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Das Medium der Zeichnung ist traditionell in einer unmittelbaren Nähe zum Denken selbst situiert. Leonardo da Vincis Skizzen können beispielsweise gleichsam als Studien zu aufwendigeren Bildwerken wie auch als verbildlichtes Durchdenken spezifischer Probleme gelesen werden und stellen somit frühe Dokumente eines quasi wissenschaftlichen Bildbegriffs dar. Demgegenüber bezeugen bereits Piranesis Architekturvisionen oder Botticellis Illustrationen zu Dantes Göttlicher Komödie das imaginative Potenzial der Zeichnung. Der Dualismus von Imago und Disegno, der sich durch die Kunsttheorie der Renaissance zieht, erscheint inzwischen ebenso überholt wie die Auffassung der Zeichnung als rein vorbereitendes Medium. Im Zuge der Moderne hat sich die Zeichnung in unterschiedlichsten Kontexten etabliert und gilt längst als vollgültiges Mittel des künstlerischen Ausdrucks. Die Ausstellung Drawing the line stellt einige der neueren Entwicklungen des Gebrauches der Zeichnung innerhalb der zeitgenössischen Kunstproduktion vor. Anhand von fünf ausgewählten Positionen sollen Korrespondenzen des Mediums zu Installation, Film, Video und Malerei verdeutlicht werden, wobei die meisten der hier vorgestellten Künstler ihr Werk in der Auseinandersetzung mit konzeptuellen Kunstformen erarbeitet haben.

In Martin Gerwers abstrakt-geometrischen Arbeiten spielt nicht nur die Farbe, sondern die Materialität und Oberflächenbeschaffenheit des Bildträgers eine entscheidende Rolle. „Die einzelnen formalen Elemente entwickeln per se keine definierbare Identität. Die Flächen wirken in ihrer zarten Farbigkeit flach und fast substanzlos, was durch eine präzise und aufwendige Behandlung der geschliffenen Oberflächen, die einen malerischen Gestus nahezu völlig negieren, zusätzlich verstärkt wird..... Die Farbe scheint sich von der Fläche zu lösen und in ihrer Intensität eine immaterielle Wirkung zu entwickeln. Der Betrachter sieht sich nicht einer begrenzten, in sich geschlossenen Form, sondern einer intuitiv rhythmisierten Abfolge von Flächen gegenüber, die sich vom Bildgrund zu lösen scheint, um eine eigene Beziehung zum Raum, der sie umgibt, herzustellen“. (Erich Franz) Konsequenterweise erobern die neuesten Arbeiten von Gerwers buchstäblich die dritte Dimension und lassen sich nicht mehr eindeutig als Malerei lesen – spezifische Objekte, deren Wirkungen nicht mehr von einer klaren Gattungszugehörigkeit abhängen.

Im Unterschied zu der ruhigen und konzentrierten Wandmalerei Gerwers präsentieren sich die scheinbar klassischen Portraits von Jenny Scobel beängstigend aufdringlich. Die frontal ins Bild gesetzten Frauenbilder, welche die Künstlerin Zeitschriften oder Fotografien entnimmt, sind collageartig zusammengesetzt, denn die anonymen Gesichter werden auf Körper meist berühmter Frauen montiert. Diese Montagen überträgt Scobel als Zeichnung in einer Kombination aus Graphit und Aquarellfarben auf eine vorbehandelte Holzplatte mit einem Hintergrund, den sie häufig amerikanischen Cartoons entnimmt. In jüngster Zeit greift die Künstlerin für die Gestaltung der Bildgründe auch auf Stadtlandschaften oder merkwürdig anmutenden Vorstadtidyllen zurück. Die Zeichnungen werden in einem letzten Arbeitsschritt mit Wachs überzogen, so dass ihnen eine verhaltene Farbigkeit eignet. Im Transfer der altmeisterlichen Maltechnik der Enkaustik auf das Medium der Zeichnung gewinnen Scobels Bildwerke eine fast hyperrealistische Qualität. Dennoch erzeugen die fast hypnotisch aus dem Bild starrenden Frauenbilder einen beunruhigenden, fast verstörenden Eindruck .

David Krippendorff greift in seinen Videos und Zeichnungen ebenfalls auf populäre Bildmotive zurück - allerdings sind diese dem Starkult Hollywoods entlehnt - die er zu unheimlichen Erinnerungsschleifen über Krieg, Emigration und Gewalt montiert. Die perfekten Kulissen aus Filmen der 30er und 40er Jahre werden in Krippendorffs filmischen Montagen als Scheinidyllen entlarvt. Alles andere als ideologiefrei erweisen sich selbst Hollywoods banale Liebesfilme als kriegsverherrlichend, frauenverachtend und propagandistisch. Die vermeintlich wertfreie Mixtur aus Erotik, Politik und persönlichem Drama, mit dem Hollywood bis heute eine wachsende Zahl an Konsumenten infiltriert, hat eine lange Tradition, die Krippendorffs Videoarbeiten mit beeindruckend einfachen Mitteln seziert und in ihrer wahren Funktion als subtile Propagandamaschine entzaubert. Begleitet werden Krippendorffs Videoarbeiten von Bleistiftzeichnungen, die verführerische Interieurs, vollgestopft mit nostalgischen Luxusgegenständen zeigen, welche dem jeweiligen filmischen Ausgangsmaterial entstammen. In ihrer makellos künstlichen Schönheit wirken diese Zeichnungen von Interieurs wie Sinnbilder einer dekadenten Gesellschaft, deren Orientierungs- und Inhaltlosigkeit sie pointiert zum Ausdruck bringen.

Jenny Perlins Filme und Zeichnungen verdanken sich ebenso wie Krippendorffs Werke einer akribischen Auseinandersetzung mit spezifischen Entwicklungslinien innerhalb der amerikanischen Kultur und Gesellschaft. Zahlreiche ihrer filmischen Arbeiten der letzten Jahre formulieren in der Auseinandersetzung mit historischen oder aktuellen Ereignissen eine fundamentale Kapitalismuskritik, sei es dass sie beispielsweise die amerikanische Tradition des Self-Help (Selbsthilfe) bis zu ihren Ursprüngen zurückverfolgt, oder wie in Possible Models (2004) die Hintergründe der Festnahme eines somalischen Einwanderers untersucht, der bezichtigt wird, einen Anschlag auf eine Shopping Mall in Ohio geplant zu haben. In einer komplexen narrativen Struktur widmet sich Possible Models darüber hinaus drei Themenkomplexen: dem Scheitern der ersten von Victor Gruen gestalteten amerikanischen Shopping Mall, dem Vergleich von zwei Mega-Malls, der Mall of America in Minnesota und der zur Zeit im Bau befindlichen Giga-Mall in Dubai, und dem geplanten ‚Freedom Ship’, auf dem eine autonome ‚Kommune’ ausgestattet mit allem erdenklichen Luxus in einem Zeitraum von drei Jahren die Welt umrunden soll, um nebenbei den exotischen Reiz fremder Landschaften und Kulturen ‚konsumieren’ zu können. Die einzelnen Kapitel von Possible Models werden jeweils von kindlich anmutenden Zeichnungen eingeleitet und illustriert.

Katharina Schmidt agiert in ihren Arbeiten mit Bildmotiven, die sie unterschiedlichen Quellen und Zusammenhängen entnimmt. Ihre Zeichnungen überträgt sie mittels Siebdruck auf Papier, wobei die so entstehenden Plakate zumeist flächendeckend auf die Ausstellungswände tapeziert werden. Als Original bleibt nur die Vorzeichnung des für den Siebdruck verwendeten Motivs. In der Arbeit für diese Ausstellung löst sich Schmidt noch deutlicher als bisher von konventionellen Präsentations-formen der Zeichnung. Die ursprüngliche Bildvorlage, ein Detail der „Cité Radieuse“ von LeCorbusier, überträgt sie auf einen großformatigen „Vorhang“, der trotz der architektonischen Gewichtigkeit des Motivs leicht im Raum schwebt. Eine Verbindung zum Ornament, welche die abstrahierende Strategie früherer Arbeiten noch kennzeichnete, kann hier nicht mehr hergestellt werden.

Pressetext

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drawing the line
Eine Ausstellung kuratiert von Marion Fricke, Düsseldorf und Daniel Marzona, Berlin

mit Martin Gerwers, David Krippendorf, Jenny Perlin, Katharina Schmidt, Jenny Scobel