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4. März – 12. Juni 2022

DIS
How To Become A Fossil

In der Ausstellung No Homo präsentiert das Kollektiv DIS sein bedeutendes neues Werk Everything But The World (2021, 38 min) in einer ortsspezifischen Installation sowie eine Skulptur im Außenbereich der Secession.

Der als TV-Pilot konzipierte Film Everything But The World will Geschichte(n) neu erzählen. Mit dem Format einer genreübergreifenden Doku-Science-Fiction-Serie hat man sich noch dazu weit von den Prämissen einer Natursendung entfernt, ist doch der Blick der Kamera auf die am wenigsten natürliche Erfindung der Natur gerichtet: auf uns.

Everything But The World hinterfragt die post-aufklärerischen Vorstellungen von „Fortschritt“, indem die repetitiven Bewegungen des heutigen Lagerarbeiters mit Aktivitäten in Verbindung gebracht werden, denen man sich vor etwa 10.000 Jahren gewidmet hatte, als viele unserer Vorfahren vom Jagen und Sammeln zur Vollzeitlandwirtschaft übergingen.

„Das ist die Geschichte, wie es mit deinem Besitz und deinem Aufstieg weitergeht. Ende Gelände. Und Baby, du hast nicht überlebt.“

Shock Jock, Everything But The World

In der ersten Folge wird die Burg zum Symbol für Privateigentum und Unterwerfung: vom Castello Caetani, das einst Papst Alexander VI. in seinen Besitz gebracht hatte, über den juristischen Begriff „castle doctrine“, mit dem in den USA die Verteidigung des eigenen Heims gerechtfertigt wird, bis hin zu einer existenziellen Tirade, die ein Angestellter der Fast-Food-Kette White Castle vom Stapel lässt. Everything But The World durchbricht die vierte Wand der Zivilisation und untersucht, was es bedeutet, ein Mensch zu sein ‒ wobei man auf dieser Tour de force durch die lange Geschichte von Arbeit, Geschlecht, Ethnie und Technologie auch ständig zwischen der globalen Existenz der Menschheit und der Winzigkeit unseres individuellen Lebens hin und her wechselt.

Everything But The World zeigt kein Interesse an unbestreitbaren Wahrheiten und gewöhnlichen Konventionen, ebenso wenig wie die Zeit linear zusammenzupressen. Aus der Perspektive unserer knapp bemessenen Lebenszeit mag es schwer zu sehen sein, aber Geschichte ist keine Erzählung von Evolutionen und Konstanten, sondern von Veränderungen und Revolutionen. Wenn wir jedoch erkennen, dass das nicht die Welt ist, sondern eine unter vielen möglichen, welche Welten könnten uns dann noch erwarten, nach dem Ende?

Da sich Zivilisationsphantasien wie dieses Projekt nicht allein realisieren lassen, haben unzählige Menschen an Everything But The World mitgewirkt: die unzuverlässige Erzählerin (Leilah Weinraub), ein früher Mensch (Omayhra Mota), der freundlich-drohende de-extinktionsenthusiastische Showmaster Branch (Ryan Trecartin) und seine unvermeidlich-fossile Kollegin Banter (Lizzie Fitch), ein Drive-thru-Redner (Brontez Purnell) und ein legendärer Bürgerrechtsanwalt (Ron Kuby). Die Texte stammen unter anderem von Ava Tomasula y Garcia, Casey Jane Ellison, Leah Hennessey und Emily Allan; einzelne Beiträge sind zum Beispiel unter der Regie des Künstlers Abdullah Al-Mutairi und des Filmemachers Theo Anthony entstanden. Zu guter Letzt hat Anthony Valdez das gesamte Material zusammengeschnitten und mit einem Soundtrack von Fatima Al Qadiri verwoben.

DIS ist ein kollaboratives Projekt von Lauren Boyle, Solomon Chase, Marco Roso und David Toro. Von New York aus wirkt das Kollektiv sowohl künstlerisch als auch kuratorisch in einem breiten Feld von Medien und Plattformen, die Methoden der Produktion, Nutzung und Verbreitung von Content online nutzen. 2010 gründeten sie zunächst das Online-Magazin DIS Magazine, wo sie Modebeiträge neben Musikmixes und kritischen Essays veröffentlichten. Später folgten eine Bilddatenbank (DISimages) sowie ein Online-Shop (DISown) mit Produkten und Accessoires von Künstler*innen. 2018 wurde dismagazine.com mit ihrer neuen Streamingplattform dis.art ersetzt. DIS hat mittlerweile Möglichkeiten und Potenzial von Kunst und ihre Rolle in kreativen, kommerziellen, pädagogischen und öffentlichen Bereichen – miteinander vereint – weiterentwickelt und erhöht.

Von Anfang an hat das Kollektiv neben dem Magazin auch künstlerische Projekte realisiert und in anderen Plattformen agiert, wie Ausstellungen im MoMA und dem New Museum in New York. 2016 kuratierten die KünstlerInnen des Kollektivs die IX. Berlin Biennale. 2016 kuratierte das Künstler*innenkollektiv die Berlin Biennale; zuletzt haben sie gemeinsam mit Andrea Bellini, dem Direktor des Centre d’Art Contemporain Genève die dort stattfindende Biennale de l’Image en Mouvement 2021 kuratiert.

DIS ist ein in New York ansässiges Kollektiv, das 2010 dort gegründet wurde.