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Dieter Krieg las viel, immer die Literatur seines Jahrhunderts. Vian, Beckett, Gombrowicz, Proust, Musil, Schmidt, Freud, Joyce, Gütersloh, Groddeck, Laederach, Jelinek, Gaddis, Willeford, Sartre, Heidegger, vieles mehr. Das war kein Bildungsweg, er las, wie er wiederholte, zu seinem Vergnügen, er kam auch so seinem Stoff näher. Manchmal bereitete ihm die Begegnung mit dem eigenen, bereits Bild gewordenen künstlerischen Material in der Literatur – was ihm bei Laederach besonders auffiel – Nachdenken: kam das aus seinen Bildern, oder war es ein Stoff, der zu verschiedenen Zeiten unabhängig voneinander auftauchte? Zu sagen, dass er die Literatur benutzte, ist sicher falsch. Sie war Teil seines Lebens im Atelier: 'Keine Landschaft, kein Horizont, keine Reise', und eben auch: 'In der Leere ist Nichts’. Diesen Satz, dem er zwei große Bilder-Zyklen widmete, kommentiert er in einem seiner lakonischen Zettel-Kompendien so: 'Sartre Geschwätz’. Genau daran, an den tiefen ernsten Worten, ihrem ins Groteske übersteigerten Anspruch, am Stoff, der als Text und Gegenstand Bild werden sollte, entzündete sich sein Geist, seine Kunst.

Die Ausstellung in den KUNSTSAELEN zeigt Arbeiten, die in der Entstehung in die 1960er Jahre zurückreichen, und eine Auswahl der späten, 2004 entstandenen, in Bilder verwandelten Zeichnungen, die den ebenso sprechenden Titel 'Macht nichts’ tragen; 'ohne Macht über das Nichts’, wie er an anderer Stelle aufschreibt. Ein Schwerpunkt in der Ausstellung liegt bei den Bildern der 1980er/1990er Jahre. Der malerische Aufwand ist natürlich; die pastose Oberfläche ist dem Willen zur Überbietung der Realität geschuldet. Die Bilder öffnen nicht den über Jahrhunderte gewohnten freundlichen Bildraum, die Gegenstände kommen dem Betrachter vielmehr entgegen: gefordert ist wahrnehmende Auseinandersetzung.

Bei der Frage nach der Vergewisserung kultureller Modernität kommt der figürlichen Kunst ganz besondere Bedeutung zu: sie ist eine der entscheidenden Gradmesser. Eine Gemeinschaft, die figürliche Darstellungen zur Reflexion nutzt, belebt ihr Handeln mit symbolischen Inhalten.

Dieter Krieg untersucht unsere Geschichte anhand der Schrift und der in ihr eingeschriebenen Triebhaftigkeit, anhand der malerisch zu analysierenden Gegenstände wie Kanapee und Hähnchenschenkel, anhand einer kunstgenauen Aufarbeitung der Story unseres Lebens. In kollektiv verbindlichen Bildern geschieht dies, ausdrucksstark schön, verstörend zugleich und konfliktreich.

Eduard Beaucamp schreibt: 'Die jüngere Kunstentwicklung dreht sich im Kreis. Der Szene fehlt es offensichtlich an theoretischer Phantasie, an Zukunftsvorstellungen, an Problembewusstsein, an Ideen und Zielen, die im Jahrhundert der Moderne in so verschwenderischer Fülle ins Kraut geschossen waren. Diskutiert wird heute vordergründig über kommerzielle Erfolge und Preise. Käme wieder eine Debatte jenseits des Marktes in Gang, könnte das Werk von Dieter Krieg ein Ausgangspunkt, eine Quelle der Inspiration sein. Imponierend sind nicht allein das ästhetische Gewicht und die Vitalität einer vielfach monumentalen, in Riesenformaten sich manifestierenden und behauptenden Malerei. Interessant sind die Wege, Methoden und Möglichkeiten, die seine Kunst gesucht und erschlossen hat und die zum Weiterdenken auffordern. Dieter Kriegs Werk könnte eine ästhetische Debatte neu eröffnen.'