amerikanische Magazine und Comics zu ersten Pop-Collagen. Paolozzis Ansatz, mit künstlerischen Traditionen zu brechen und neue Materialien und industrielle Prozesse für Skulpturen und Druckgrafik zu nutzen, ist Thema des zweiten Kapitels. Die Radikalisierung in der Skulptur beginnt bei ihm in den 1950er Jahren mit der Entwicklung brutalistischer Bronzeplastiken, die an Kriegsversehrungen denken lassen. Ihre ästhetische Schlagkraft und anklagende Wirkung entsteht aus den verschmort und erodiert wirkenden Bronzeoberflächen. Später wandte sich Paolozzi Metallskulpturen aus industriell vorgefertigten Elementen zu, die er teilweise bemalte. Auch in der Druckgrafik ging Paolozzi neue Wege und entdeckte zum Beispiel die Siebdrucktechnik für die Kunst. Durch ihre hohen Auflagenzahlen und die gewerbliche Nutzung hing ihr das Image eines Massenmediums an, was Paolozzi reizvoll fand. Er wollte die Grenzen zwischen Hochkultur und populärer Kunst einreißen. Das dritte Kapitel stellt Paolozzis produktiven Berlinaufenthalt 1974/75 ins Zentrum. In seinem Atelier in Kreuzberg am Kottbusser Damm entwickelte er, inspiriert durch die Musik, Grafikserien wie The Ravel Suite und Calcium Light Night. In ihnen verbinden sich grafische und lineare Elemente zu abstrakten Kompositionen. Sie lassen an Stadtlandschaften aus der Vogelschau, topografische Karten oder Leiterplatten denken. In seinen Reliefs aus dieser Zeit übersetzte er die Formensprache der Siebdruckserien in die dritte Dimension. Auch im Berliner Stadtbild und den großen öffentlichen Sammlungen der Stadt hinterließ der Künstler Spuren. Unter anderem realisierte er eine monumentale Wandmalerei in Schwarzweiß in der Kurfürstenstraße, die sich nicht erhalten hat. Das letzte Kapitel der Ausstellung ist dem Pionier Paolozzi gewidmet. Mit seiner respektlosen Herangehensweise an die Kunst begeistert er bis heute junge Künstlerinnen und Grafikerinnen. Sein weit gefasstes Prinzip der Collage, frühe Formen des Samplings, neue Druck- und Präsentationstechniken, ein innovatives filmisches Werk und seine Leidenschaft für Massenmedien und für die Technik seiner Zeit bahnten einem neuen Verständnis von Kunst den Weg, das uns bis heute prägt.

Die Ausstellung begleitet ein umfassender Katalog in deutscher Sprache (29,80 €, ca. 270 S., mit rund 200 farbigen Bildtafeln, Deutscher Kunstverlag, ISBN 978-3-422-07471-2). Er basiert auf dem englischen Katalog der Whitechapel Gallery, versammelt eine Auswahl der Essays und ist um ein Berlinkapitel erweitert. Anhand neuer Forschungsergebnisse namhafter Wissenschaftler*innen, darunter Daniel F. Herrmann, Hal Foster und Jon Wood, stellt er den Künstler in einen internationalen Kontext und nimmt eine Neubewertung des Œuvres vor.